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rüher oder später musste ich ja eingesperrt werden. Dass es nicht zu Beginn geschehen war, sollte mich eher wundern. Dennoch kroch mir die Furcht durch die Venen, breitete sich mit der Angst aus, sie könnten schon längst wissen, wer ich war. Sie brannte heiß wie meine Tränen.
Durch den getrübten Blick betrachtete ich den Raum und stoppte am Bett. Da kam mir eine Idee. Ich drückte das Ohr an die Tür und lauschte. Nichts war zu vernehmen, weshalb ich auf Knien kroch und das Handy unter der Matratze hervorzog.
Schnell klopfte mein Herz, als ich die einzige Nummer wählte, die eingespeichert war.
»Hallo, Praskowja. Ist etwas passiert?«
»Adam hat mich eingesperrt. Sie wissen es. Eni, sie wissen es«, flüsterte ich, obwohl ich schreien wollte. Wie von selbst glitt mein Blick zum Fenster. »Ich könnte fliehen. Durchs Fenster.«
»Ganz ruhig, Praskowja.« Seine ausgeglichene, warme Stimme ertönte, nur hatte sie diesmal nicht diese tröstliche Wirkung auf mich. »Du bist eine Fremde und sie gehen nur sicher, dass du ihnen nicht schadest.«
»Sie werden mich töten!«
»Nein. Bitte beruhige dich. Kit wird dafür sorgen, dass dir nichts passiert.«
»Kit ist nicht hier.«
»Kit ist überall. Vertrau mir.« Ungewollt schnaubte ich auf. »Praskowja, gab ich dir je einen Grund, mir nicht zu vertrauen? Ich bin da und helfe dir.« Ich schloss die Augen und atmete tief durch. »Jetzt hör mir genau zu, deine Aufgabe ist noch nicht beendet.«
»Was? Wie sollte ich …«
»Hör zu, die Papiere wurden noch nicht übergeben. Du musst diese an dich nehmen.«
Drehte er durch? Ich war eingesperrt und bangte um mein Leben, wie sollte ich für ihn stehlen?
»Ich bin eine Gefangene«, erinnerte ich ihn.
»Im Moment. Du musst dich befreien und die Dokumente suchen. Sie sind wahrscheinlich in Calvins Büro. Achte darauf, dass beide unterzeichnet haben.«
Was verlangte er nur von mir? Begriff er denn nicht, in was für einer Lage ich mich befand? Er sagte es mit diesen warmen Worten und es klang so leichtsinnig. So nachlässig, wie ich es einst gewesen war und was mich erst in diese Situation gebracht hatte.
Mit Handschellen an den Gelenken konnte ich noch immer nicht glauben, gefasst worden zu sein. Sie hatten auf mich gewartet. Der Plan, die kostbare Diamanten-Kette zu stehlen, war zu einfach und der Diebstahl selbst zu leicht gewesen. Ich hatte weder den Alarm ausgelöst noch mich selbst zu erkennen gegeben. Im Schatten war ich aufgetaucht und in die Dunkelheit verschwunden. Da hatten sie auf mich gewartet.
Auf frischer Tat wurde ich erwischt und verhaftet. Dass man mich reingelegt hatte, war mir sofort klar. Nur wer hatte mich ausgeliefert? Mein Boss, der mir das Leben ohne Blutvergießen ermöglichte, sicher nicht.
Während ich schwieg und der rundliche Detektive mich befragte, dankte ich Gott, dass Edwin mich längst verlassen hatte und in Detroit war.
»Miss Sokolov, sie werden bereits wegen Mordes gesucht, wissen Sie, was das bedeutet? Sie sollten mit uns kooperieren.« Es war ein Unfall gewesen. Bei einem älteren Einbruch war der Sicherheitsmann vom Dach gefallen, als er mir gefolgt war. Wiederum war mir bewusst, dass sie das nun mir anhingen. Dennoch schwieg ich. Schließlich war ich nicht mehr Praskowja Sokolov. Ich war Lina Kusnezow.
Weiterhin starrte ich auf die Handschellen und fragte mich mittlerweile, wie viele Jahre ich bekommen würde. Mehrfacher Diebstahl, Mord und wer wusste schon, was sie mir noch zuschrieben, damit sie mich für immer wegsperren konnten. Wahrscheinlich würde mein Boss Hector mich niemals mehr zu Gesicht bekommen. Letztlich hatte das Schicksal Humor. Aus Angst, entweder im Gefängnis oder im Grab zu landen, hatte ich meine Familie verlassen, um dann letztendlich einem der beiden ausgeliefert zu sein. Ein Witz, den ich nicht verstand.
