XIV

Erster Tag des Konklave

Natürlich hatte man die Polizei verständigt. Der Ordnung halber. Man hatte im Vatikan so seine Erfahrungen: Nach dem Tode von Johannes Paul I., der schon zum Zeitpunkt seiner Wahl schwer krank gewesen war, hatten üble Gerüchte die Runde gemacht, und das nur, weil der Vatikan nicht zugeben mochte, dass die Leiche am Morgen von einer Nonne – also einer Frau – gefunden worden war. Man verstrickte sich aus falsch verstandener Rücksichtnahme in Widersprüche, und bald gab es nicht wenige, die von Mord sprachen. Ganze Bücher waren darüber verfasst worden, einige davon Bestseller. Inzwischen war zweifelsfrei nachgewiesen worden, dass es sich um einen natürlichen Tod gehandelt hatte, aber bei denen, die nicht genau Bescheid wussten – also den allermeisten – hielten sich die Gerüchte. So etwas, das hatte man sich im Vatikan geschworen, durfte nicht noch einmal geschehen. Transparenz lautete jetzt die Losung – zumindest bei allem, was die Presse auch allein herauskriegen konnte. Dottore Gaspari, der nach dem Anruf von Schwester Sophia sogleich herbeigeeilt war, hatte sich davon überzeugt, dass Kardinal Sassi tatsächlich tot war und dass Wiederbelebungsmaßnahmen keine Aussicht auf Erfolg haben würden. Die Sache war ziemlich eindeutig. Sassi war herzkrank gewesen. Zwei Infarkte hatte er bereits gehabt. Auf dem Nachttisch standen ein Döschen mit Tabletten und ein Glas Wasser. Offenbar war der Anfall so stark gewesen, dass er beides nicht mehr hatte erreichen können. Äußere Verletzungen waren nicht vorhanden. Und genau das würde er der Polizei mitteilen. Vielleicht würde die noch eigene Untersuchungen anstellen, aber das dürfte kaum etwas ändern. Gaspari ließ sich schnaufend in einen Sessel fallen und streckte die Beine von sich. Schwester Sophia stand kerzengerade neben der Zimmertür. Bereit. Wofür, wusste sie wahrscheinlich selbst nicht. Sie musterte die Leiche und schüttelte nur wieder und wieder den Kopf, ganz so, als wolle sie ihre Missbilligung über dieses Unglück ausdrücken. Dann stand der Kopf plötzlich still.

»Dottore ...«

Gaspari blinzelte müde zu ihr hinüber. Seine Füße taten ihm weh. »Hm?«

Schwester Sophia zeigte mit ausgestrecktem Arm auf Sassis Kopf.

»Was ist das

Gaspari richtete sich mühsam auf und beugte sich vor.

»Was?«

»Das da! In seinem Mund!« Schwester Sophias Stimme klang schriller, als ihr wahrscheinlich bewusst war. Gaspari kniff die Augen zusammen, vermochte aber nichts zu erkennen. Mit vorwurfsvoller Miene stemmte er sich hoch, trat an die Leiche und kniete sich mühsam auf den glänzenden Parkettboden. Die Schwester hatte recht, da war etwas. Weiß, dünn, kaum zu sehen. Es ragte ganz leicht aus Sassis Mund und klebte an seiner Unterlippe. Gaspari packte das Kinn des Kardinals und legte ihm die andere Hand auf die Stirn. Langsam öffnete er den Mund. Ein weißer Brei kam zum Vorschein; der Mund war voll damit, bis hinten zum Schlund. Nur das kleine Stück an der Lippe verriet noch, um was es sich handelte. Kardinal Sassi hatte Papier gegessen.