Hallo Warren!
Ich habe eine Weile darüber nachgedacht und beschlossen, dass es albern wäre, mir diese Gelegenheit entgehen zu lassen. Ich hatte Schwierigkeiten, damit klarzukommen, was geschehen ist, aber vielleicht ist gerade das der Grund, wieso ich meine Geschichte erzählen sollte. (Ja, es hat auch geholfen, dass Gertie, um mich zu beruhigen, mir gleich geschrieben hat, dass Sie wirklich sauber sind!)
Wenn Sie sich noch keine neue »Heldin« gesucht haben, würde ich mich freuen, Sie zu treffen, um darüber zu reden. Irgendwann heute wäre super! Sagen Sie einfach Bescheid.
Danke!
Charlene
Ken blickte sich um, weil er ganz sichergehen wollte, dass niemand in der Nähe seines Arbeitsplatzes vorbeiging, bevor er die E-Mail auf seinem Wegwerf-Handy las. Das war bestimmt eine Falle. Er würde sich auf gar keinen Fall mit ihr treffen, doch wenn er einen öffentlichen Ort aussuchte und sie dort warten ließ, konnte er sie vielleicht beobachten und dabei herausfinden, ob sie mit der Polizei zusammenarbeitete oder ob das ein Alleingang war.
Er wollte nicht, dass das Treffen allzu bald stattfand. Sein Nichterscheinen könnte dazu führen, dass sie das als Bestätigung dessen ansah, was sie (und die Polizei?) wahrscheinlich sowieso schon vermutete. Er würde sie auf morgen vertrösten.
Hey, Charlene, es ist schön, von Ihnen zu hören, und ich bin froh, dass Sie es sich überlegt haben! Leider habe ich heute einen straffen Terminplan, kann mir allerdings morgen Vormittag ein wenig Zeit für Sie freischaufeln. Wie wäre es mit Frühstück?
»Er will sich zum Frühstück treffen«, verkündete Charlene.
Nach einer rastlosen Nacht hatte sie entschieden, dass sie nicht paranoid war, und war zu den Bullen gegangen. Gertie war volljährig, und es war noch keine 24 Stunden her, dass sie den Kontakt abgebrochen hatte, aber unter den gegebenen Umständen waren die Beamten mehr als gewillt, sie als vermisste Person einzustufen.
Sie hatten die Angestellten des Shellfish Grotto, die gestern Abend Dienst getan hatten, bereits kurz befragt. Nur zwei männliche Servicekräfte hatten gestern die Schicht gehabt, und keiner von beiden gab zu, Gertie mit nach Hause genommen zu haben. Sie würden deren Alibis noch überprüfen müssen, doch ein Szenario, in dem Gertie von einem Kellner verführt worden war, der zufällig auch für die Entführung ihrer Cousine verantwortlich war, schien weit hergeholt.
Die Polizisten befragten auch ihre anderen Freundinnen und die Familie, um herauszufinden, ob irgendjemand sie gesehen hatte, seit sie nach dem Restaurantbesuch verschwunden war. Der wahrscheinlichste Verdächtige jedoch war Warren, der freundliche Web-Produzent. Die Kellnerin erinnerte sich an Gertie und den Kerl, mit dem sie dagewesen war – Brille, dichter Vollbart, Verband am Hals –, aber ihr war nichts Ungewöhnliches an ihrem Umgang miteinander aufgefallen. Sie glaubte, dass die beiden gemeinsam gegangen wären, hatte allerdings nicht wirklich darauf geachtet. Auf dem Parkplatz gab es keine Überwachungskameras.
Charlene hatte Warren keine Fragen über Gertie gestellt. Sie wollten ihm keinen Hinweis dafür liefern, dass sie ihn verdächtigten. Sie hatten eine Weile diskutiert, ob sie ihm eine E-Mail schreiben sollte oder nicht, dann jedoch entschieden, dass die Möglichkeit, dass er zu einem Treffen auftauchte, das Risiko aufwog, ihn damit misstrauisch zu machen.
