Cavellis Wagen war zwar in der Tat alt, allerdings keineswegs – wie Beatrice sehr wohl wusste – eine Rostlaube, sondern ein durch einen Mechaniker von Cavellis Vertrauen tadellos in Schuss gehaltener roter Ferrari 1960 California Spider LWB Competizione. Für ihn und viele andere das schönste Cabriolet, das je gebaut worden war. Deshalb hatte er auch nicht lange gezögert, es zu erwerben, als sich eine seltene Gelegenheit bot, und sich auch von dem astronomischen siebenstelligen Preis nicht abschrecken lassen. Cavelli liebte es, den Wagen auf der Autobahn zu fahren; im staugeplagten Innenstadtverkehr von Rom war der Ferrari ein Tiger in einem engen Käfig, aber außerhalb der Stadt überkam einen das Gefühl, in einem präzise gesteuerten Minijet zu sitzen. Die gut dreißig Kilometer bis nach Tivoli, dem Stammsitz der Familie d’Este, vergingen buchstäblich wie im Fluge, für kurze Zeit waren Cavellis Sorgen weit weg. Der laute Fahrtwind machte jede Unterhaltung fast unmöglich, und so genossen Beatrice und er einfach die Fahrt und die Mittagssonne.
Bald darauf erreichten sie Tivoli. Den zum Palast eines ehemaligen Benediktinerklosters gehörenden Garten hatte im sechzehnten Jahrhundert ein Kardinal, der zugleich auch ein Sohn Lucrezia Borgias gewesen war, anlegen lassen. Dreißig Jahre später hatte sein Nachfolger, Kardinal Alessandro d’Este die Gartenanlage erheblich erweitern lassen, wobei nur erste Künstler wie Gianlorenzo Bernini eingesetzt wurden. Hier in diesem Park mit seinen Grotten, Statuen, Nymphäen, Wasserspielen, über fünfhundert Fontänen, Hanggärten, Laubengängen und einer Wasserorgel befand man sich in einem Paralleluniversum, in dem die normale Welt nicht mehr ganz real erschien.
Vor einer Felswand, aus der mehrere Wasserfälle entsprangen, blieben sie stehen. Beatrice schloss die Augen und atmete den intensiven Duft der Blumen ein.
»Dann erzähl mal, Don.«
Cavelli berichtete von Anfang an, von den Treffen mit Monti und dessen Briefen, wie er Monsignore Rinanzo gefolgt war und schließlich von dem Überfall im Park, bei dem der Angreifer ihn mit Namen angesprochen und gewarnt hatte. Beatrice, die anfangs noch amüsierte Zwischenbemerkungen eingeworfen hatte, war am Ende ernst geworden. Eine Weile sagte sie nichts, dann: »Und was willst du nun von mir wissen, Don?«
»Ich habe mit ... ist ja egal mit wem, ich habe mit jemandem gesprochen, ob es eine technische Möglichkeit gäbe, diesem Rinanzo zu folgen. Er ist der Schlüssel zu alldem, oder zumindest der einzige Ansatzpunkt, den ich bisher sehe. Man sagte mir aber, dass ich dazu die Handynummer brauche, die ich aber nicht habe, und nun bin ich auf der Suche nach einer Möglichkeit, irgendwie an diesen Menschen heranzukommen. Ideen?«
Beatrice sah ihm direkt in die Augen. »Ja, Don. In der Tat. Lass es. Nach allem, was du mir erzählt hast, läuft da eine ganz große Sache, von langer Hand vorbereitet und mit mächtigen Leuten im Hintergrund. Mafia, P2, Opus Dei, CIA, was weiß ich! Aber eins weiß ich, das sind Profis, die vor nichts zurückschrecken. Egal wie sehr du dich diesem Kardinal Monti verpflichtet fühlst, weil er dich um Hilfe bittet, oder meinetwegen auch gegenüber dem Vatikan – mit solchen Leuten legt man sich nicht an, wenn man noch halbwegs bei Verstand ist, Don. Lass es!« Und bevor Cavelli etwas entgegnen konnte, fügte sie mit kühler Logik hinzu: »Außerdem wäre es sinnlos. Denn was kannst du schon ausrichten? Du weißt nicht, wer die sind, und du weißt nicht, was sie vorhaben. Du hast weder irgendwelche Vollmachten noch jemanden, der dich unterstützt. Du kannst nur verlieren. Das Ganze ist ein Himmelfahrtskommando, oder um es weniger heroisch auszudrücken«, sie legte den Kopf schief und blickte ihn mit ihren braunen Augen in einer Mischung aus Ironie und Fürsorge an, »unfassbar dämlich.«
Cavelli sah sie ungläubig an. Sollte das etwa schon der Rat seiner brillanten Freundin Beatrice gewesen sein? »Lass es, Don«? Das konnte nicht real sein. Aber offenbar doch, denn die Fontänen um sie herum sprudelten unermüdlich weiter, als wenn nichts gewesen wäre. Beatrice hakte sich bei ihm ein, und wortlos gingen sie ein Stück weiter. Der Kies knirschte unter ihren Schuhen, und Cavelli versuchte, seine Gedanken zu ordnen. Wenn er es nüchtern betrachtete, hatte sie wahrscheinlich recht. Ganz sicher sogar. Obwohl es ihn innerlich krank machte, das zugeben zu müssen. Es war offenbar eine gigantische Sauerei im Gange, die schon jetzt beträchtliche Schäden verursacht hatte und zweifellos noch weit größere von gar nicht absehbaren Ausmaßen hervorrufen würde, und er sollte nichts dagegen tun können oder genauer gesagt nichts dagegen tun dürfen? Das war einfach zum ...