»Miss Sokolov!« Er schlug auf den Tisch und ich schaute zu dem Detektiv auf, der mir gegenübersaß. In jenem Moment betraten zwei Männer den Verhörraum, der kälter nicht sein konnte. Einer von ihnen trug einen Anzug im selben grauen Look des Raumes, hatte
verhärtete Gesichtszüge und eine Locke, die ihm in die Stirn fiel. Er kam näher. Eine Hand legte sich auf die Schulter des Polizisten.
»Sie können gehen. Wir übernehmen.« Sie lieferten sich ein Blickduell, der Detektiv brach jedoch ab, bevor der Mann im grauen Anzug etwas sagte, und stand schnaubend auf. Mein Blick wanderte zu dem anderen Anzugträger, der mich mit weichem Lächeln musterte. In seinem dunkelblauen Anzug und einer weniger dominanten Haltung sah er auf mich herab, als wäre er mein Freund, mein Retter – und so verwirrend das auch war, ich fühlte mich als Verbrecherin in seiner Nähe wohler.
»Guten Abend, Miss Sokolov«, begrüßte er mich und strich sich durchs blonde Haar als er nähertrat.
»Ich heiße nicht Sokolov«, brach ich nach Stunden mein Schweigen. »Mein Name ist Lina Kusnezow.«
»Ein gefälschter Ausweis und eine miserabel ausgewählte neue Identität ändern nichts an Ihrer Herkunft.«
Hart schluckend versuchte ich mir seine Worte nicht anmerken zu lassen und blieb bei meiner Aussage: »Sie müssen mich verwechseln.«
»Sicher nicht«, merkte der andere Mann an, als er sich mir gegenübersetzte. »Wir wissen genau, wer Sie sind.«
»Sie verwechseln mich …«
»Miss Sokolov, ich bin vom FBI und …« Er zeigte auf den freundlichen blonden Mann. »Mr. White ist von der Staatsanwaltschaft.«
Das FBI schaltete sich für ein paar Diebstähle ein?
»Wir möchten Ihnen eine Möglichkeit offenbaren. Es ist so … Sie haben eine lange Liste mit Verbrechen zusammengebracht. Sie waren in den letzten Jahren sehr fleißig, Miss Sokolov. Sie sind bekannt und nun sind Sie uns in die Falle gegangen. Abgesehen von den Kunstdiebstählen wird ihnen auch Mord zu Lasten gelegt.«
»Ich habe nichts damit zu tun.«
»Zeugen behaupten etwas anderes. Sie haben niedergelegt, dass sie einen Sicherheitsmann bei Ihrer Flucht aus dem Museum vom Dach geschubst haben«, entgegnete er hinterlistig grinsend und bestätigte
mir, dass sie auch vor gefälschten Beweisen nicht Halt machten.
»Aber wir haben einen Ausweg für Sie. Kooperieren Sie mit uns.«
»Ich bin nicht diejenige, für die Sie mich halten. Ich bin Lina Kusnezow und die Kette wurde mir von einer vorbeilaufenden Frau in die Tasche geschoben, als sie mich angerempelt hat.«
»Ist das so?« Der blonde Mann, Mr White, hob ungläubig eine Braue und trat näher an den Tisch, wo ich saß.
»Ja. Das ist alles ein Missverständnis und ich möchte jetzt meinen Anwalt sprechen.« Zwar hatte ich keinen Anwalt, kannte auch keinen, aber mit Sicherheit konnte mir Hector helfen, wenn ich die Möglichkeit bekäme, ihn über die Festnahme zu informieren. Falls er es nicht bereits wusste.
Beide nickten. Sie sahen sich an und nickten abermals, was mich beunruhigte. Mein Puls überschlug sich, als sie beide den Raum verließen. Schweigend. Und das, obwohl uns allen klar war, dass ich log.
Ich starrte auf die geschlossene Tür, hinter der sie verschwanden. Sah mich im Betonraum um, dessen Kälte von der Wand abprallte und mir unter die Haut kroch. Und fragte mich bitter, was als Nächstes passieren würde. Trotz meiner offenkundigen kriminellen Ader, welche einem Wiegengeschenk glich, war ich niemals zuvor in so einer Situation gewesen, was mich zunehmend nervöser machte.
