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S ie schlug gegen die Tür und ich ließ sie zurück. Aus effizientem Grund, Kit. Denn sie hatte keinen Chip von uns. Das konnte vieles bedeuten, aber sicher nichts Gutes. Noch während ich den Flur direkt zur Treppe anstrebte, erlöste mich das Klingeln des Handys von meinen Gedanken, die nur um dieses Mädchen kreisten, die wir loswerden mussten. Schon beim Betrachten des Displays drehte sich mein Magen um. Das hatte noch gefehlt, Kit. Einen Anruf von ihr konnte ich weder ablehnen noch annehmen. Gezwungen ging ich dennoch dran, weil es wichtig sein musste, wenn Nadine anrief.
»Hallo, mein Schatz.«
»Nenn mich nicht so, Ruben!«, schimpfte sie direkt los.
»Und du sollst diesen Namen nicht in den Mund nehmen, wenn ich hier bin.«
»Dann bezeichne mich nicht als deinen Schatz! Ich bin deine Schwester!«
»Stiefschwester«, korrigierte ich sie. »Dieses winzige Detail hat dich nicht daran gehindert–«
»Bitte nicht jetzt!«, unterbrach sie meine Erwähnung, was mich wiederum schmunzeln ließ. Bei dem Gedanken an ihre nackte Haut und das wunderschöne Halsband um ihre Kehle grinste ich noch einen Ticken breiter.
»Es gibt ein Problem.«
»Sonst würdest du sicher nicht anrufen. Ich dachte, du bist der Aufgabe gewachsen?«
»Bin ich auch, aber einer anderen nicht. Es wurde ein Lieferwagen–«
»Die Leitung–«
»Ja, ja. Ein Lieferwagen mit Medikamenten wurde sequestriert und ein anderer gestohlen.«
»Beschlagnahmt und eingelagert?«
»Ja, und er wird geprüft. Der andere ist ganz weg. Der Fahrer wurde an der Grenze erschossen und der gesamte LKW geklaut. Zwar konnten wir den Wagen ausfindig machen, aber als die Männer eingetroffen sind, war dieser bereits leer und ausgebrannt.«
»Von was sprechen wir genau?«
»Mehrere Millionen Dollar, Ruben!«
»ADAM!«
»Du musst kommen! Nimm den nächsten Flieger!«
Als könnte sie mir jemals sagen, was ich zu tun und zu lassen hatte. Auch wenn es sich nach mehr als einem Problem anhörte.
»Finde heraus, was passiert ist. Setz Lio auf den geklauten LKW an und Luca soll sich um die Lieferung kümmern, die beschlagnahmt wurde. Yumi wird hier gebraucht, genauso wie ich. Halte mich auf dem Laufenden.«
»Aber–«
Ich legte auf, bevor sie den Satz zu Ende sprechen konnte. Schließlich musste ich das kleine rothaarige Problem im Gästezimmer zunächst beseitigen.
Mein Weg führte mich durch Calvins Villa. Es war ein Eklat, hier sein zu müssen, den Aufpasser zu spielen, während du dich von D beeinflussen und verarschen ließt. Es zerfickte mich geradezu. Ebenso wie dieses Mädchen, die es nur schlimmer machte.
Auf der Suche nach meinen Freunden fand ich Riley in der Küche. Am Tisch sitzend rührte er mit einem Löffel in einer Tasse herum. Diese Ruhe, die er nahezu ausstrahlte, obwohl in mir längst ein Sturm wütete, ließ mich stocken.
»Ist was?«, fragte er, als ich stehenblieb. Du kanntest ihn nicht so gut wie ich, Kit. Aber Riley war selten so besonnen. Auch dieses breite Lächeln, mit dem er mich betrachtete und weiter in der Tasse rührte, bereitete mir eine unerklärliche Sorge.
»Was trinkst du da?«
»Tee.«
»Tee?«
»Ja. Und warum siehst du so aus, als wären deine ganzen Betthäschen auf dich losgestürmt?«
Ich zog den Stuhl vor und setzte mich ihm gegenüber. »Poppy hat keinen Chip.«
»Wer ist Poppy? Nein, warte. Du meinst das Mädchen?« Zur Bestätigung nickte ich. Sein Lächeln vertiefte sich und ich wollte es ihm am liebsten rausschlagen. Da ich mir denken konnte, was er sich vorstellte.
»Sie ist zu jung für dich. Greg meinte, sie sei noch ein Kind.«
»Ja, Riley, und sie war bei der Lieferung und hat keinen Chip!«
»Ganz ruhig, Adam. Ich denke, einer unserer wenigen Männer hatte Spaß an ihr und hat sie mitgenommen. Deswegen auch kein Chip.«
Wie konnte er nur so ruhigbleiben, Kit? Was trank er da genau? Kam ihm nicht in den Sinn, dass dieses Mädchen alles zerstören könnte? Dass wir deiner Wut ausgesetzt wurden, weil D es übertrieb? Sie setzte mit ihrer bloßen Anwesenheit alles aufs Spiel.
