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In der Liebe und beim Ringe- werfen ist alles erlaubt

Grace

»ICH VERSTEHE ES NICHT.« HUDSONS STIMME trieft vor Frust, weil sein fünfter Ring von den Flaschen abprallt und ins Aus fliegt. »Der hätte treffen sollen.«

»Hätte, hätte, Sportlerwette«, sage ich und stelle mich für meinen Wurf auf.

Alle wissen, dass dieses Spiel manipuliert ist, aber als ich noch kleiner war, hat Heathers Dad uns einen Trick beigebracht, der fast niemals fehlgeht. Man zielt einfach mit dem Ring auf die Flasche, die man treffen will, dann macht man zwei Schritte nach rechts. Und statt den Ring mit einem Aufwärtsschwung zu werfen, damit er herunterfällt und auf der Flasche landet, wirft man ihn waagrecht.

Wenn die Sterne günstig stehen und das Glück mit einem ist, prallt er von der Flasche ab, die zwei neben der steht, auf die man zielt, und landet dann direkt auf der gewünschten Flasche.

»Ein paar Tipps für die junge Dame?«, fragt der alte Typ, der das Spiel betreut, als ich meine fünf Ringe nehme.

»Ich denke, ich weiß, was ich tun muss«, sage ich und lächle ihn freundlich an. Dann trete ich zurück und werfe den ersten Ring.

Er trifft genau die Flasche, auf die ich gezielt habe, und taumelt um den Flaschenhals.

»Gut gemacht!« Der Mann macht einen Strich auf der Tafel. »Das ist ein Treffer.«

»Zeig mir, wie du das gemacht hast«, sagt Hudson und mustert mich mit schmalen Augen.

»Oh, sieh mal! Da ist Lumi!«, rufe ich und als er sich umdreht, werfe ich den zweiten Ring.

Und sehe voller Zufriedenheit zu, wie auch der einen Flaschenhals trifft.

»Ernsthaft?«, fragt Hudson und ich weiß nicht, ob er sich beschwert, weil ich zwei von zwei geschafft habe oder weil ich ihn hereingelegt habe, damit er mir nicht zusieht. Aber in der Liebe und beim Ringewerfen ist alles erlaubt. Besonders beim Ringewerfen.

»Schaffst du drei von drei?«, fragt der Schausteller, der sich jetzt mehr für mich zu interessieren scheint.

»Ich schaffe fünf von fünf«, sage ich. Und drehe mich gerade so weit, dass mein Rücken Hudsons Blick darauf versperrt, wie ich den dritten Ring werfe.

»Drei von drei«, murmelt Hudson.

Ich werfe den vierten und fünften Ring, einen direkt nach dem anderen, und dieses Mal versuche ich nicht zu verbergen, was ich tue. Sie landen beide auf den Flaschenhälsen und der Jahrmarktstyp kräht: »Toll gemacht! Das habe ich noch nie gesehen!«

Hudson klatscht nur, ein breites Grinsen im Gesicht, das mich auch zum Grinsen bringt.

»Welchen Preis möchtest du?«, fragt der Typ. »Du kannst unter allem wählen.«

Ich sehe mir die ausgestopften Kuscheltiere an, aber da ist nur eine Sache, die ich will. »Eine Blumenkrone«, sage ich und deute auf die, die ich mir ausgesucht habe.

»Da bekommst du eine für je zwei Ringe«, sagt er. »Möchtest du dann noch eine?«

»Ja.«

Er reicht mir beide und ich setze mir eine auf, bevor ich auch Smokey eine auf den Kopf lege. Sie quietscht und dreht sich und ich richte mich mit einem Lachen wieder auf. Ich lächle Hudson an und er sieht aus, als wolle er etwas sagen, aber dann schüttelt er nur den Kopf.

Er richtet ihre Krone ein wenig, dann streichelt er Smokeys Wange einmal, zweimal. Dann nimmt er meine Hand und führt uns zum nächsten Spiel.

»Wütende Clowns sind mein Spiel«, sagt er. »Das spüre ich.«

Ich bringe es nicht übers Herz ihm zu sagen, dass sie unten beschwert sind, sodass es beinahe unmöglich ist sie umzustoßen. Andererseits ist er ein Vampir, also vielleicht …

Fünfzehn Sekunden später beschließe ich, dass die Vampirtheorie etwas für sich hat, da er den ersten Clown mit dem Ball getroffen und gleich die ganze Reihe erledigt hat.

»Das ist, äh, sehr beeindruckend, junger Mann«, sagt der Budenbesitzer. »Welchen Preis möchtest du gerne?«

Hudson sieht auf die Schüssel vor sich. »Ich habe noch zwei Bälle.«

»Stimmt.« Der Mann klingt nicht besonders begeistert. Er tritt auch einen großen Schritt zurück, als Hudson sich für seinen Wurf bereit macht.

Er schafft drei von drei und wählt ein riesiges Einhorn als Gewinn – was er mir mit einem Lächeln überreicht. »Ich sagte ja, dass Wütende Clowns mein Spiel sind.«

»Sie müssen eine verwandte Seele gespürt haben«, erwidere ich, umarme das Einhorn aber extrafest. »Wie soll ich sie nennen?«

»Ich habe absolut keine Ahnung.« Er sieht wieder ratlos drein und ich begreife, dass er vermutlich nie ein Kuscheltier hatte – oder irgendein Tier –, dem er einen Namen geben konnte.

