I

Fünfzehn Tage vor dem Konklave

Der Mann in dem maßgeschneiderten Anzug und dem haarlosen Schädel schnippte mehrmals ungeduldig mit den Fingern, als seine Sekretärin mit den Akten für diesen Morgen hereinkam. Warten zu müssen, während sie eilig den Weg von der Tür bis zu seinem riesigen Schreibtisch zurücklegte, erschien ihm auch heute wieder wie ein gegen ihn persönlich gerichteter Affront. Gereizt griff er nach der obersten der vier Akten. Sie war rot, was für die höchste Dringlichkeitsstufe stand. Während die Sekretärin geräuschlos aus dem Büro huschte, zerteilte er mit dem Zeigefinger das Siegelklebeband, das die Mappe verschloss, und öffnete sie. Dann las er die Aufschrift auf dem Deckblatt.

FERNE MORGENRÖTE

Beginn: 9. September 1974 – Ende: _____________

Angewidert verzog er das Gesicht. Er bevorzugte schlichte Namen gegenüber solch blumigem Firlefanz. Und dass er von dieser Operation noch nie etwas gehört hatte, obwohl sie offenbar vor etlichen Jahrzehnten ins Leben gerufen worden war, kündete von ihrer absoluten Bedeutungslosigkeit. Aber weshalb befand sie sich dann in einem roten Ordner? Falls das ein Fehler war, und es war ganz sicher einer, würde der Schuldige sich unerquicklichen Konsequenzen ausgesetzt sehen. Mit einem ärgerlichen Naseschnauben legte er das Deckblatt zur Seite und begann, die Zusammenfassung auf Seite zwei zu lesen: zunächst eine kurze Analyse der Ausgangssituation, dann eine äußerst ambitionierte Zielsetzung. Das übliche Blabla eben; er überflog es mit geübtem Blick und konzentrierte sich schließlich auf den dritten Absatz, der mit »Eingeleitete Maßnahmen« überschieben war.

Nachdem er ihn gelesen hatte, starrte er eine volle Minute mit ausdruckslosem Gesicht durch die kugelsicheren Scheiben seines Büros nach draußen. Sein Herz schlug so heftig, dass er es in seinem Kopf spürte. Behutsam lockerte er seine Seidenkrawatte. Dann entfernte er sorgsam den Laufzettel, der als Empfänger das Kürzel seines Sekretariats nannte, legte ihn auf die Papiere und schob den ganzen Stapel durch den Schlitz seines durchsichtigen Aktenvernichters. Erst nachdem sich die Papiere vor seinen Augen vollständig in Papierstaub verwandelt hatten, fühlte er sich ein wenig wohler.