Bradley Lugens kam herüber, um auf den Bildschirm ihres Laptops zu schauen. Charlene wünschte, sie wäre in einem Raum voller FBI-Agenten, die fieberhaft daran arbeiteten, jede noch so kleine Spur zu verfolgen, doch hier waren nur sie und Detective Lugens, in einem Besprechungszimmer der Polizeiwache.
»Soll ich darauf drängen, dass wir uns früher treffen?«, fragte Charlene.
»Nein«, erwiderte Lugens. »Sie haben ihn ziemlich kategorisch wissen lassen, dass Sie kein Interesse haben. Wenn Sie einen zu krassen Richtungswechsel vornehmen, weiß er mit Sicherheit, dass etwas im Busch ist. Sagen Sie einfach zu. Und lassen Sie ihn die Zeit und den Treffpunkt vorschlagen.«
Frühstück hört sich toll an, tippte sie. Sagen Sie mir Zeit und Ort, dann bin ich da! Danke!
Nachdem Lugens grünes Licht für die Nachricht gegeben hatte, schickte sie diese ab.
»Sie müssen um viertel vor elf bei der Arbeit sein«, vergewisserte sich Lugens.
»Ja. Mein Chef gibt mir den Tag aber frei, wenn es nötig ist.«
»Nein, bleiben Sie soweit wie möglich bei Ihrem normalen Tagesablauf. Verlassen Sie das Restaurant während der Arbeitszeit nicht. Müssen Sie den Müll rausbringen?«
Charlene schüttelte den Kopf. »Die Tellerwäscher bringen alles zum Container.«
»Okay, gut. Gehen Sie auch nicht zum Rauchen in der Pause raus oder irgendetwas in der Art.«
»Ich rauche nicht.«
»Perfekt. Heute gibt es keine frische Luft oder Sonne für Sie. Ich fahre Sie hin und hole Sie auch wieder ab. Heute Abend schätzen wir ab, wo wir stehen, aber wenn Sie einverstanden sind, kann es sein, dass heute Nacht ein Cop auf Ihrem Sofa schläft.«
»Das wäre wunderbar. Vielen Dank.«
»Ich wünschte, wir könnten mehr tun«, erwiderte Lugens. »Wir haben nicht die Kapazitäten, Sie rund um die Uhr zu bewachen, aber wir werden auf Sie aufpassen, das verspreche ich.«
Lugens fuhr sie in einem Zivilfahrzeug zur Arbeit, erinnerte sie noch einmal daran, das Restaurant nicht zu verlassen, und zwar egal aus welchem Grund, und bat sie, ihn anzurufen, wenn sie mit ihrer Schicht fertig war.
Auf der Fahrt hatte sie den Fehler gemacht, ihn zu fragen, ob er glaubte, dass Gertie noch am Leben war. Er hatte gefragt, ob sie eine ehrliche Antwort wolle. Nach kurzem Zögern, weil sie dachte, es wäre schön, noch einen Moment länger in einer Fantasiewelt zu leben, hatte sie ja gesagt.
»Es kann durchaus sein, dass sie tatsächlich freiwillig mit jemandem nach Hause gegangen ist«, sagte er. »Mit dem verheirateten Kellner vielleicht. Oder mit jemandem, den sie Ihnen gegenüber nicht erwähnen wollte. Das wäre das ideale Szenario. Aber wenn diese Entführungen wirklich auf das Konto eines einzigen Mannes gehen und er sich Ihre Freundin geschnappt hat … nun ja, dann sind das keine guten Neuigkeiten.«
Charlene betrat das Lokal und stempelte ein. Der Laden würde in einer Viertelstunde aufmachen, daher waren alle gerade mit den entsprechenden Vorbereitungen zugange. Sie ging hinüber in den Küchenbereich, wo Marco damit beschäftigt war, grüne Paprika zu würfeln.
