Z ur Position des königlichen Taubenhüters gehörte ein Haus mit einem zweihundert Vögel fassenden Taubenschlag in der Nähe des verlassenen Bahnhofs von Wolverton. Der Schlag war gerade erst renoviert worden, besaß ein belüftetes Dach, Nistkästen, Sitzstangen und Vordächer, unter denen die Vögel im Sommer sonnenbaden konnten. Nach Taubenmaßstäben war der Schlag so aufwendig wie Sandringham. Das alles unter sich hatte ein freundlicher Mann aus Lancaster namens Stephen Day, dessen Freundlichkeit kaum etwas von seinem unbarmherzigen Ehrgeiz erkennen ließ, was ihn zur perfekten Besetzung des Jobs machte.
Ein, zwei Minuten später erklang seine warme, samtweiche Stimme beruhigend wie immer vom anderen Ende der Verbindung.
»Ein frohes neues Jahr, Eure Majestät. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich habe mich gefragt, ob Sie etwas über Geldwäsche wissen, Mr Day.«
»Ha! Da reden Sie mit dem Falschen, Ma’am. Ich verstehe mich gerade mal so aufs Online-Banking. Wenn Ihnen das hilft?«
»Geldwäsche durch Taubenvereine. Zu Neujahr hat mir jemand davon erzählt. Was ich davon behalten habe, ist, dass es Banden gibt, die sich in Vereine einkaufen, damit sie deren Spitzentauben unter Preis verkaufen können, in den Büchern aber weit mehr verbuchen. Ich glaube, so geht es.«
»Warum sollten sie das tun, Ma’am?«
»Damit illegales Geld in der Differenz aufgehen kann. Ich habe immer angenommen, dass sich auf die Art keine großen Summen verstecken lassen, doch dann ist mir bewusst geworden, wie sehr die Auktionspreise in letzter Zeit angestiegen sind. Ich finde das ziemlich alarmierend. Denken Sie, dass etwas in der Art auch hier in der Gegend vor sich gehen könnte?«
»Ich hatte ja keine Ahnung, dass Sie so eine Verbrechensexpertin sind, Ma’am. Ich höre das zum ersten Mal, und ich kann mir nicht vorstellen, dass dergleichen in East Anglia geschieht.«
»Das dachte ich erst auch.«
»Ich könnte mich umhören, wenn Sie mögen.«
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht?«
»Ich sage Ihnen, wer da Bescheid wüsste«, überlegte Mr Day, »nur dass sie im Moment nicht verfügbar ist, und das ist Mrs Raspberry. Sie hat für diesen Artikel in der Flying Post mit so vielen Leuten geredet. Wenn hier was Komisches vorginge, wüsste sie es.«
Der Queen sank der Mut. Das war ihr Verdacht gewesen, oder doch ein Teil davon.
»Ich habe von ihrem Unfall gehört«, sagte sie.
»Schrecklich, nicht wahr? Der Fahrer hat sich einfach davongemacht und sie zurückgelassen, wo sie war. Es gibt hier einige, die den Kerl gerne in die Finger bekommen würden.«
»Hat sie sich für etwas Spezielles interessiert, wissen Sie das?«
»Ah! Ich weiß, was Sie denken. Ob sie an irgendetwas dran war, das hinter dem Unfall und der Fahrerflucht stecken könnte?«
Das genau war es, was die Queen überlegt hatte, und noch bevor sie es heftig abstreiten konnte, fuhr Mr Day fort: »Wir hatten die gleiche Idee, meine Frau und ich. Judy sagte, sie arbeite an etwas Neuem, was auf etwas basiere, das sie am Strand gesehen habe. Nichts, was mit Geldwäsche zu tun hat, aber vielleicht mit Drogen, glaube ich. Sie war sehr besorgt, was das angeht.«
»Hat sie versucht, die Polizei darauf aufmerksam zu machen?«
»Das ist eine Geschichte für sich, Ma’am«, sagte er. »Wenn auch keine besonders glückliche.«
»Ach?«
»Wir wissen nichts Genaues und haben uns die ganzen Festtage Gedanken darüber gemacht – was, wenn sie in Schwierigkeiten geraten ist und es kein Unfall mit Fahrerflucht war? Meine Frau war sehr besorgt, und sie hat die Polizei angerufen und gefragt, ob Judy ihnen etwas gesagt hat, und der diensthabende Beamte meinte, sie solle sich keine Sorgen machen, sie kümmerten sich schon darum.«
»Oh, gut.«
»Ah, aber … Also meine Frau hat eine Freundin in ihrem Yogakurs, deren Sohn im Präsidium in Norwich arbeitet, und die ist ein wenig eine Klatschtante, wenn ich es so ausdrücken darf …«
»Ah.« Die Queen versuchte gleichzeitig missbilligend und aufmunternd zu klingen, was Klatsch in jeder Art und Form betraf.
