Der Twitterangriff

Ein Mann saß in einem Keller in Nordberg und tippte auf einer Computertastatur.

Er hieß Erling Hjort, war dreiundvierzig Jahre alt und wusste alles, was es sich über Computer zu wissen lohnt. Während seine Kumpel ein halbes Jahr mit Abiturfeiern vergeudet hatten, hatte er 1993 sein erstes großes Programm entwickelt und an die Firma verkauft, die damals Televerket hieß und in Norwegen das Monopol auf Telefone hatte. Der Junge war ein aktiver Sportler, und nach dem Abitur machte er beim Sonderkommando der Streitkräfte eine Ausbildung zum Fallschirmjäger. Die Ausbildung beendete er als Zweitbester seines Jahrgangs. Nach zwölf Jahren als Berufsmilitär verliebte er sich zum ersten Mal richtig. Maja war Kapitänin des Heeres und meinte, sie könnten unmöglich eine Familie gründen, wenn beide mit ihren Jobs weitermachten. Dagegen ließ sich nur schwer etwas einwenden. Erling Hjort hörte freiwillig bei den Streitkräften auf, sein großes Computerinteresse hatte nicht abgenommen. Eher im Gegenteil. Während Maja sich auf eine gefahrlosere und vorhersagbarere Stelle in Oslo bewarb, startete Erling Hjort die Telefon- und Computerfirma Broadway. Sechs Jahre später war Broadway das drittgrößte Unternehmen in der Branche. Erling Hjort besaß noch immer ein Drittel der Anteile.

Er war ein respektierter Mann, das wusste er.

Das war wichtig. Schon als kleines Kind war er zielbewusst gewesen. Seine Eltern waren bei einem Unfall ums Leben gekommen, als er zehn Monate alt gewesen war, und er war bei seinen Großeltern aufgewachsen. Der Großvater war ein freundlicher Mann, stellte aber hohe Ansprüche an sich und andere. Vor allem an Erling.

Maja hielt es für den Einfluss des Großvaters, dass Erling so altmodisch war. So kavalieresk , sagte sie. Immer mit einem Lächeln in der Stimme. Ihr Ritter auf dem weißen Ross, auch wenn eine Kapitänin der Streitkräfte so einen doch kaum brauchte.

In der Regel wählte Erling Hjort die Konservativen, wie seine Großeltern es auch getan hatten. Er sprach nicht laut darüber, verschwieg es aber auch nicht, wenn er gefragt wurde. Er war nicht sonderlich politisch interessiert, abgesehen davon, dass er an eine geordnete Gesellschaft glaubte, wo die Gemeinschaft sich um die kümmerte, die Fürsorge brauchten, wo zugleich jedoch an die Einzelnen Anforderungen gestellt wurden. Er ärgerte sich über die Vermögenssteuer, wollte aber dennoch eine Gesellschaft, in der alle Anspruch auf Gesundheitsversorgung und kostenlose Schulbildung hatten.

Nur in einem Bereich konnte er in Rage geraten.

Die Verteidigungspolitik.

Vor achtundsiebzig Jahren war Norwegen nackt und fast wehrlos gewesen, als die Deutschen kamen. Die Politiker der letzten Jahrzehnte hatten daraus nur wenig gelernt. Erling Hjort hegte eine tiefe und stetig wachsende Besorgnis, dass sich der große Nachbar im Osten am norwegischen Territorium bedienen könnte. Die Mitgliedschaft in der NATO , die ihm und anderen Freunden aus der Armee früher eine gewisse Nachtruhe geschenkt hatte, war nicht mehr so beruhigend. Der europäische Zusammenhalt wackelte, mit dem Brexit im Westen und wachsendem Nationalismus im Osten. Die USA , mit ihrem neuen und restlos unvorhersagbaren Präsidenten, waren nicht mehr die Säule der Stabilität, die sie seit der Gründung der NATO 1949 gewesen waren.

Erling Hjort kannte seine Militärgeschichte und sagte deshalb sofort Ja, als er mit achtundzwanzig Jahren von einem Mann kontaktiert wurde, der ihm ein Angebot vorlegte. Es brachte kein Geld ein, war aber das Richtige. So diskret, dass er kaum einen Unterschied bemerkte, wurde er in eine Art stehendes Heer aufgenommen. Er wusste nicht, wie groß es war, und wenig darüber, was es in Friedenszeiten unternahm. Der Mann, der damals Kontakt aufgenommen hatte, hatte ihm einen Satz Codes und schriftliche Anweisungen gegeben, die er auswendig lernte und danach verbrannte. Das Einzige, was für Erling Hjort etwas bedeutete, war, dass er es mit einem Ehrenmann zu tun hatte. Einem Mann, der nur das Beste für Norwegen wollte, der sich in militärischen Belangen auskannte und eine freiheitsliebende Stütze der Gesellschaft war. Ein wahrer Demokrat.

Er befolgte deshalb den Befehl, als der eintraf, wie es ihm von klein auf beigebracht worden war.

Es war das Einfachste der Welt, falsche Twitterprofile anzulegen. Etwas mehr Arbeit machte es, die IP -Adresse zu verbergen. Er hätte natürlich einen Proxyserver benutzen können oder, noch besser, ein VPN , aber keins davon wäre sicher genug. Die Konten durften um nichts in der Welt ausfindig gemacht werden. Erling Hjort wusste Rat, und er brauchte keine drei Stunden, um das durchzuführen. Morgen würde er sich an die nächste Aufgabe machen. Das würde um einiges komplizierter sein.

Aber nicht unmöglich.

Als er zusammenpackte und das Licht ausmachte, um nach oben zu gehen und den Rasen zu mähen, war eine Aktion in Gang gesetzt worden.

Sie würde sich als verblüffend effektiv erweisen.