»Wo ist Travis?«, fragte sie.
»Der kommt später. Er muss noch ein paar Erledigungen machen.«
»Er kommt später, weil er was zu erledigen hat?«
»Das hat er gesagt, ja.«
»Das klingt aber gar nicht nach ihm. Hat er gesagt, was genau er zu erledigen hat?«
»Nee«, gab Marco zurück. »Ich habe auch nicht gefragt. Ist nicht meine Art, den Chef zu verhören.«
»Okay, danke.« Charlene kehrte ins Hinterzimmer zurück, holte ihr Telefon heraus und rief Travis an. Sie erreichte nur seine Mailbox.
Dann tippte sie eine SMS. Hey, ruf bitte direkt zurück. Gertie ist verschwunden.
Moment. Charlene übertrieb wahrscheinlich, was das Ausmaß dieser Sache anging, aber falls Travis wirklich in Gefahr war, hätte der Täter womöglich auch Zugriff auf sein Telefon. Also löschte sie die Nachricht und schrieb eine neue.
Hey, ruf doch mal an, wenn du Zeit hast. Vielleicht muss ich morgen etwas später anfangen.
Sie schickte sie ab und hoffte auf eine umgehende Antwort, denn dann könnte sie ihn anrufen, um seine Stimme zu hören.
Keine Antwort.
Das war noch kein Grund, auszuflippen, aber sie rief Lugens an und gab ihm Bescheid.
Der Tag machte sie zunehmend wahnsinnig. Charlene wollte irgendetwas tun, um zu helfen, aber es gab absolut nichts, was sie tun konnte, ohne Gertie (und Travis?) noch mehr in Gefahr zu bringen. Sie würde sich an Lugens Mahnung halten und im Restaurant bleiben. Alles andere wäre dumm. Was bedeutete, dass sie nichts tun konnte außer Essen servieren und hilflos darauf hoffen, eine Antwort von Gertie oder Travis zu bekommen.
Keiner von beiden schrieb zurück.
Sie versuchte, sich an irgendetwas zu erinnern, dass sie übersehen haben könnte, doch die Situation schien ziemlich eindeutig: Gertie hatte sich mit »Warren« zum Essen getroffen, und er hatte sie gekidnappt. Die einzige Frage war, ob sie noch lebte.
Charlene glaubte, dass sie noch am Leben war.
Sie glaubte aber auch an die Möglichkeit, dass sie sich damit etwas vormachte.
Auch wenn sie niemandem Lasagne in den Schoß kippte, war ihr Umgang mit den Gästen während der ersten Stunden ihrer Schicht nicht besonders aufmerksam oder freundlich, und entsprechend fiel auch ihr Trinkgeld aus. Außerdem musste sie in den Kühlraum gehen, die Tür hinter sich schließen, sich die Schürze gegen den Mund drücken, um damit ihren frustrierten Schrei zu ersticken.
Alles tat weh.
Gerties Finger natürlich am schlimmsten, gefolgt von den Stichwunden an ihren Beinen. Der Rest ihres Körpers litt Qualen, weil sie im Käfig so wenig Bewegungsspielraum hatte. Sie konnte sich nicht vorstellen, wie es sich anfühlen würde, wäre sie nicht dünn. Sie hatte zusätzlich auch noch hämmernde Kopfschmerzen, und ihr war furchtbar schlecht.
Aber sie war noch nicht bereit zu sterben.
Ihr Körper war übel zugerichtet, doch sie hatte noch immer einen starken Kampfeswillen. Wenn Ken oder Vivian sich zu nahe an den Käfig heranwagen sollten und auch nur einen Augenblick lang nicht wachsam genug wären, würde sie ihnen die Visage mit den Zähnen herunterreißen. Sie würde nicht in diesem gottverdammten Käfig sterben.
Allerdings hatte sie keinen Schimmer, wie sie es vermeiden konnte, in diesem gottverdammten Käfig zu sterben.
