Kapitel 17 Alec
„Haut alle ab! Sonst rufe ich die Polizei!“
Alec brüllte die Worte in Richtung der wartenden Journalisten und hob drohend die Faust. Für einen Augenblick verstummte die Meute, starrte ihn überrascht an. Aber schon redeten sie wieder durcheinander und tippten in ihre Handys. Die Wut brodelte heiß in Alec, aber er drehte sich ab und stapfte zurück ins Haus. Lautstark ließ er die Tür ins Schloss fallen und lehnte sich erschöpft dagegen.
Was zur Hölle ist hier eigentlich los? Mühsam versuchte er zu verstehen, aber nichts ergab Sinn. Die Journalisten wollten zu Henry? Langsam setzten sich die Informationen in Alecs Kopf zusammen. Der Sohn eines Earls, der viele Jahre das Haus nicht mehr verlassen hatte, nein das wäre sicher keine Schlagzeile wert. Aber Rose Heartbridge – die sich plötzlich als Mann herausstellte. Ja! Das war doch ganz nach dem Geschmack der Presse! Wer wusste alles davon? Alec überlegte. Betty, Laurence mit Sicherheit, er selbst und ... Im nächsten Augenblick zog er sein vibrierendes Handy aus der Tasche .
„Es tut mir so leid“, flüsterte Eddy mit brüchiger Stimme.
„Fuck! Henry hat dir vertraut.“
Alec musste sich bemühen, seinen Ton unter Kontrolle zu halten. In ihm tobte ein wilder Sturm. Seine eigene Schwester hatte das Chaos verursacht?
„Aber ich wollte das doch nicht! Ich hab das Buch mit zu einem Test genommen, den ich für den Onlinekurs schreiben musste. Und dann ...“ Sie räusperte sich und jetzt klang ihre Stimme tränenerstickt. „Ich war so aufgeregt. Mann, Alec! Ich hab’s einfach in der U-Bahn liegen lassen. Gemerkt habe ich es erst zuhause.“
„Und jemand hat es der Presse gesteckt?“ Alec war immer noch verwirrt.
„Schlimmer. Ins Internet gestellt. Ist schon ganz oft geteilt worden und jemand wusste offenbar, dass Henry bei Betty unter Vertrag ist. Der war wohl ziemlich wütend auf Betty und hat nur auf eine Gelegenheit gewartet, ihr das Geschäft zu versauen, flüstern sie jedenfalls im Netz. Mist! Die habe ich jetzt geliefert“, krächzte sie und musste sich die Nase putzen. „Es tut mir so furchtbar leid.“
„Du hättest das verdammte Buch gar nicht mitnehmen dürfen!“
„Ich weiß. Aber ... es war doch nicht mal sein voller Name“, sagte sie leise und weinte hörbar. „Wie geht’s ihm denn? Kann ich mit ihm sprechen?
„Er ist auf dem Weg in eine Privatklinik.“ Alec sprach tonlos und wollte die Worte selbst nicht glauben.
„Scheiße!“ Sie konnte nicht weiterreden.
Die Sorge verdrängte die Wut in Alec. „Keine Ahnung. Ich hab ihn in der Dusche gefunden, zum Glück ansprechbar. Ich muss jetzt zu ihm.“
Sie schluchzte etwas Unverständliches und Alecs Wut auf sie verrauchte völlig im Mitgefühl. Natürlich hatte sie das nicht gewollt. Und diese Folgen hatte niemand absehen können. Dass es da draußen viele Menschen gab, die nur darauf warteten, Betty, the Bitch in die Pfanne zu hauen, egal wer dafür leiden musste – Alec hatte keinen Zweifel daran.
„Schon gut. Beruhig dich und sprich mit Mum. Ich melde mich wieder.“
Er beendete das Gespräch und hastete die Treppen nach oben. Eilig nahm er seine Tasche, kippte den Inhalt auf das Bett und begann im Schlafzimmer, Henrys Kleidung aus dem Schrank zu nehmen und einzupacken. Zum Glück besaß der unzählige, offensichtlich im Internet bestellte, Jogginghosen und T-Shirts. Schnell packte er noch einen Stapel Unterhosen dazu. Um eine der engen weißen Briefs krampfte er seine Hand.
