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Mein Leben ist ein offenes Telefon

Grace

LANGSAM WACHE ICH AUF, MIR IST KUSCHLIG WARM und ich höre die Stimme meiner Cousine, die mir sagt, dass sie es nicht erwarten kann, bis ich an der Katmere Academy bin.

Es dauert einen Augenblick, bis ich zu mir komme – mich daran erinnere, wo ich bin und mit wem. Aber als jede entsetzliche Kleinigkeit, die gestern vorgefallen ist, mein Hirn flutet, setze ich mich so schnell auf, dass ich beinahe von der Couch falle.

»Macy?« Ich schiebe mir die wirren Locken aus dem Gesicht und bete, dass alles nur ein Traum war. Dass jedes verkorkste Etwas, das gestern passiert ist, Teil des ausschweifendsten Albtraums war, den ich je hatte. »Was ist hier lo…«

Ich verstumme, weil mir drei Dinge zugleich einfallen.

Erstens: Ich liege unter etwas, das mit Leichtigkeit die weichste und wärmste Decke sein könnte, die es je gab.

Zweitens: Macy ist nicht hier in diesem Zimmer bei mir.

Und drittens: Hudson Vega hat mein Telefon.

Noch schlimmer, es scheint, als würde er großzügig ausnutzen, dass ich schlafe, um alle Inhalte durchzuscrollen, die er unter die Daumen bekommen kann. Dieser Bastard.

»Hey!«, rufe ich und stürze mich auf das Telefon. Aber meine Kehle ist trocken, meine Augen sind kaum geöffnet und meine »Gerade erst aufgewacht«-Koordination ist nichts gegen die eines Vampirs. Besonders, wenn dieser Vampir Hudson ist.

Er ist von der Couch aufgesprungen und steht mitten im Raum, bevor ich mich auch nur unter dieser unmöglichen Decke, mit der er mich offensichtlich zugedeckt hat, hervorgewühlt habe. Kurz verwirrt mich diese Geste – Hudson, der etwas Nettes für mich tut –, während ich mich vage daran erinnere, dass mir mitten in der Nacht kalt war.

»Was zur Hölle machst du da?«, will ich wissen, ignoriere mein hämmerndes Herz und das Messer zwischen den Couchkissen und renne einfach zu ihm. Ein Teil meines Hirns schreit, dass ihn zu konfrontieren eine miese Idee ist, aber der andere ruft, dass ich mein verdammtes Telefon zurückholen soll.

Ich höre auf die zweite Hirnhälfte, denn ich weigere mich die ganze Zeit Angst vor Hudson zu haben, egal wie lange wir hier drin eingesperrt bleiben. Ganz egal wie Furcht einflößend er ist.

»Gib das her!« Ich greife nach dem Telefon.

»Bleib locker, Prinzessin«, antwortet er und hält es knapp außerhalb meiner Reichweite. »Ich habe nur nachgesehen, ob etwas Nützliches darauf ist, das uns hier rausbringt.«

»Wie was zum Beispiel? Ein Geheimcode, der mir rein zufällig entfallen ist?«, frage ich angewidert.

»Vielleicht.« Er zuckt mit den Schultern. »Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert.«

»Tja, gut, hast du mal dran gedacht, mich zu fragen, statt einfach in meine Privatsphäre einzudringen?«

»Wo du keinen Schimmer zu haben scheinst, was du tust?«, antwortet er und lehnt sich mit einer Schulter an die nächste Wand. »Nein, das ist mir nicht eingefallen.«

Und dann senkt er die Hand mit meinem Telefon und spielt ein weiteres Video ab – das von dem Tag, an dem Jaxon und ich den Schneemann gebaut haben.

Mein Herz zittert ein wenig beim Klang der Stimme meines Freunds. Tief, warm, glücklich. Ein glücklicher Jaxon gehört zu den Dingen, die ich auf dieser Welt am liebsten mag – er hat so viel erlitten –, und diese Erinnerung ist eine der besten. Alles war perfekt.

