Lucas vertauscht Chemikalien vorm Chemieunterricht, ritzt in der Sporthalle die Matten auf und verteilt den Schaumstoff, sprüht nachts Sprüche über die sexuellen Vorlieben bestimmter Lehrer an die Schulwände.
Und er hat Talent, dabei nie erwischt zu werden.
Das liegt vor allem daran, dass er seine Kumpel vorschickt, um die Lage zu checken. Dennis, Marcel und Jan sind wie dämliche Wachhunde. Blind gehorsam. Je mehr ich mit Lucas zu tun habe, desto öfter bin auch ich bei seinen Aktionen dabei. Wenn einer von uns bei der Flucht auf der Strecke bleibt und erwischt wird, findet Lucas das besonders lustig. Zum Glück ist mir das noch nie passiert – ich bin vorsichtig, im Gegensatz zu den anderen.
Trotz der spaßigen Aktionen würde ich Lucas nie als Freund bezeichnen. Mit ihm extreme Coups zu landen ist cool, aber es nervt auch, nie etwas Normales mit ihm machen zu können. Immer muss irgendwas Abgefahrenes passieren, sonst lohnt es sich nicht. Und außerdem weiß ich, dass er wirklich krumme Dinger dreht und Zeug auf dem Schulhof vertickt, von dem ich gar nicht genauer wissen will, was es ist.
Mit der Zeit sehe ich zu, nicht nur in Lucas' Dunstkreis rumzuhängen. Inzwischen kenne ich viele Leute aus meiner Klasse näher, aber so richtig dazugehören tue ich nicht. Was auch daran liegen könnte, dass ich keinen Sicherheitsabstand zu Lucas halte.
Und tatsächlich. Im Chemieunterricht werde ich zu Offline-Kevin in eine Arbeitsgruppe gesteckt. Bisher haben wir kaum ein Wort miteinander gewechselt. Ich hab ihn für einen Freak gehalten, stelle jetzt aber fest, dass er ein netter Typ ist. Als wir im Chemiesaal zusammensitzen, fragt er mich direkt, warum ich überhaupt mit Lucas abhänge. Ich antworte, dass ich halt keine Vorurteile hätte. Bullshit, unterbricht er mich, selbst ein Blinder würde sehen, was für ein Arschloch Lucas sei. Ich finde seine Offenheit cool und treffe mich häufiger auch nach der Schule mit ihm.
Kevin ist eines von Lucas' Lieblingsopfern. Bei jeder Gelegenheit kriegt Kevin einen blöden Spruch oder auch mehr ab, aber er nimmt es mit unendlicher Gelassenheit hin. Als ich ihn frage, ob er sich aus christlichen Gründen so verhält – andere Backe hinhalten und so – muss er lachen und meint nur, dass er einfach abwartet, bis es Lucas zu langweilig wird.
Mir jedenfalls wird nicht langweilig – mir ist ein Mädchen aufgefallen. Tina. Vielleicht ist es die entschlossene Art, mit der sie den Schulhof überquert. Oder ihr Lachen. Ich weiß nicht, was es ist, in jeder Pause hoffe ich, dass ich sie sehe. Der Einzige, der es bemerkt, ist Kevin, und als ich feststelle, dass er nichts davon rauslässt, steigt meine Meinung von ihm noch.