In Alecs Kopf formte sich das Bild der letzten Nacht, als er Henry genauso eine Unterhose über den Hintern geschoben hatte, bevor er seine Lippen über den flachen Bauch hatte gleiten lassen, so lange bis Henry sich unter ihm gewunden hatte, Alec die Hüften sehnsüchtig entgegen geschoben hatte.
Und dann sah er Henry – wie er, nur wenige Stunden später, verdreht in der Dusche lag, ein dünnes Rinnsal Blut lief an den Kacheln hinunter, verschwand im Ausguss. Alec ballte seine Hand zur Faust. Er hatte sich nicht einmal getraut, Henry anzufassen, aus Angst, ihn noch mehr zu verletzen. Und dabei wollte er ihn nur aus der Dusche und ihn seine Arme ziehen.
„Ich muss zu ihm“, murmelte er. Was, wenn Henry schwer verletzt war?
Alec schüttelte den Kopf, aber die Sorgen wollten nicht verschwinden. Hastig suchte er im Bad den Rasierer und das After Shave. Die hübsche Glasflasche war inzwischen kaum noch von Staub bedeckt. Alec strich über die kühle Oberfläche und musste hart schlucken. Nur einmal hatte er erwähnt, dass er diesen Geruch an Henry mochte.
Schnell packte er alles ein, schloss die Tasche, nahm seinen Rucksack im Flur und sprintete die Treppe hinunter. Im Eingangsbereich lag sein Helm. Alec griff danach und eilte vorbei an den wartenden Presseleuten zu seinem Motorrad. Bevor sie ihn erreichen konnten, hatte er alles verstaut und schwang sich auf die Maschine. Ich bin gleich bei dir! Langsam fuhr er auf die Straße und überlegte, wie er am schnellsten nach Süd-London kommen konnte. Clapham. Verdammt! Muss es eine Nobel-Klinik so weit draußen sein? Mit diesem Gedanken war er auf dem Weg und dieses Mal schien die Angst um Henry mitzufahren.
Ausgerechnet heute! Mit einem tiefen Seufzen stieg Alec von seiner Maschine, zog den Helm ab und verstaute ihn sicher in der Gepäckbox. Zwei verfluchte Stunden hatte er gebraucht, so verstopft waren die Straßen gewesen. Dann nahm er die Tasche heraus und betrachtete für einen Augenblick das weiße Gebäude, vor dem er parkte.
Nur drei Stockwerke hoch war der moderne Bau. Halbrund ragte ein gläserner Eingang heraus. Nazareth – Private Klinik – stand in dezentem Schwarz auf der Vorderseite.
Der Gedanke an das dauer-überfüllte staatliche Krankenhaus, in dem seine Mutter Monate hatte verbringen müssen, tauchte in seinem Kopf auf. Die Nazareth-Klinik hingegen lag in einer hübschen Seitenstraße von Süd-Clapham, eingebettet von schmucken, viktorianischen Einfamilienhäusern.
Eilig betrat er das Foyer. Heller Marmor bedeckte den Fußboden, große Kübel voller Grünpflanzen waren überall aufgestellt. Mit schnellen Schritten hastete er zur Anmeldung. Eine Frau, die mehr wie die Empfangsdame eines Hotels gekleidet war, sah ihn prüfend an.
„In welchem Zimmer liegt Henry Quincy? Ich bringe seine Sachen“, sagte er atemlos.
Die Frau schob ihre winzige Brille zurecht und musterte Alec von Kopf bis Fuß. Dann senkte sie ihren Blick und ließ ihren Finger über eine Liste streifen.
„Lord Quincy empfängt keinen Besuch. Sie können die Tasche hierlassen“, erklärte sie affektiert.
Alecs Finger krampften sich um die Schlaufen. Fest presste er die Lippen zusammen, um die Frau nicht anzuschreien.
Dann atmete er tief ein und aus. „Rufen sie ihn an! Sagen sie ihm, dass Alec hier ist!“ Mehr brachte er nicht heraus.