Hin und her zu schaukeln brachte nichts. Sie hatte gehofft, dass sich dadurch die Verankerung aus der Decke lösen würde, aber das war nicht geschehen, und irgendwann war sie zu erschöpft gewesen, um es weiter zu versuchen. Im Käfig auf und ab zu hüpfen – nicht, dass sie dazu wirklich den Platz gehabt hätte – hatte auch nichts genützt. Ihr Gefängnis war kein behelfsmäßig zusammengezimmerter Verschlag.
Sie hatte eine Weile lang um Hilfe geschrien, aber natürlich war niemand gekommen, um nach ihr zu sehen, und am Ende tat ihr bloß die Kehle weh.
Da Schaukeln und Schreien nichts nützten, blieb ihr als Option zur Flucht … gar nichts mehr.
Gar nichts, es sei denn, Ken oder Vivian fanden doch noch etwas Menschlichkeit in ihren Herzen.
Oder kamen ihr zu nahe.
Vivians Wagen stand nicht in der Einfahrt, als Ken nach Hause kam. Er betrat das Haus und ging nach oben in Jareds Zimmer. Sein Sohn starrte auf ein Videospiel, mit dem er gerade beschäftigt war. Keine Überraschung.
»Wo ist deine Mom?«, fragte Ken.
Jared zuckte die Achseln.
»Würdest du kurz Pause drücken und mich ansehen?«
Jared stoppte das Spiel. »Ich sagte, ich weiß nicht, wo sie ist.«
»Sie hat dir auch keine SMS geschrieben oder sowas?«
»Es lag ein Zettel auf dem Küchentisch.«
»Was stand drauf?«
»Sowas wie: ›Bin unterwegs & bald zurück‹.«
»Das hättest du mir auch direkt sagen können, statt erst einmal so zu tun, als wüsstest du nicht, wovon ich rede.«
»Du hast gefragt, ob ich wüsste, wo sie ist«, merkte Jared an.
Ken entschied, dass es ihn nur seinen Verstand kosten würde, wenn er diese Unterhaltung weiter fortführte. Er war sehr an Vivians Verbleib interessiert, daher war er nicht sicher, ob er auf den schwach in der Luft hängenden Marihuana-Duft eingehen sollte. Allerdings wollte er auch nicht, dass Jared glaubte, er würde nichts merken. »Könntest du zumindest versuchen, den Hasch-Geruch zu beseitigen, statt anzunehmen, ich würde das nicht schnallen?«
»Ich habe kein Gras geraucht«, gab Jared zurück. »Ich nehme keine Drogen.«
»In Ordnung, du Klugscheißer, wieso riecht dann dein Zimmer danach?«
Jared zuckte die Achseln.
»Ich kann das auch selbst beantworten. Es riecht nach Hasch, weil du hier drin einen Joint geraucht hast, bevor ich nach Hause gekommen bin, und du dir dann kaum Mühe gegeben hast, den Geruch loszuwerden. Entweder, weil du verdammt faul bist, oder weil du dachtest, es wäre mir egal.«
»Wenn ich einen geraucht habe, wie kommt es dann, dass ich nicht high bin?«
»Woher soll ich wissen, dass du nicht high bist? Glaubst du etwa, dass du ein solch brillanter Gesprächspartner bist, dass du auf keinen Fall high sein könntest?«
»Sag mir, ich soll rückwärts zählen oder sowas.«
Ken seufzte und verließ das Zimmer. Er würde es später durchsuchen. Er hasste es, sich das über seinen Nachwuchs eingestehen zu müssen, doch Jared war höchstwahrscheinlich dumm genug, selbst nach ihrer Unterhaltung den Beweis in seinem Zimmer zu lassen.
Er ging die Treppe hinunter und schrieb Vivian, um herauszufinden, wo steckte. Sie schrieb zurück, dass sie im Haus wäre.
Nein, bist du nicht. Ich bin zu Hause.
