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Wer es anbeißt, muss es kaufen

Hudson

GRACE SCHLINGT DIE ARME UM MEINEN HALS und zieht mich so nah an sich, wie es geht. Womit ich völlig einverstanden bin – Grace will ich immer so nah sein, wie sie mich will.

Und als sie ihre Lippen auf meine Wange drückt, vergrabe ich mein Gesicht an ihrem Hals und atme sie einfach ein. Sie riecht so gut, fühlt sich so gut an, dass ich nichts mehr will, als für immer genau hier zu bleiben.

Noch bevor sie den Kopf zur Seite neigt, meinen Hinterkopf mit ihren Händen umschließt und mich an ihren Hals drückt.

Es ist eine sehr offensichtliche Einladung, von ihr zu trinken, und meine Fänge schießen sofort heraus. Doch ich halte mich zurück, lasse mir Zeit. Denn das ist Grace und von ihr werde ich nie genug bekommen.

Von ihr werde ich immer mehr wollen.

Sie seufzt, als ich langsam Küsse in die Kuhle drücke, wo ihre Schulter auf ihren Hals trifft. Ich lächle an ihrer Kehle, dann fahre ich mit den Lippen über die winzigen Sommersprossenkonstellationen, die die Stelle direkt neben ihrem Schlüsselbein zieren. Ich würde sagen, es ist meine Lieblingskonstellation, aber da sind so viele, dass es mir schwerfällt mich zu entscheiden.

Der Stern an ihrer linken Hüfte. Die Spirale auf ihrer rechten Schulter. Die perfekt voneinander entfernt liegende Ansammlung an der Innenseite ihres rechten Oberschenkels. So viele kleine Teile, die meine Grace ausmachen – und ich liebe sie alle.

Ich fange an, an morgen zu denken, daran, was als Nächstes kommt. Wie es sich anfühlen wird, falls das hier das letzte Mal ist, dass ich diese Sommersprossen küsse, das letzte Mal, dass ich sie schmecke.

Doch morgen kommt, ob ich daran denke oder nicht, also konzentriere ich mich diese letzten Momente auf Grace. Besonders da sie sich unter mir windet, die Hand mich fester an ihren Hals presst.

»Bist du sicher?«, flüstere ich. Denn ich werde immer nachfragen, wenn es darum geht. Ich werde es nie für selbstverständlich halten, egal wie oft oder wie Grace mir sagt, dass es okay ist. Sie kümmert sich um mich, aber es ist auch meine Aufgabe, mich um sie zu kümmern.

Sie bewegt den Kopf, sodass ihre Lippen sich auf meine Haut pressen, und ich kann ihr Lächeln fühlen. »Wann bin ich nicht sicher?«, fragt sie.

»Ich habe echt Glück«, flüstere ich und fahre mit den Fingern über die weichen, nach Blumen duftenden Haare und streiche sie beiseite. Dann nehme ich mir ein oder zwei Sekunden, reibe mit dem Daumen über ihr Schlüsselbein, während ich mit den Fängen über ihre Halsschlagader fahre.

Grace keucht auf und biegt den Rücken durch, aber ich warte immer noch. Lasse die freudige Erregung ansteigen, bis sie sich ruhelos an mir bewegt.

Erst da schlage ich zu, meine Zähne durchbohren ihre Haut und der Durst überfällt mich in einer Welle. Sie zieht an meinem Haar, will mich noch fester an sich ziehen, während ich trinke.

Ich lasse mir Zeit, mache langsam, damit ich ihr nicht wehtue. Um sicherzugehen, dass ich nicht zu viel nehme.

Sie schmiegt sich an mich, als ich die Wunden lecke, damit sie sich schließen, ihr Körper umschlingt meinen, bis ich nicht sagen kann, wo ich aufhöre und sie anfängt.

»Ich liebe dich. Für immer«, sage ich.

Ihre Arme packen fester zu. »Ich liebe dich genauso.«

»Da bin ich froh.« Ich drücke einen Kuss auf ihren Mund, dann halte ich sie, während sie langsam in Schlaf sinkt.

Ich brauche etwas länger – mein Kopf ist voll mit Was, Wenn und Wie –, aber schließlich schlafe auch ich.

Früh am nächsten Morgen wache ich auf, weil Grace schreit. Ich fahre im Bett hoch, mein Herz rast und meine Hände sind zu Fäusten geballt, bis ich begreife, dass es nur ein Traum war. Sie hat in meinem Traum geschrien, die echte Grace liegt auf der Seite zusammengerollt und schnarcht leise.