»Sie sagte, ihr Sohn habe ihr erzählt, im Präsidium heiße es, Judy sei eine von den nervigen Frauen, die ständig versuchten, der Polizei irgendwelche Informationen zu geben, und erwarteten, dass die darauf anspränge, aber dieser Unfall sei nun mal eindeutig nur das, ein Unfall, schon wegen der Stelle, an der er sich ereignet habe, in dieser Kurve. So was lasse sich da nicht so planen, meinten sie. Und dass es sie ärgern würde, dass jemand dächte, sie täten ihre Arbeit nicht richtig.«
»Wie ausgesprochen misslich.«
»Ein bisschen schon. Ihnen ist nicht klar, dass die Leute miteinander reden, das ist das Problem, Ma’am.«
»In der Tat. Mrs Day muss sehr verstimmt gewesen sein.«
»Sie war außer sich. Es war das letzte Mal, dass sie zu helfen versucht hat.« Er fuhr fort: »Aber keine Sorge, wie gesagt, ich werde mich umhören, um mehr über diese Bandensache herauszufinden. Zu billig verkaufte Vögel, sagen Sie? Waren wohl Weihnachtsgeschenke, wie? Sobald ich etwas in Erfahrung bringe, lasse ich es Sie wissen.«
»Ich danke Ihnen, Mr Day. Das ist sehr nett.«
»Kommen Sie bald wieder her, Ma’am, um Ihre Tauben zu besuchen? Sie werden es nicht glauben, aber meine Frau hat in eine Destille investiert und produziert einen ziemlich beeindruckenden Gin. Wir würden Ihnen gerne einen Schluck oder zwei anbieten, zum Probieren, wenn Sie offen dafür sind.«
»Sie haben eine sehr erfindungsreiche Familie«, sagte die Queen, beeindruckt vom Eifer und Einfallsreichtum ihrer Angestellten.
Sie legte den Hörer auf die Gabel und blickte aus dem Fenster. Dann griff sie ein weiteres Mal danach und bat den Telefonisten, sie mit Rozie zu verbinden.
Rozie erledigte gerade verschiedene Schreibarbeiten und freute sich über den Anruf. In London gab es immer etwas, das ihre Aufmerksamkeit verlangte, aber hier, fern auf dem Land und mit Sir Simon, der jetzt alle interessanten Anrufe annahm, fühlte sie sich so weit vom allem entfernt wie nie. Ihre Mutter schrieb ausführlich von Besuchen in West-End-Theatern und Restaurants in Soho, ihre Freundinnen posteten Fotos von Swimmingpools und Skiabfahrten in fernen Urlaubsspots, und sie hatte das Gefühl, dass die Welt irgendwie ohne sie weitermachte. Norfolk hatte seine Reize, aber ein weites Feld, so schön es auch von den Strahlen der untergehenden Sonne erleuchtet werden mochte, würde niemals eine Pool-Bar in St Barts schlagen.
»Ich könnte eine kleine Aufgabe für Sie haben«, sagte die Queen, als Rozie in ihr Büro kam.
Rozie konnte ihre Freude kaum verbergen. »Natürlich, Ma’am. Was kann ich tun?«
Die Queen umriss ihre Besorgnis und ihr Gespräch mit Mr Day.
»Es wäre schön, wenn Sie dem für mich nachgehen könnten. Diskret.«
Rozie glaubte, ein leichtes Glitzern in den Augen ihrer Chefin ausmachen zu können, wie sie es seit ihrer Abreise aus London nicht gesehen hatte.
»Mit Vergnügen, Ma’am.«
»Und ich glaube, ich kenne jemanden, der Ihnen dabei helfen könnte.«