Du weißt, welches Haus ich meine. Komm hierher.
Wieso zur Hölle war sie in dem anderen Haus? Ken fluchte in sich hinein und rief nach oben: »Hey, ich bin eine Weile weg! Abendessen musst du dir selbst machen!«
»Kann ich Geld für eine Pizza haben?«, rief Jared zurück.
»Nein. Im Kühlschrank sind noch Reste von gestern.«
Jared erwiderte nichts darauf, jedenfalls nichts, was Ken hören konnte. Er verließ das Haus und stieg erneut in den Wagen. Er rief Vivian an, während er den Motor anließ.
»Hi«, sagte sie leise.
»Wieso bist du überhaupt dort?«
»Wir sollten von Angesicht zu Angesicht darüber reden.« Ihre Stimme klang monoton.
»Gib mir wenigstens einen Hinweis.«
Ein Moment des Schweigens folgte. »Wir sollten von Angesicht zu Angesicht darüber reden.«
»Wird mich das unglücklich machen?«
»Du vergeudest bloß Zeit. Komm einfach her.«
»Nein, ich vergeude keine Zeit. Ich fahre ja nicht langsamer, nur weil ich gleichzeitig spreche. Ich hätte gern eine ungefähre Vorstellung davon, was gerade vor sich geht.«
Sie legte einfach auf.
Ken rief nicht zurück. Wenn sie beschlossen hatte, es ihm nicht am Telefon zu erklären, half es auch nichts, sie anzuschreien. Er würde es sehen, wenn er dort eintraf. Er wusste schließlich nicht, ob es tatsächlich etwas Schlimmes war. Vielleicht würde er Charlene im Wohnzimmer vorfinden, verpackt wie ein Geschenk und bereit für ihren Käfig.
Er versuchte sich auf dem Weg zu ihr auf diese Möglichkeit zu konzentrieren, weil ihm das deutlich lieber war, als darüber nachzudenken, was sie Schreckliches getan haben könnte.
20 Minuten später erreichte er das Haus. Vivian saß auf der Couch, die Hände im Schoß, das Gesicht ausdruckslos. Dies war definitiv kein Szenario, das Raum ließ für: »Überraschung, ich habe ein Geschenk für dich!« Er schloss die Haustür und wartete darauf, dass sie etwas sagte. Als ihm klar wurde, dass sie ohne Aufforderung nichts erzählen würde, fragte er sie, was los war.
Vivian klopfte auf das Sofapolster neben sich. Ken setzte sich.
»Du machst mir Angst.«
Sie atmete tief ein. »Ich habe etwas getan, das ich bereue.«
»Das habe ich mir bereits gedacht. Was hast du getan?«
»Du musst mir versprechen, dass du nicht sauer wirst.«
»Nein.«
»Es ist nicht so schlimm wie das, was du getan hast.«
»Um Himmels Willen, Vivian, nun sag mir doch einfach, was du getan hast! Hast du Gertie umgebracht?«
Vivian schüttelte den Kopf.
»Dann rede! Spuck es aus! Du machst mich noch irre!«
»Jetzt bin ich mir erst recht nicht mehr sicher, ob du damit klarkommst.«
Ken stand auf und widerstand dem Drang, gegen die Couch zu treten. Er stürmte aus dem Wohnzimmer, ging in den Flur. Gerade als er die ersten zwei Ziffern des Codes für die Kellertür eingegeben hatte, bemerkte er den Ammoniak-Geruch. Der Teppich war feucht.
Er ging in Darrells Schlafzimmer. Der Geruch nach Reinigungsmitteln war hier weitaus stärker. Zusätzlich zum feuchten Teppich war auch das Bett komplett abgezogen, und selbst die Matratze war nass, als wäre sie geschrubbt worden.
Der Gedanke eines wie ein Geschenk verschnürten Opfers rückte in weite Ferne.
Er kehrte ins Wohnzimmer zurück.