Ich lege mich wieder hin, zwinge mein Herz zur Ruhe. Dabei weiß ich jedoch schon, dass ich unmöglich wieder einschlafen kann. Nicht bei alldem, was uns die nächsten vierundzwanzig Stunden erwartet, mir durch den Kopf geht wie die verfluchteste Filmmontage der Welt.

Ein paar Minuten später gebe ich auf und stehe auf. Dusche schnell. Dann ziehe ich eine Jeans an und gehe in die Stadt. Ich weiß nicht, wie es auf dem Platz und darum herum aussieht, aber ich muss etwas erledigen, bevor Grace aufwacht. Ich hoffe nur, dass einige der Ladenbesitzer den verbrannten Straßen von Adarie trotzen und heute dennoch versuchen ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

Ich schaffe es nicht einmal aus dem Wirtshaus heraus, da hält Nyaz mich an und fragt, ob Grace und ich damit einverstanden wären, die Köder zu spielen, um Souil später am Abend aus dem Haus zu locken.

Ich stimme zu – hauptsächlich, weil ich weiß, dass wir beide das sowieso vorhatten –, dann ziehe ich los, um meine Besorgungen zu erledigen.

Doch als ich aus dem Wirtshaus trete, erkenne ich, dass auf dem Marktplatz noch alles geschlossen ist wegen der ganzen Schäden. Die Leute arbeiten aber schon daran – sie sammeln Müll auf, heben die zerbrochene Einrichtung vom Krankenhaus auf, räumen die zerstörten Freiflächen leer.

Ich bin beeindruckt, wie schnell das alles erledigt wird, vor allem weil die Stadt keinen Bürgermeister mehr hat, der alles anleitet. Soweit ich weiß, ist Souil immer noch in seinem gewaltigen Haus eingesperrt, wartet auf die ersten Strahlen des Sonnenlichts, um alles zu zerstören, was diese Leute gerade reparieren.

Es macht mich wütend, hasserfüllt und ich will nichts mehr, als ihn von Kopf bis Fuß auseinanderreißen. Es ist nicht möglich wegen all der Macht, die in ihm steckt, aber das macht es nicht weniger wahr. Dieser Typ ist ein manipulativer Bastard und die Welt wäre ein viel besserer Ort ohne ihn.

Bald, so verspreche ich mir, gehe über den Platz zu einer der Seitenstraßen, in der die Läden liegen. Bald sorgen wir dafür, dass dieser Arsch nie wieder jemandem schadet.

Das ist ebenso sehr ein Versprechen an mich wie auch an alle, die er verletzt hat, und ich verspreche mir, dass ich es halten werde.

Ein paar der Stadtbewohner kommen auf die Straße heraus, winken mir zu, als ich vorbeigehe. Ich merke mir, dass ich mit Nyaz reden muss, um dafür zu sorgen, dass jeder während des kommenden Kampfs drinnen bleibt.

Die verdammten Wolfswandler knurren und werfen sich in Pose, als ich an ihnen vorbeikomme, und am liebsten möchte ich ihnen etwas zum Knurren geben. Aber ich habe keine Zeit für ihren Schwachsinn – ich will zurück sein, bevor Grace aufwacht –, also gehe ich vorbei, ohne ihnen auch nur einen abfälligen Blick zuzuwerfen. Es schmerzt schon ein wenig, besonders da der kleine, stämmige Wolf ein Grollen ausstößt, von dem er glaubt, dass es mich einschüchtert.

Geschenkt. Ich habe härteren Scheiß, um den ich mich kümmern muss, also mache ich mir nicht mal die Mühe, meine Fänge zu zeigen. Ich halte einfach weiter in den Schaufenstern nach dem Ausschau, was ich brauche.

Ich bin die Hälfte der Straße hinabgelaufen, als ich den perfekten Laden finde und beinahe ohnmächtig werde, weil ich den Besitzer drinnen sehe. Eine Faust umklammert meinen Magen, als ich die Tür öffne, aber ich ignoriere es und trete ein. Nervosität hat hier nichts zu suchen, denn ich habe mich bereits entschieden.

Es ist ein kleiner Laden und ich lasse mir Zeit, bis ich genau das finde, was ich suche. Freude und Entsetzen bekriegen sich in mir.

Eine kurze Unterhaltung mit dem Mann hinter dem Tresen und eine unvermeidbare Wartezeit von fünfzehn Minuten später und ich bin auf dem Weg zurück zum Wirtshaus. Ich zwinge mich nicht zu phaden, jeden Moment zu genießen, den ich erlebe. Es ist schwerer, als es sein sollte, denn Grace schläft vermutlich sowieso noch.

Doch das ist egal, denn bald – sehr bald sogar – werde ich ein für alle Mal herausfinden, was genau Grace will. Und das ist mal so gar nicht beängstigend …