Mit einem aufgesetzten Lächeln schüttelte sie den Kopf und warf einen Blick zu den Männern von der Security, die links und rechts neben den Aufzügen standen.
„Bedaure. Die Anweisung ist eindeutig: Lord Quincy empfängt niemanden!“
„Verflucht! Rufen sie ihn an!“
Alecs Hand knallte auf die Theke der Anmeldung. Und schon waren die Jungs in Blau neben ihm. Aber ich muss ihn jetzt sehen! Zum Kampf bereit ballte Alec die Faust und wusste doch, es war zwecklos. Gleich würden sie ihn abführen. Weg von Henry. Verzweifelt legte er den Kopf in den Nacken und schloss die Augen.
„Alec?“ Er schreckte zusammen. Neben der Anmeldung stand: Laurence und sah ihn fragend an. „Was geht hier vor?“, wollte er wissen.
„Ich will nur zu Henry.“ Alec atmete erleichtert aus.
Wo immer Laurence gerade hergekommen war, es war ihm egal! Hauptsache, sie würden ihn in diese bescheuerte Krankenanstalt lassen.
„Wo ist das Problem?“ Laurence sah die Dame hinter der Anmeldung mit einer hochgezogenen Augenbraue an.
Wieder zeigte sie ihr falsches Grinsen. Alec fühlte erneut Wut in sich aufsteigen.
„Auf meiner Liste ist vermerkt, dass Lord Quincy auf keinen Fall Besuch empfangen möchte.“
„Korrekt. Das war meine Anweisung. Dieser Herr ist aber kein Besuch. Fügen Sie seinen Namen zur Familienliste hinzu“, sagte Laurence knapp.
„Alec Prince“, sagte er schnell.
Sie verzog ihren rot geschminkten Mund. Betont langsam blätterte sie eine Seite des großen Buches um und notierte seinen Namen. Alec wollte Laurence umarmen. Wie ein rettender Engel war der aufgetaucht .
„Kommen Sie, hier entlang“, sagte der jetzt und zeigte auf einen Gang, der sich auf der rechten Seite öffnete. Chirurgie/Neurologie stand darüber.
Die Tasche fest in der Hand folgte Alec ihm. Der Gang war breit und hier und da hingen Bilder an den Wänden, Blumen und Grünpflanzen waren auf kleinen Tischen aufgestellt. Am Ende befand sich ein hübscher Springbrunnen, dahinter eine weitere Glastür, die in einen kleinen Garten führte. Alles hier machte den Eindruck eines Hotels. Beeindruckt schüttelte Alec den Kopf.
Endlich blieben sie vor einer Tür stehen. Mit ernstem Gesichtsausdruck drehte Laurence sich zu ihm um.
„Henry geht es den Umständen entsprechend gut. Er hat keine Knochenbrüche, nur einige heftige Prellungen. Die Wunde am Kopf war klein und ist versorgt. Was den Ärzten mehr Sorgen bereitet, ist die multiple Sklerose. Offensichtlich hat er einen heftigen Schub und das sicher seit Tagen, wenn nicht seit Wochen.“
Alec schluckte betroffen. „Er ist unsicher gelaufen, aber ich dachte, es wäre, weil er viel arbeitet.“
Laurence nickte. „Diese Klinik war eine gute Wahl. Henry hat sich hier während des ersten Schubs behandeln lassen. Daher haben sie vorsichtshalber ein MRT angefertigt. Zwei seiner Entzündungsherde im oberen Rückenmark sind aufgeflammt. Er hängt schon am Kortisontropf. In den nächsten vier Tagen wird er weitere hohe Dosen bekommen und wir hoffen alle, dass es ihm dann besser geht. Aber er kann so nicht weitermachen! Er muss mehr auf sich achten.“
Unruhig begann Alec, die Finger einer Hand zu bewegen. Er wollte Henry jetzt endlich sehen! „Können wir das mit ihm besprechen?“, sagte er und blickte sehnsüchtig auf die Tür.
