27

Ent-Shortung

Hudson

»MUSST DU DIR EWIG ZEIT LASSEN unter der Dusche?«, knurrt Grace, als ich aus dem Badezimmer komme.

Ich bedenke sie mit einem betont milden Blick. »Da ist aber jemand mit dem falschen Fuß aufgestanden.«

»Ich bin mit prächtiger Laune aufgewacht, vielen Dank auch.« Sie geht mit einem bösen Blick an mir vorbei. »Aber ich warte seit einer Stunde darauf, pinkeln zu können.«

Gut. Es ist schön zu wissen, dass die ganze Zeit, die ich da drin verplempert habe, sich tatsächlich auszahlt. Aber ich sage nur: »Tut mir leid.«

»Nein, tut es dir nicht. Sonst würdest du es nicht jeden verdammten Tag machen.« Sie mustert mich mit finsterer Miene. »Und könntest du dir bitte was anziehen, während ich im Bad bin? Du siehst lächerlich aus.«

»Ich bin angezogen«, antworte ich und blicke verwirrt an mir hinab. »Wieso ist das, was ich anhabe, lächerlich?«

»Du trägst eine Trainingshose, keine Kleidung. Ist nicht dasselbe.« Wie um das zu unterstreichen, knallt sie mir die Badezimmertür vor der Nase zu.

Und ich lege den unschuldigen, verwirrten Blick ab. Ich habe ihn in letzter Zeit so oft aufgesetzt, dass ich schon fürchte, mein Gesicht bleibt so. Und was zur Hölle mache ich dann? Es ist schwer, Leute zu vergraulen, wenn man wie ein verdammter Pfadfinder aussieht.

Aber ich habe herausgefunden, dass – neben Vogelstimmen – unschuldig zu tun, während ich ihr einen fiesen Streich spiele, die beste Art ist, Grace unter die Haut zu gehen.

Um Himmels willen, bitte, lass mich ihr bald unter die Haut gehen.

Das Mädchen hat zugegebenermaßen mehr Durchhaltevermögen als gedacht. Ich war mir sicher, wir würden in der ersten Nacht hier rauskommen, in der ich mich an sie herangemacht und ihr gleichzeitig auf die Nerven gegangen war.

Stattdessen sitzen wir die längsten sechs Monate meines Lebens hier fest und es scheint kein Ende in Sicht. Weshalb ich dazu übergegangen bin, das Bad stundenlang in Beschlag zu nehmen. Das muss doch bald helfen?

Aber als ich zum Schrank gehe – der definitiv auf meiner Seite des Raums ist –, bemerke ich, dass wohl nicht nur ich heute Morgen in der Laune war, meiner Mitbewohnerin auf den Geist zu gehen. Denn während ich im Bad war, hat Grace all meine Sachen umsortiert.

Und mit »umsortiert« meine ich »jegliche Ordnung auf meiner Seite des Raums zunichtegemacht«. Deswegen hat sie wegen meines fehlenden Shirts gezickt, als ich aus dem Bad kam. Sie wollte , dass ich das hier bald entdecke.

Meine Shirts und Hosen, die normalerweise auf Bügeln hängen, liegen alle in meinen Schubladen.

Meine Pyjamas und die Unterwäsche hängen im Schrank.

Und mein ganzes Bettzeug ist abgezogen und unters Bett gestopft.

Was in allen ewigen Höllen?

Und es hört damit nicht auf, wie ich an meiner Schallplattensammlung merke. Sie steht noch in den Regalen, aber Grace hat sie völlig neu geordnet. Statt Bereichen, die nach Gattung alphabetisiert sind – und darin die Alben nach Nachnamen des Künstlers oder der Künstlerin –, sind sie alle wild gemischt worden. Ohne Sinn und Verstand und total wahnsinnig.

Sie hat das gesamte System zerstört.

Ich drehe mich um und werfe der Badezimmertür einen bösen Blick zu. Das ist mal eindeutig Heimtücke. Keine Vogelstimmen oder so lange geschüttelte Dr-Pepper-Dosen, dass sie explodieren (ein besonders cleverer Streich, muss ich zugeben, während ich daran denke, wie das Getränk an ihrem Gesicht heruntertropfte), sind jemals Rache genug hierfür.