»Don«, riss ihn Beatrice aus seinen Grübeleien. »Dreh dich nicht um, aber wir werden verfolgt.«
»Was, von wem?« Er wandte suchend den Kopf zur Seite.
»Nicht umdrehen, hab ich gesagt! Da ist ein Mann, der uns schon längere Zeit beobachtet.«
Cavelli widerstand mühsam der Versuchung, sich umzudrehen. »Bist du sicher? Vielleicht nur ein Möchtegernverehrer, der dich anstarrt.«
Beatrice schüttelte den Kopf. »Nein, Don, die sehen anders aus. Die dreisten grinsen mich offen an, und die schüchternen versuchen ungeschickt zu verbergen, dass sie starren. Dieser hier gehört zu einer anderen Kategorie. Er ist schon die ganze Zeit hinter uns, immer gerade so in Sichtweite, aber nie sieht er direkt zu uns rüber.«
»Unfassbar, offenbar überwachen die mich.« Cavellis Miene hatte sich verdüstert.
»Wenn wir Glück haben. Hier im Park gibt es viele einsame Ecken, wer weiß, was er vorhat.« War da ein Anflug von Panik in Beatrices Stimme? »Lass uns bitte gehen, Don, die Sache ist nun endgültig kein Spaß mehr.«
Cavelli umrundete eine Statue, offenbar andächtig ins Studium dieses Kunstwerks vertieft. Jetzt konnte er den Mann sehen. Zumindest für einen kurzen Augenblick, denn gerade in dem Moment, als er in Cavellis Blickfeld kam, drehte er sich weg, so dass sein Gesicht nicht mehr zu sehen war. Nichts an dem Mann war auffällig. Nichts an ihm lud dazu ein, sich an ihn zu erinnern. Wenn einem das erst mal bewusst war, war diese Unauffälligkeit wiederum geradezu auffällig. Cavelli beendete seine Statuenumrundung.
»Okay, aber ganz langsam. Wir sind nur ein harmloses Paar, das sich keiner Gefahr bewusst ist.«
»Ist gut, Don, ist gut, aber lass uns jetzt bitte gehen!« Sie hatte sich wieder eingehakt, und mit der anderen Hand hielt sie seinen Oberarm fest umklammert. Beide versuchten fröhlich und entspannt zu wirken, während sie den nun endlos wirkenden Rückweg antraten. Der Mann folgte ihnen in großem Abstand, machte aber keinerlei Anstalten, etwas zu unternehmen.
Erst auf dem Parkplatz gestatteten sie sich, etwas schneller zu gehen. Als Cavelli den Schlüssel im Zündschloss drehte und der Motor kraftvoll ansprang, hatte er spontan das Gefühl, nie ein schöneres Geräusch gehört zu haben. Während sie vom Parkplatz rollten, sah er im Rückspiegel den Mann ohne Eile in einen silbernen Toyota steigen. Auf der Beifahrerseite, offenbar hatte ein zweiter Mann auf dem Parkplatz die Stellung gehalten. Keiner von beiden war der Mann, der ihn im Borghese-Park angegriffen hatte. Cavelli war sich nicht sicher, ob dies eine gute oder schlechte Nachricht war. Kurz erwog er, die beiden auf der Autobahn abzuhängen. Der Toyota hatte keine Chance gegen den Ferrari, aber was würde das bringen? Diese Leute wussten, wer er war und wo er wohnte. Es galt, harmlos zu wirken. Langsam fuhr er die Autobahnauffahrt hinauf und blieb resigniert auf der rechten Spur, bis er den silbernen Toyota im Rückspiegel auftauchen sah.