„Das werden wir. Henrys Zimmer liegt gegenüber. Ich möchte, dass Sie zuvor jemanden kennenlernen.“
Alec schnaufte ungeduldig. Verflucht! Er musste jetzt zu Henry! Abwehrend hob er eine Hand. „Später! Ich will ihn jetzt wirklich sehen.“
Laurence blinzelte und schwieg für einen Moment, in dem Alec fast die Tür aufgerissen hätte.
„Ich verstehe Sie sehr gut. Es wird nicht lange dauern. Ich möchte nur, dass Sie ihn für einen Augenblick alleine treffen, weil ..., gerade weil sie wichtig für Henry sind. Er hat mehrmals nach ihnen gefragt.“
„Ihn?“ Alec verstand kein Wort.
Aber da hatte Laurence die Tür schon geöffnet und ließ ihn zuerst eintreten. Das Bild von Foyer und Flur setzte sich nahtlos fort. Nur ein Bett stand im Zimmer, das sogar mit einem blauen Teppich ausgestattet war. Rote Vorhänge, Bilder in Blau und Rot an den Wänden und Möbel, wie sie jedes hochpreisige Hotelzimmer zieren könnten, waren zu sehen. Die Fensterbank quoll über von Rosensträußen in unterschiedlichen Farben. Weiße, Rote, Gelbe mit hellerem Rand sogar blaue Rosen sah Alec. Davor stand ein Rollstuhl, in dem ein großer, sehr schlanker Mann saß.
Er hatte den Rücken zu ihnen gewandt und strich gerade selbstvergessen mit einer Hand über ein blaues Blütenblatt.
„Der Farbverlauf ist nicht so kräftig wie bei meinen, nicht wahr?“, fragte er leise, ohne sich umzudrehen.
Alec schreckte zusammen. Er kannte diese Stimme! Aber, wie war das möglich? Vorsichtig kam er einige Schritte näher.
„Dann sollten wir in diesem Laden fragen, ob wir sie beliefern können. Schau, ich habe Besuch mitgebracht.“, sagte Laurence.
„Wirklich?“ Fast erfreut klang es und jetzt drehte der Mann im Rollstuhl endlich seinen Kopf zu ihnen.
Alec zuckte zusammen. Dieser Mann ... die Stimme und die Augen: Er sah aus, wie eine ältere Version von Henry. Dann dämmerte es ihm.
„Schau, das ist Alec Prince. Der junge Mann, der bei Henry lebt. Ich habe dir von ihm erzählt.“ Laurence trat zu dem Rollstuhl und drehte ihn um. „ Alec, das ist Sir William, der Earl of Winchester und Henrys Vater.“
Natürlich ist er das! Alec schluckte trocken, so groß war die Ähnlichkeit. Er kannte Henrys Mutter und hatte sich schon gewundert, denn der blonden Dame mit den blauen Augen sah Henry gar nicht ähnlich. Aber seinem Vater glich er wie ein Adels-Ei dem anderen.
Die gleichen dunkelbraunen Augen, der gleiche schöne Mund, die hohen Wangenknochen. Sir Williams Haar war kürzer geschnitten, wie von Silberfäden durchwirkt und nach hinten gekämmt und die Zeit hatte kleine Fältchen in seine Augenwinkel und um seinen Mund geschnitzt. Gesund sah auch er nicht aus, was noch mehr Übereinstimmungen mit seinem Sohn bewirkte.
Ein immer noch schöner Mann, Anfang 50. Aber seine Haut war blass und für sein Alter war er eindeutig zu schlank. Er hatte die gleichen schönen Hände mit den langen Fingern wie Henry. Hatte der nicht heute Morgen eine Nachricht von Laurence bekommen? Daher wehte also der Wind! Sein Vater war in London und wollte seinen Sohn sehen. Immer noch verwirrt verbeugte Alec sich leicht, so wie er es in den Videos gesehen hatte .
„Freut mich, Sie kennenzulernen, Sir William“, sagte er und so sehr er zu Henry wollte, er war neugierig geworden.
