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Carpe Trink-em

Grace

ICH WEISS NICHT, WAS ZU EMPFINDEN ich erwartet hatte bei Hudsons Biss, aber definitiv nicht diesen Aufstand der Gefühle und Eindrücke, die in meinem Körper toben.

Heiß, kalt, stark, schwach, Gewissheit, Verwirrung, Macht, Angst, Verlangen. So viel Verlangen . Meins? Hudsons? Ich kann den Unterschied nicht ausmachen – ob es überhaupt einen gibt –, während unsere Emotionen aufwallen und verschmelzen, ineinanderfließen zu einer überwältigenden Symphonie des Verlangens und Forderns, die droht mich in die Knie zu zwingen.

Wenn ich dem aber nachgebe – wenn ich mich fallen lasse –, wird Hudson aufhören, das weiß ich. Und dafür ist es zu früh, viel zu früh, so beherrscht und voller vornehmer Zurückhaltung, wie er von mir trinkt.

Was die Frage aufwirft: Wenn es sich jetzt so anfühlt, wenn er so ruhig und vorsichtig ist, wie in aller Welt fühlt es sich dann an, wenn er sich gehen lässt? Wenn er so von mir trinkt, wie er es eigentlich möchte?

Ich sehe das Verlangen an den Händen, die meine halten – sie beben vor Zurückhaltung.

Kann es hören an seinen langsamen, achtsamen, gleichmäßigen Atemzügen.

Kann es spüren in der Anspannung seines Körpers, während der er meinen Arm hält, nur nimmt, was er braucht, um überleben zu können.

Und während ein Teil von mir ihm dankbar ist für seine Beherrschung, dankbar für seine Achtsamkeit, ist da ein anderer Teil von mir, der will, dass er die Ketten sprengt, die er sich angelegt hat. Der will, dass er einfach loslässt.

Ich weiß nicht, woher dieser Teil von mir kommt, und ich stelle ihn nicht infrage. Ich kann nicht, nicht während ich in den Wellen unserer gemeinsamen Emotionen ertrinke.

»Hudson«, flüstere ich, denn ich kann es nicht nicht sagen. Es pocht in meinem Blut, durchzuckt meine Seele, schafft eine Verbindung zwischen uns, bei der ich nicht weiß, ob ich für sie bereit bin, nach der ich mich aber plötzlich und verzweifelt sehne.

Er sieht auf beim Klang seines Namens von meinen Lippen und sein Blick hält meinen. Darin steht Distanz, Höflichkeit und einen Moment lang denke ich, dass ich etwas missverstanden habe. Dass all diese Emotionen, die in mir toben, nur meine sind. Aber je länger wir einander in die Augen sehen, desto mehr begreife ich, dass diese Distanz nur vorgetäuscht ist. Darunter tobt eine wilde Sehnsucht, so wie die, die in mir brodelt.

Hudsons Augen verdunkeln sich und er hört auf zu trinken. Will sich von mir lösen.

Es ist immer noch zu früh. Er ist noch nicht fertig – und ganz egal was er denkt, ich bin es auch nicht. Also lasse ich nicht zu, dass er sich von mir löst, strecke die Hand aus und lege sie auf seinen Kopf.

Er erstarrt und eine Frage schleicht sich in seinen Blick, der meinen immer noch hält. Ich lächle und einen Moment – nur einen Moment – lasse ich ihn all das erkennen, was in mir brennt. Das Gute. Das Schlechte. Das, was verletzt ist, und das, was heilt.

Hudson grollt tief in der Kehle. Und dann trinkt er – trinkt wirklich – so, wie er es zuvor nicht getan hat.

Lang. Mächtig. Gierig. Er trinkt und trinkt und trinkt.

Und ich lasse es zu. Nein, ich ermutige ihn, meine Hand in seinem Haar, dränge ihn mehr von mir zu trinken. Sich alles zu nehmen, was er braucht, alles, was er will. Und in diesem kurzen Augenblick tut er es.

Ich weiß nicht, was es bedeutet, und gerade ist es mir auch egal. Ich weiß auch, dass ich nicht für immer so empfinden werde. Bald schon werde ich mich wieder sorgen, zweifeln, bereuen. Aber in diesem Moment halte ich ihn und lasse ihn sich nehmen, was ich ihm so verzweifelt geben will.