Eine schwierige Aufgabe
Emma hat sich schon oft vorgestellt, wie es wäre, in einer längst vergangenen Zeit zu leben. Nachdem sie nun erfahren musste, dass Prinzessin sein nicht so schön war wie gedacht, überlegt sie lange, als was sie sich in welche Zeit wünschen soll. Weil sie etwas erleben möchte, was mit Büchern zu tun hat, schreibt sie schließlich folgenden Satz:
Ich lebte vor langer, langer Zeit und stand in einer alten Bibliothek.
Emma liest in einem Buch.
„Was machst du da?“
Emma erschrickt, schlägt das Buch zu und versucht es hinter ihrem Rücken zu verstecken.
„Hast du etwa schon wieder gelesen?“, fragt Herr Vohwinkel, der Bibliothekar. Er schaut Emma über seine Lesebrille an. „Deine Aufgabe ist es, die Bücher abzustauben, und nicht, sie zu lesen! Das weißt du doch.“
Emma nickt, stellt das Buch wortlos ins Regal zurück und senkt den Blick.
„Komm mal mit!“, sagt Herr Vohwinkel.
Emma folgt dem Bibliothekar in einen kleinen Raum am Ende des großen Büchersaals.
„Mach die Tür zu und komm näher!“
Emma schließt die Tür und macht zögernd ein paar kleine Schritte.
„Hab keine Angst.“ Der Bibliothekar streicht sich mehrmals über seinen Spitzbart. „Du bist ein ungewöhnliches Mädchen“, sagt er schließlich. „Hast dir selbst das Lesen beigebracht und liest lieber in den Büchern, als sie abzustauben. Ich glaube, du bist die Richtige für die schwierige Aufgabe.“ Die letzten Worte murmelt er so leise, als rede er mit sich selbst.
Emma hebt erstaunt den Blick.
Herr Vohwinkel holt einen Schlüssel aus der Jackentasche, schließt die untere Schublade seines Schreibtisches auf und öffnet sie.
Emma macht den Hals lang und sieht, wie der Bibliothekar sich an der Schublade zu schaffen macht. Sie hat einen doppelten Boden! In dem Geheimfach liegt ein dickes Buch.
Herr Vohwinkel nickt, als wolle er sich selbst bestätigen, dass richtig ist, was er tut. Dann nimmt er das Buch mit beiden Händen behutsam heraus. „Unser Herzog will im Schloss eine Bibliothek einrichten, was an sich ja erfreulich ist. Weniger erfreulich ist allerdings, dass er dafür auch die wertvollsten Bücher aller Bibliotheken des Landes haben will. Dieser Prachtband …“, Herr Vohwinkel macht eine Pause und streicht beinahe zärtlich über das schöne Buch, „… ist das wertvollste Exemplar, das wir haben. Und nun soll ich es ihm bringen lassen. Als ob das so einfach wäre, wo überall Diebe ihr Unwesen treiben!“, sagt er mit lauter werdender Stimme, ohne den Blick von dem Buch zu lassen.
Für Emma sieht es so aus, als rede er mit dem kostbaren Einband, und sie weiß nicht, was sie von all dem halten soll.
Langsam hebt der Bibliothekar den Kopf und schaut Emma an.
„Ich habe dich beobachtet“, sagt er leise. „Du gehst sorgsam mit den Büchern um. Ich glaube, du liebst Bücher. Deswegen habe ich eine ganz besondere Aufgabe für dich: Du wirst dieses Buch aufs Schloss bringen.“
„Ich?“, rutscht es Emma heraus.
„Ja, du“, sagt Herr Vohwinkel. „Niemand wird vermuten, dass ein Mädchen wie du so ein wertvolles Buch bei sich hat.“
„Ich … ich soll allein aufs Schloss?“
„Hast du Angst?“
Emma nickt.
Der Bibliothekar überlegt. „Ich gebe dir Matthias mit. Der ist zwar nicht ganz richtig im Kopf, aber ein gutmütiger und kräftiger Kerl. Du zusammen mit Matthias, das ist noch besser! Nicht einmal die schlimmsten Strauchdiebe und Räuber werden bei euch beiden etwas vermuten, was sich zu stehlen lohnt.“