»Wir müssen sie loswerden.«
»Adam, beruhig dich. Sie ist keine Komplikation. Der Plan läuft ganz normal weiter, solange D nicht paranoid und Stiletto nicht misstrauisch wird.«
Womöglich war genau das die Schwierigkeit. Denn wenn du skeptisch werden würdest, hätten wir verloren. Entspannt lehnte ich mich zurück und beobachtete meinen Freund, der klirrende Geräusche erzeugte, während er mit dem Löffel Kreise in der Tasse zog.
»Du musst Mila den ganzen Tag ablenken. Ich habe Poppy eingesperrt.«
»Warum hat du das getan?« Er stoppte und sein Lächeln verschwand. »Glaubst du, sie würde abhauen? Sie kann doch nirgendwohin.«
»Weil ich dem Ganzen nicht traue.«
»Du bist schon wie D.«
»Nein. Aber sie spricht unsere Sprache nicht und ist ein Kind. Außerdem kann ich nicht den ganzen Tag den Babysitter spielen. Nadine hat angerufen. Ich muss mich um meine Firma und die Lieferung kümmern.«
Er nickte nur und sah wieder auf die Tasse hinab. Da knallte die Tür wütend auf und der kleine Wirbelsturm fegte auf uns zu.
»Da bist du ja!«, brüllte sie los. »Warum hast du mich eingesperrt, he? Was denkst du dir dabei?« Aha. Riley war also auch nicht besser als ich, was mich zum Grinsen brachte.
»Du warst aufbrausend, was anderes blieb mir ja wohl schlecht übrig.« Gemächlich hob er die Tasse zu den Lippen.
»Aufbrausend? AUFBRAUSEND? Ich gebe dir gleich ›aufbrausend‹!«, warnte sie explosiv. Doch als Riley nach einem Schluck die Tasse abstellte, sie ansah und sich ein diabolisches Grinsen in seinem Gesicht ausbreitete, stockte auch sie und verschränkte die Arme vor der Brust. Wie du stand sie voller Stärke und Unglauben da und musterte ihn, wie er den Löffel wieder bewegte.
»Was trinkst du da?«
»Tee.«
»Tee? Du?« Selbst sie empfand es als so merkwürdig wie ich. Denn Riley trank keinen Tee, außer …
»Ja, ein Mila-Tee.«
Ich verkniff mir das Lachen, doch in dem Moment, als er den Löffel hob und der schwarze Spitzenstoff in Erscheinung trat, prustete ich lauthals los.
»Ist das etwa mein Slip?«
»Ja. Mila-Tee. Sagte ich doch.« Der Slip verschwand wieder im heißen Wasser und er hob erneut die Tasse. Ich kriegte mich bei ihrem Gesichtsausdruck kaum noch ein, was sie zusätzlich rasend machte. Auch sie hob die Hand und scheuerte ihm eine ins Gesicht. Die Tasse flog ihm aus der Hand, zerbrach samt Slip auf dem Boden und auf Rileys Wange zeichneten sich alle fünf Finger von Mila ab. Auf Tisch, Rileys Hemd und Boden verteilte sich der bestimmt köstliche Mila-Fotzen-Tee.
»Du bist eine widerliche Made.« Und sie stürmte davon.
»Die Ärmste lernt dich wohl nun von einer anderen Seite kennen.«
»Du meinst von der geschmackvollen Seite? Ja.«
Ich stand auf und verließ ebenfalls die Küche, nur belustigter, um mich an den PC zu setzen und um mit Yumi zu sprechen, die eindeutig mehr über Poppy herausfinden musste.
Gerade als ich durch den Flur marschierte und noch immer über Mila und Riley lachte, hörte ich Calvins Stimme. Anstatt die Treppe nach oben zu nehmen, trat ich zurück und schaute in umgekehrter Richtung zur Stimmquelle, wo er telefonierend sein Büro ansteuerte. Neugierig folgte ich ihm unbemerkt und lauschte.
»Das Mädchen sieht jemandem zum Verwechseln ähnlich. Aber das kann nicht sein, weil sie noch zu jung ist«, sprach er und klang dabei nicht nur forsch, sondern auch nervös. »Wen? Anastasija Sokolov.« Dieser Name sagte mir nichts. »Ja, ich weiß, dass es unmöglich ist. Dennoch habe ich ihm nie geglaubt, dass seine Tochter tot ist. Aber dieses Mädchen sieht aus wie Ana. Die Haare. Die Augen. Ihr ganzes Gesicht und selbst die Statur. In meinem Haus wohnt zurzeit eine jüngere Ausgabe von Ana und sie steckt bis zum Hals in Problemen.« C verschwand in seinem Büro und ich beschloss, Yumi damit zu beauftragen, nachzuforschen. Sokolov .
Vielleicht sagte mir das doch etwas.