Eine Woche später
Es war in den letzten Jahrzehnten schon bei mehreren Gelegenheiten vorgekommen, dass Cavelli Gelegenheit gehabt hatte, mit einem amtierenden Papst einige Worte zu wechseln, meistens bei zufälligen Begegnungen in den Vatikanischen Gärten, doch an diesem Montagmorgen war es zum ersten Mal gewesen, dass er offiziell in den Privataudienzsaal des Papstes gebeten worden war. Obwohl Cavelli Orden und Titel immer für eitle Albernheiten gehalten hatte, musste er doch schlucken, als der Heilige Vater ihm für seine besonderen Verdienste um die Katholische Kirche die höchste Auszeichnung des Vatikan um den Hals legte, den Militia Domini Nostri Iesu Christi, den Orden der Christusritter, ein rotes Prankenkreuz unter einer goldenen Krone, das seit über dreißig Jahren niemand mehr erhalten hatte.
Bei aller Feierlichkeit war es eine stille Ehrung. Außer seiner Heiligkeit und Cavelli war nur der alte (und auch neue) Camerlengo zugegen gewesen. Vom sonst üblichen großen Zeremoniell hatte man abgesehen, es hätte nur unnötig zu Fragen geführt. Mehr noch als der Orden selbst war Cavelli etwas anderes nahegegangen. Bei der Verabschiedung hatte der Papst mit beiden Händen die seine umfasst und dann etwas gesagt, das aus tiefstem Herzen zu kommen schien: »Du gehörst zu uns.«
Den Abend verbrachte er mit Beatrice und ihrem Mann. Zur Feier des Tages hatte er sie zum Essen ins Hotel Hassler eingeladen. Terry starb geradezu vor Neugierde, zu erfahren, was es mit der Ordensverleihung auf sich hatte, aber bevor Cavelli antworten konnte, ließ ihn ein durchdringender Blick Beatrices und ein mahnender Druck ihres Beins gegen das seine unter dem Tisch nur abwinken und leichthin erklären, dass wohl jeder Vatikanbewohner irgendwann einen Orden bekäme, solange er keine silbernen Löffel stahl. Offenbar hatte Beatrice ihrem Mann nichts erzählt und wollte es auch dabei belassen. Cavelli lächelte innerlich bei dem Gedanken, dass sie beide dieses Geheimnis teilten.
Obwohl man die Ehrung zwar nicht an die große Glocke gehängt hatte, war sie dennoch nicht geheim geblieben. In den Listen der vom Vatikan Geehrten, die der Osservatore Romano bei solchen Anlässen zu veröffentlichen pflegte, war unter C auch Cavellis Name aufgeführt. Anscheinend gab es auch an der Sapienza einige Mitglieder des Lehrkörpers, die dieses Blatt aufmerksam lasen, denn als Cavelli am nächsten Tag dort erschien, wussten bereits viele Bescheid. Einige gratulierten ihm, doch die meisten ließen es bei einem verkniffenen Nicken bewenden und behandelten ihn ostentativ wie immer. Ein Orden, und sei es auch der höchste des Vatikan – so ihre Botschaft an Cavelli und vor allem sich selbst – konnte sie in keiner Weise beeindrucken. Im Grunde war es auch besser so; Cavelli hätte nicht darüber sprechen können, und wenn er es dennoch getan hätte, würde man ihm nicht geglaubt haben. Er glaubte es ja selber kaum, und die Erinnerungen an die letzten Tage erschienen ihm auf seltsame Weise als nicht ganz real.
Der Rest des Vormittags war absolut gewöhnlich. Cavelli versuchte, seine Studenten für die Frage zu begeistern, ob William Shakespeare ein katholischer Untergrundkämpfer gewesen war. Er legte dar, dass William als Sohn eines Katholiken nicht nur viele Kontakte zu Männern dieses Glaubens gepflegt, sondern auch dreimal Rom besucht sowie auch Alexander Houghtons Geheimgesellschaft Catholic Association angehört hatte. Innerlich gratulierte Cavelli sich dazu, wie es ihm immer wieder gelang, spannende Aufhänger für ansonsten oft trockenen Lehrstoff zu finden. Er ließ den Blick über das versammelte Auditorium schweifen, das seinen Ausführungen lauschte, bis er an einem Studenten hängen blieb, der den Kopf auf beide Hände aufgestützt und die Augen geschlossen hatte. Sein Atem ging ruhig und gleichmäßig. Unwillkürlich musste Cavelli an Papst Urban den soundsovielten denken, einen der blutrünstigsten Päpste überhaupt. Einmal ließ er die Leichen zweier Kardinäle, die er hatte ermorden lassen, anschließend in Öfen austrocknen und zu Staub zerstoßen. Eine ziemlich gute Methode, jemanden endgültig zu beseitigen, fand Cavelli – immer vorausgesetzt, man besaß die nötigen Gerätschaften. Cavelli seufzte und stieg die Stufen des Auditoriums hinauf, bis er direkt vor dem Studenten stand.
»Schläfst du?«
Außer einem grunzenden Schnarchen erhielt er keine Antwort.
Kein Zweifel, der Alltag hatte ihn wieder.