Er hatte so ein verdammt einsames Leben. Ist es da ein Wunder, dass er niemandem traut?

»Na, bei Namen darf man nichts überstürzen«, sage ich. »Ich muss darüber nachdenken.«

»Was machen wir jetzt?«, fragt er, nachdem wir einmal zwischen allen Jahrmarktsspielen hindurchgelaufen sind. Es gibt auf dem Festival noch ein paar meiner Lieblingsspiele, aber ich möchte nicht vorschlagen, dass wir sie spielen, denn ich möchte unser Geld nicht verschwenden. Ein oder zwei Spiele, um Hudson zu zeigen, worum es geht, klar. Mehr und es fühlt sich leicht- sinnig an. Immerhin hat nur einer von uns ein regelmäßiges Einkommen.

»Vielleicht sehen wir mal nach den anderen?«, schlage ich deshalb vor.

»Sicher.« Er schlägt den Weg zurück zum Marktplatz ein, passt aber seine Schritte meinen viel kürzeren an.

Wir laufen durch die Menge auf dem Platz und eine junge Frau mit dem niedlichsten kleinen Mädchen mit dichten lila Zöpfen, das lila Zuckerwatte mampft, winkt Hudson zu und ruft über die Musik hinweg: »Hey, Mr V!«

Dann reißt sich das kleine Mädchen los und rennt herüber, um ihre klebrigen Hände, voll mit Zuckerwatte, um Hudsons Taille zu schlingen. Hudson zupft ihr an einem der Zöpfe, dann grinst er. »Na hallo, Miss Ileda.«

Die Mutter des kleinen Mädchens läuft eilig herüber und schüttelt den Kopf, während sie ihre Tochter von Hudson wegzieht. »Na, na, Ileda, mach Mr V nicht schmutzig.«

Ileda macht einen Schritt zurück, streckt den Stab mit der wolkigen lila Süßigkeit in die Luft und fragt Hudson: »Möchten Sie Zuckerwatte, Mr V?«

Hudson erstarrt und ich weiß, dass er abwägt, die Gefühle des Mädchens zu verletzen gegen die Bauchschmerzen, die ihm das einbringen würde.

Da beuge ich mich vor. »Würde es dir was ausmachen, wenn ich mir was nehme? Hudson ist allergisch gegen Zucker, weißt du?«

Das kleine Mädchen nickt und schenkt mir ein breites Lächeln, und ich reiße ein Stück von dem gesponnenen Zucker ab und stecke es mir in den Mund. Ich danke ihr und Hudson sagt, dass sie sich nächste Woche im Unterricht sehen, dann winkt er und nimmt meine Hand, um mich weiter über den Platz zu führen.

Meine Hand ist vermutlich klebrig, aber das scheint ihm nichts auszumachen, also erwähne ich es nicht. Seine starken Finger umschließen meine und ich erwidere den Druck sanft, als wir uns gemeinsam durch die Menge schlängeln.

Wir finden die Troubadoure genau da, wo man sie vermuten würde, inmitten der größten Menge auf dem Platz. Lumi und Orebon spielen und Caoimhe singt, während alle um sie herum lachen und tanzen.

Orebon entdeckt uns in der Menge und winkt, wobei er keine Note auslässt. Und die anderen auch nicht, obwohl sie uns breit angrinsen.

Um mich herum tanzen und jubeln die Leute und werfen Geld in den offenen Instrumentenkasten, der vor Lumis und Caoimhes Füßen liegt. Ich fange auch an zu tanzen. Ich wiege und drehe mich und zapple auf der Stelle.

Ich will Hudson dazu bewegen mit mir zu tanzen, aber er will absolut nicht.

Außer einen Arm auszustrecken, damit ich mich drehen kann, hat er überhaupt kein Interesse daran mein Tanzpartner zu sein.

Je länger wir da sind, desto wilder wird die Menge. Alle sind guter Laune, also wird auch niemand wütend, wenn er angeschubst oder von den Tanzenden angerempelt wird. Doch ich sehe, wie Hudson wachsamer wird, je lauter und betrunkener die Menge wird. Und als jemand rückwärts gegen mich fällt, hat Hudson genug.

Er packt mich sanft und schiebt uns langsam, aber bestimmt weg, bis wir am Rand der Menge stehen. Mehr noch, er platziert sich so, dass er innen und ich außen stehe, sodass ich tanzen und herumwirbeln kann, während er seinen Körper als Mauer einsetzt, um mich zu schützen.

Und ich fühle mich sicher, sicherer als je in einer solchen Situation. Hudson nimmt mir nicht meine Entscheidung. Er versucht nicht mich zum Gehen zu überreden oder mir die Kontrolle zu nehmen.

Er scheut keine Mühen, um die Situation so angenehm wie möglich für mich zu machen, während er mir immer noch die Verantwortung überlässt, was wir tun. Niemand hat das je für mich gemacht, nicht einmal Jaxon, der mich ständig beschützen will, indem er dafür sorgt, dass ich mein Verhalten ändere. Hudson sorgt nur dafür, dass ich den Raum und den Schutz habe, um zu tun, was und wann ich will.

Dafür mag ich ihn sogar noch mehr.

Vielleicht nehme ich deshalb zwischen zwei Songs seine Hand und sage: »Lass uns einen ruhigeren Ort suchen. Nur du und ich.«