Der kranke Mann stützte seinen Ellbogen auf der Lehne des Rollstuhls ab und strich mit der Rückseite einer Hand über seine Lippen. Er grinste verschmitzt und blinzelte. Alec konnte es kaum glauben. Henry zeigte die gleiche Geste, das gleiche schiefe Grinsen, wenn er wieder einmal nicht zugeben konnte, dass er etwas mochte. Alec fand das hinreißend.
„Die Freude ist ganz meinerseits“, erwiderte Henrys Vater mit einem leichten Kopfnicken. Die dunkle, sanfte Stimme, so ähnlich! Mit geschlossenen Augen hätte er sie nicht auseinanderhalten können, da war Alec sicher. „Setz dich doch einen Augenblick. Henry können wir gleich zusammen besuchen.“
Unwohlsein stieg in Alec auf. Die beiden in einem Zimmer? Das war bestimmt keine gute Idee. Er setzte sich in einen der Ledersessel in der Nähe des Fensters. Dieser Mann wirkte so ... freundlich. Alec spürte keinen Funken Ablehnung, obwohl er doch ein Eindringling war. Na, der gute Sir William wusste ja auch nicht, was er nachts mit seinem Sohn tat. Das dumpfe Gefühl in Alecs Magen pochte stärker. Oh nein! Die beiden Männer konnten auf keinen Fall mit zu Henry kommen! Er wollte ihn doch umarmen und küssen !
„Vielleicht kann ich hier warten. Wenn sie alleine mit ihrem Sohn reden wollen, meine ich“, schlug er vor.
Sir William schüttelte den Kopf. „Bitte. Komm mit“, sagte er so leise, dass Alec es kaum verstand. Das Reden schien ihm schwerzufallen. Laurence seufzte hörbar und Henrys Vater musste sich mehrmals räuspern, bevor er weitersprechen konnte. „Ich glaube, es ist gut für ihn, wenn du dabei bist.“
Alec zog die Augenbraun zusammen. Für den Earl war er doch nur ein Hausmeister, wieso sollte der bei einer Vater-Sohn–Aussprache anwesend sein? „Ich bin doch im Weg. Ich warte!“, sagte er entschlossen.
Der Earl neigte den Kopf langsam zur Seite und atmete eine Weile nur. In Zeitlupe bildete sich ein schmales Lächeln auf seinen Lippen.
„Vor ein paar Wochen kam Laurence aus London zurück. Stell dir vor, hat er gesagt. Henry hat einen Freund, einen wirklich fabelhaften jungen Mann. Als Hausmeister wollte er ihn mir verkaufen“, sagte er und schmunzelte.
Laurence hatte sie durchschaut? Wie war das möglich? Beim Tee? Aber das hieß noch lange nicht, dass er Henry vor den Augen seines Vaters küssen konnte! Und dann wurde es sehr hell in Alecs Kopf.
Henrys Vater hasste ihn nicht dafür, dass er schwul war! Oh Gott, was hatte sich der Herr Autor nur wieder zusammen fantasiert? Was war wirklich zwischen den beiden vorgefallen? Er schüttelte den Kopf, aber seine Gedanken wollten sich nicht ordnen.
Bedächtig legte Sir William den Unterarm ab. „Siehst du, ich habe wenig Zeit und doch bin ich so langsam wie eine Schildkröte.“ Henrys Vater lachte leise und schloss für einen Moment die Augen. Reden, lachen, jede Bewegung schien ihn anzustrengen. Er hob eine Hand und tippte mit einem Finger gegen seine Brust. „Übermorgen adeln sie in dieser Klinik ein Schwein. Amüsant, was? Na, zumindest dessen Herzklappe wird in den Adelstand erhoben, von mir, nicht von der Queen. Und das alles, weil mein ... Butler der Meinung ist, ich sollte versuchen noch ein paar Jahre zu leben. Verständlich, nicht wahr? Er ist ja nicht mehr der Jüngste, aber noch lange nicht im Rentenalter, der gute Laurence. Er braucht den Job.“
Er grinste, als hätte er nicht gerade von einer lebensgefährlichen Operation erzählt, die ihm bevorstand, sondern einen kleinen Scherz über seinen Butler gemacht.