»Verflucht noch mal!« Ich überlege zur Couch zu gehen und das Messer zu holen, als ich erneut nach meinem Telefon greife, aber er wehrt mich ab, ohne auch nur vom Bildschirm aufzusehen. »Hör auf, dir mein Zeug anzusehen!«

»Aber Jaxy-Waxy sieht so niedlich aus mit dieser kleinen Vampirmütze. Hast du die für ihn gemacht?«

»Nein, habe ich nicht.« Aber ich liebe sie. Liebe es, dass er eine für unseren Schneemann mitgebracht hat, und liebe noch mehr den Ausdruck auf seinem Gesicht, mit dem er zurücktritt und das Endergebnis bewundert.

Und jetzt sieht Hudson es sich an, mit ausdruckslosen Augen, geht meine privatesten Erinnerungen durch und sucht nach Hinweisen, die es nicht gibt. Urteilt über Jaxon und mich anhand von etwas, das ihn rein gar nichts angeht. Dafür hasse ich ihn noch etwas mehr.

Als ich dieses Mal nach dem Telefon greife, dreht Hudson eine Pirouette, sodass er mir den Rücken zuwendet, und ich raste aus. Ich flippe einfach aus. Ich packe ihn an der Schulter und zerre ihn, so fest ich kann, rückwärts und ich schäume dabei. »Nur weil du niemanden hast, der mit dir einen Schneemann bauen oder ein Video mit dir machen möchte, heißt das nicht, dass du das Recht hast dich wie ein Vollarsch zu verhalten.«

Die Tatsache, dass ich jedes bisschen Kraft aufgewandt habe und Hudson sich so gar nicht rührt, verärgert mich mehr, als ich es je für möglich gehalten hätte. So wie die Braue, die er hochzieht, während er auf mich herabblickt, als wolle er fragen, was das soll.

Was ein starkes Stück ist, wenn man bedenkt, was er da gerade macht.

Aber dann begegnen sich unsere Blicke zum ersten Mal, seit ich an diesem Morgen aufgewacht bin, und ich weiche unwillkürlich einen Schritt zurück. Denn in seinem Blick brennt eine unbegreifliche aufgestaute Wut. Der Raubtierblick, mit dem er mich gestern Abend angesehen hat, scheint dagegen ein Witz gewesen zu sein.

Ich taumle noch einen Schritt zurück, mein Herz hüpft mir in die Kehle und ich sehe mich nach einer Waffe um.

»Es wird dir nichts nützen«, sagt Hudson mit gelangweilter Stimme. Und einfach so ist der Zorn aus seinen Augen verschwunden und an seiner Stelle ist die Leere, die ich langsam so gut kenne.

Mein Magen verkrampft sich. »Was?«, frage ich, obwohl ich fürchte, dass ich weiß, wovon er spricht.

»Stell dich nicht so dumm, Grace. Das lässt uns nur beide wie Narren aussehen.«

Er drückt sich von der Wand ab und wirft mir das Telefon zu. Ich fange es mit tauben Fingern und er schlendert davon.

»Wohin gehst du?«, frage ich, während die Panik mich überfällt. Ich hasse es, hier mit ihm eingesperrt zu sein, aber der Gedanke daran, dass er geht und mich allein eingesperrt zurücklässt, ist unendlich viel schlimmer.

»Duschen?« Seine Stimme trieft vor Abscheu. »Du kannst gern mitkommen, wenn du möchtest.«

Die Panik schlägt sofort wieder in Wut um. »Du bist widerlich. Niemals ziehe ich mich mit dir aus.«

»Wer sagt was von ausziehen?«, antwortet er und öffnet die Tür. »Ich dachte nur, die Ablenkung würde dir die perfekte Gelegenheit bieten, mir dein Messer in den Rücken zu rammen.«