Countdown: Vier…
ZUVOR
Jonas: Idiot!
„Ist dieser Platz noch frei?“
Noch während er die Worte aussprach, wusste Jonas, dass es eine unglaublich blöde Anmache war. Ernsthaft … der Bus war so gut wie leer! Hätte er eine noch dümmere Frage stellen können? Der junge Mann auf dem engen Doppelsitz drehte den Kopf. Seine Augen waren hinter einer dunklen Sonnenbrille verborgen, dennoch kam es Jonas vor, als würden sie ihn vernichtend anstarren und ein glühendes Loch durch seine Körpermitte lasern.
„Es gibt ja wohl genügend andere freie Plätze“, konstatierte der Mann das Offensichtliche.
Ja. Klar.
Jonas’ Wangen begannen zu glühen. Er hatte nur den Mund aufgemacht, und schon schien der Typ von ihm genervt zu sein. Jonas unterdrückte den plötzlichen Drang, beschämt die Flucht anzutreten, und beschloss, mit etwas ebenso Offensichtlichem zu antworten.
„Na ja … eigentlich dachte ich, wir könnten … du weißt schon, uns ein bisschen unterhalten. Vielleicht?“
Er klang peinlicherweise ein wenig atemlos. Und höchstwahrscheinlich wie ein Volltrottel. Der plötzliche Adrenalinstoß, den er verspürte, war total kontraproduktiv. Als bräuchte er noch eine zusätzliche Bestätigung dafür, wie sehr er aus der Übung war. Sein Gaydar funktionierte einwandfrei – da war er ganz sicher. Aber er hatte seit Jahren niemanden angesprochen. Sein Herzschlag wummerte so laut in seinen Ohren, dass er kaum die Antwort seines Gegenübers hören konnte. Falls aber zutraf, was er von dessen Lippen las, sagte der Mann nur ein einziges Wort:
„Warum?“
Was wohl heißen sollte: Nein, danke. Er war nicht interessiert.
Jonas’ Scham machte etwas noch Unangenehmerem Platz. Kränkung. Um ehrlich zu sein, hatte er eigentlich mit so etwas gerechnet, aber trotzdem – die Zurückweisung tat weh. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich selbst noch mehr zu demütigen. Er ließ sich auf einen Sitz schräg gegenüber in der anderen Reihe fallen und stammelte eine Erklärung.
„Weil ich dich …
(Gutaussehend? Anziehend? Umwerfend?)
… faszinierend finde. Und ich würde dich sehr gern kennenlernen. Also …“
Er verstummte und zuckte verlegen mit den Schultern. Innerlich stöhnte er über seine Unbeholfenheit. Wieso benahm er sich so unmöglich? Schließlich war er nicht mehr der pickelige, magere Teenager, der in der Schule herumgeschubst wurde und es nie geschafft hatte, einen Jungen auch nur zu küssen. Er war ein erwachsener Mann. Er hatte jede Menge Sex gehabt. Und Beziehungen … eine. Er hatte eine Beziehung gehabt.
„Danke. Aber ich glaube nicht, dass wir in der gleichen Liga spielen“, kam die schnippische Antwort. Einfach so. Die Brauen des Mannes senkten sich und verrieten Jonas, dass er hinter seinen dunklen Brillengläsern die Augen verengte. Sein Lippen waren fest zusammenkniffen. Da war nicht die leiseste Andeutung eines Lächelns. Er meinte es ernst. Das war endgültig. Und Jonas war ein Idiot.