»Okay«, sagte er und bemühte sich, ruhig zu klingen. »Ich schwöre dir, dass ich nicht sauer werde. Sag mir einfach nur, was du getan hast. Wir stehen das gemeinsam durch.«
»Du weißt doch, das Mädchen, hinter dem du her bist? Die aus den Nachrichten? Die, deren Freundin im Keller hockt?«
»Ja, ich weiß, von wem du sprichst. Sie heißt Charlene. Hast du sie umgebracht?«
»Nein. Aber ihren Chef.«
»Wie?«
»Ich habe ihn hierher gebracht und erstochen.«
»Hast du Sex mit ihm gehabt?«
»Nein. Natürlich nicht.«
Kens Gesicht fühlte sich an, als stünde es in Flammen. Er wollte hinübergehen und ihr die Scheiße aus dem Leib prügeln, aber natürlich würde er niemals die Hand gegen sie erheben. Er versuchte herauszufinden, was er sagen sollte, konnte jedoch keine Antwort formulieren, die aus mehr als einer Reihe von Schimpfwörtern bestand, also ging er stattdessen um runterzukommen, ein paar Augenblicke lang auf und ab.
»Es ist deine Schuld«, stellte Vivian fest.
»Warum zur Hölle sollte das meine Schuld sein?«
»Du hast mein Vertrauen missbraucht. Und mich damit dazu gebracht, dass ich auch Spaß haben wollte.«
»Und darüber konntest du nicht mit mir reden?«
»Du hast auch nicht mit mir gesprochen.«
»Doch, das habe ich.«
»Nein, du hast mir die schlimmsten Details verschwiegen. Du hast mir erzählt, die Frauen wären längst tot. Du hast mir nichts von dem verkommenen Scheiß im Keller erzählt. Du hast mir nichts von diesem Haus erzählt. Wage es ja nicht so zu tun, als wärst du immer vollkommen ehrlich zu mir gewesen.«
Ken marschierte weiter nervös auf und ab. »Na schön. Na schön. Du hast ihren Chef umgebracht. Muss ich nun jede Minute damit rechnen, dass die Bullen uns hier die Tür eintreten?«
»Natürlich nicht. Ich war vorsichtig.«
»Wie vorsichtig? Du bist seit 20 Jahren aus der Übung.«
»Niemand weiß irgendetwas.«
»In Ordnung. Scheiße. Wie weit bist du gegangen?«
»Was meinst du damit? Ich habe dir doch gesagt, dass ich ihn erstochen habe. Weiter konnte ich wohl kaum gehen.«
»Du hast ihn auf dem Bett erstochen. Wie weit ging das? Habt ihr euch nackt in den Laken gewälzt? Hast du ihm einen geblasen? Habt ihr rumgemacht? Was ist passiert?«
»Er dachte natürlich, er könnte mich flachlegen«, sagte Vivian, »aber es ist nichts passiert. Ich sagte, ich wolle ihm den Rücken massieren, um ihn zu entspannen. Alles, was er bekommen hat, war das Messer.«
Ken war nicht völlig überzeugt, dass Vivian die Wahrheit sagte, auch wenn sie seinem Blick nicht auswich oder herumzappelte oder sonst irgendwie mit ihrer Körpersprache verriet, dass sie womöglich log. Wenn sie den Kerl geküsst hatte, um ihn ins Bett zu locken … nun er würde einfach nicht weiter darüber nachdenken.
»Ich wünschte, du hättest das nicht getan«, sagte Ken.
»Wünschte ich auch«, gab Vivian zu.
Ken seufzte. »Na ja, was getan ist, ist getan, oder? Offensichtlich können wir ihn nicht wieder zum Leben erwecken. Wir werden nur sichergehen müssen, dass wir deine Spuren komplett verwischen.«
»Das habe ich bereits gemacht«, erwiderte Vivian. »Niemand wird es je herausfinden.«
»Na schön. Gibt es sonst noch etwas, das ich wissen sollte?«