Alec erinnerte sich an jeden Tag, an dem seine Mutter nach dem Schlaganfall im Krankenhaus lag. In diesem verdammten 6-Bett-Zimmer, in dem es immer laut zugegangen war. So sehr sie sich bemüht hatte, aber wie oft hatte sie geweint und er hatte es verstehen können. Eingeschränkt zu sein, im Rollstuhl und dann die Angst, dass ein neuer Schlaganfall folgen könnte. Was war nur mit Henrys Familie los?
Der sagte ihm nicht, wenn es ihm schlecht ging, und sein Vater stand mit einem Bein im Grab und scherzte. Zumindest wollte er sich mit seinem Sohn aussprechen, immerhin.
„Sie sehen, für Sir William ist die Lage immer noch zum Scherzen.“, sagte Laurence ernst und Alec sah den strafenden Blick, den er seinem Chef zuwarf.
Mein Vater hasst mich, seit er weiß, dass ich schwul bin .
Mit diesen Worten hatte Henry das Zerwürfnis erklärt. Aber so sehr Alec sich anstrengte, der blasse Mann, der sich mit viel Würde aufrecht hielt und so bemüht war, die Haltung zu bewahren, wirkte auf ihn nicht wie ein Mensch, der irgendjemanden hassen konnte. Und er hatte doch über Laurence Bemerkung gelacht?
„Henry ist in dieser Klinik geboren. Wusstest du das, Alec?“, fragte Sir William plötzlich.
Unwillkürlich schüttelte Alec den Kopf. „Nein, das hat er mir nicht gesagt.“
Erschöpft stützte Henrys Vater den Kopf in der Hand auf. „Vor fast 29 Jahren. So lange ist das schon her, aber für mich ist es, als wäre es gestern gewesen.“ Seine Augen glänzten feucht. „Mein Stern ... Henry ist das Beste, was mir im Leben passiert ist.
Alec fühlte sich hilflos und fehl am Platz. Wie verzweifelt musste dieser Mann sein, wenn er nun doch seine Haltung aufgab und einem Fremden mit so viel Liebe von seinem Sohn erzählte? Noch dazu, von dem Sohn, der glaubte, von ihm gehasst zu werden.
„Vielleicht reden sie besser mal mit ihm“, sagte er leise.
Sir William nickte schwach. „Du kommst, um ihn zu sehen, und ich belaste dich mit dem Geschwätz eines alten Mannes. Verzeih mir.“
„Lass uns gehen, Will. Henry wird doch nicht zu dir kommen. Und ...“ Laurence seufzte. „Selbst, wenn er nicht deinen sturen Kopf geerbt hätte, er hängt am Tropf und kann nicht aufstehen. Er weiß ohnehin, dass du hier bist und von der OP. Ich habe mit ihn gesprochen.“ Er wandte sich zu Alec. „Danke, dass Sie uns begleiten. Sollten die Herren Quincy am Ende tatsächlich miteinander reden wollen, können wir einen Tee zusammen trinken, was meinen Sie?“
Alec überlegte. Über den dringenden Wunsch, Henry zu sehen, schob sich immer mehr Verwirrung. Als wäre dieser verfickte Tag nicht schon schwierig genug gewesen! Was war das hier eigentlich für eine sonderbare Veranstaltung? Er verstand, was Henrys Vater auf dem Herzen lag. Aber er? Was zum Teufel sollte er denn dabei? Komisch !
Laurence schob den Rollstuhl zur Tür und öffnete sie. Skeptisch trottete Alec hinter den beiden her bis zur gegenüberliegenden Tür.
„Ich weiß nicht“, murmelte Sir William abwesend.
„Doch! Du weißt es! Es ist Zeit.“ Laurence hatte sich nach vorne gebeugt und in Sir Williams Ohr geflüstert. Laut genug, dass Alec es hörte. Dann drehte er sich zu ihm um. „Will möchte, dass sie dabei sind, um Henry zu ... beschwichtigen, falls er sich zu sehr aufregt.“
Alec schluckte. Beschwichtigen? Was hatten die beiden vor?