Die Badtür geht auf, während ich darauf starre, und ich begreife, warum sie gestern Abend geduscht hat: damit sie dabei sein und das Resultat ihres teuflischen Werks mit ansehen kann.

Dafür wird sie bezahlen. Oh, und wie sie dafür bezahlen wird. Sobald ich weiß, wie.

Davon lasse ich mir aber nichts anmerken, während sie mit einem schadenfrohen Glänzen in den Augen aus dem Bad spaziert. Ich setze den unschuldigen Blick auf, den ich so verdammt satt habe, und sage: »Jemand war wohl ziemlich beschäftigt, während ich in der Dusche war.«

»Gefällt es dir?«, fragt sie und bedenkt mich ebenfalls mit einem unschuldigen Blick – ganz große Augen und süßes Lächeln. Aber ich habe diesen Scheiß praktisch erfunden und auf keinen Fall lasse ich zu, dass sie mich in meinem eigenen Spiel schlägt. Nicht jetzt, niemals.

»Ich liebe es. Dieses Ablagesystem für meine Schallplatten wurde sowieso langsam langweilig.« Ich ersticke beinahe an den Worten, aber irgendwie bekomme ich sie raus. »So ist es jetzt immer eine Überraschung, wenn ich nach einem Album greife.«

»Genau das dachte ich auch«, stimmt sie begeistert zu. »Ich wusste, es würde dir gefallen.«

»Das tut es wirklich. Sehr.«

Dann gehe ich in meinen Schlafbereich, weil mein Auge mittlerweile ernsthaft zuckt. Dabei versuche ich sie per Gedankenkraft dazu zu zwingen, es gut sein zu lassen, und nicht weiter meine Knöpfchen zu drücken.

Aber Grace und ich sind seit Monaten hier eingesperrt, während dieser verdammte Drache uns umkreist und bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit gegen die Wände und das Dach kracht. Wir haben einander jeden nur erdenklichen Streich gespielt, also lässt sie es natürlich nicht gut sein.

Würde ich auch nicht.

»Gefällt dir, was ich mit deinem Schrank gemacht habe?«, fragt sie zuckersüß.

»Ich lieb’s«, antworte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. »Die Shorts aufzuhängen war besonders geistreich.«

»Das finde ich auch. Ich dachte, Pfauenunterwäsche wie diese muss so zur Schau gestellt werden, dass man sie auch jeden Tag sehen kann.«

»Ich sehe sie jeden Tag, wenn ich die Schublade aufziehe.« Ich greife nach einer. »Aber das hier ist auch hübsch.«

Ich halte sie hoch und sehe, dass Grace mehr getan hat, als die verdammten Dinger nur auf Kleiderbügel zu hängen.

Eine Sekunde lang bin ich zu schockiert, um etwas anderes zu tun, als auf die Unterhose in meiner Hand zu starren. Dann ziehe ich sie alle herunter. Und ja, klar, sie hat es mit allen gemacht.

Sie hat mit einem schwarzen Edding jede einzelne Versace-Retroshorts, die ich besitze, bemalt.

Auf die mit Gesichtern hat sie Schnurrbärte gemalt und mehreren hat sie auch Teufelshörner verpasst. Auf die ohne Gesichter hat sie Blitze und Sterne und Comic-Soundeffekte gemalt. Zack. Peng. Klatsch .

Besonders beleidigend finde ich die, bei denen direkt über dem Schritt Klatsch steht.

»Die waren von Versace«, sage ich und egal wie sehr ich es auch versuche, ich kann das Entsetzen nicht aus meiner Stimme bannen. Was für ein Monster tut so etwas?

»Sind sie immer noch«, erwidert sie fröhlich.

Und ich schwöre, wäre ich eine andere Art Vampir, hätte ich ihr schon die Kehle herausgerissen. So lasse ich mir einen Moment Zeit, um die Unterwäsche zusammenzulegen und auf meinem Bett zu stapeln.

Denn dieses Spiel können zwei spielen.