Unerwartet betrat ein uniformierter Cop den Raum. Er sprach nicht und schaute mich auch nicht an. Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Tisch und legte genau vor meinen Händen ein Handy ab. Genauso rasch verließ er wieder den Raum und ließ mich verwirrt zurück. Sollte ich damit Hector anrufen? Länger, als ich wollte, betrachtete ich die kleine, schwarze Möglichkeit, mich doch aus dieser Lage befreien zu können, und traute mich nicht, es zu nehmen.
Dann klingelte es. Erschrocken wich ich zurück. Es hörte jedoch nicht auf. Immer wieder wurde darauf angerufen und niemand betrat den Raum, obwohl man mich sicher durch die Scheibe oder die Kamera, die in der Ecke hing, beobachtete. Neugierig und nervöser als
zuvor warf ich einen Blick aufs Display. Eine unbekannte Nummer rief an. Und wieder. Und hörte nicht auf. Ich bekam das Gefühl nicht los, dass man von mir erwartete, dass ich den Anruf entgegennahm. Nur … was würde mich erwarten? War es vielleicht sogar mein Vater?
Ich spannte meine Schultern an, biss die Zähne zusammen und nahm es in die Hand. Mit gefesselten Händen drückte ich mit dem Daumen auf den Knopf und hielt es ans Ohr.
»Praskowja«, ertönte eine warme, tiefe Stimme. Vertraut und unbekannt. »Wir beide stecken in einer schwierigen Situation und ich will dir helfen.«
»Wer sind Sie?«
»Ich bin Enigma und wir beide verfolgen dieselben Ziele.«
»Ach ja?« Ich runzelte die Stirn und verstand noch lange nicht, was gerade passierte. Ich schaute mich ein weiteres Mal im Raum um, und als sich meine Aufmerksamkeit auf die kleine Kamera richtete, erkannte ich, dass das rote Licht erlosch. Sie wurde ausgeschaltet.
»Wir sehnen uns beide nach der Freiheit. Du hast dich von deiner Familie losgerissen und unterliegst einem Kleinkriminellen, der dir Freiheit im Austausch für Kunst und Schmuck bietet. Das, Praskowja, ist keine Freiheit. Ich kann sie dir geben für einen einmaligen Deal.«
»Einen was?« Schockiert traute ich meinen Ohren nicht.
»Einen Deal. Einen einzigen Diebstahl und danach bist du für immer frei.«
Ich war nicht naiv genug, um seinen Worten zu trauen.
»Es wird nicht leicht für dich. Sogar gefährlich. Aber wenn du es schaffst …«
»Bin ich frei.«
»Ja. Du musst nur zustimmen.«
»Aha.« Ich traute ihm kein bisschen. Das Ganze war zu skurril, schließlich saß ich verhaftet in einem Verhörraum.
»Wenn du zustimmst, wirst du von der Polizei entlassen und von zwei Männern zu einem sicheren Ort gebracht. Dort bekommst du alle
Einzelheiten und wir bleiben telefonisch im Kontakt.«
»Ich soll also ohne genauere Details meine Zustimmung geben?«
»Du kannst auch ablehnen, Praskowja. Dann gebe ich dir den Tipp, einen guten Anwalt im Rückhalt zu haben, denn die Beweise liegen schwer. Du wirst mit viel Glück nur eine einzige lebenslängliche Strafe bekommen. Oder du kannst einen Versuch unternehmen, dich ohne einen schmierigen Kerl namens Hector aus der Misere zu bringen und für deine Freiheit zu kämpfen. So, wie du es verdient hast. Niemand kann etwas dafür, dass du in so eine Familie geboren wurdest. Du am wenigsten. Ich biete dir lediglich einen Ausweg.« So vertrauenswürdig sanft seine Stimme erklang, war der Inhalt mehr als nur verdächtig. Was hatte das alles zu bedeuten?
Leider hatte ich Angst, eingesperrt zu werden. Wusste auch nicht, was die Ermittler mir noch zu Lasten legten. Zudem kam noch die Furcht hinzu, dass mein Vater von der Festnahme oder gar dem Urteil erfuhr. Dann hätte ich sicher größere Probleme, als im Gefängnis zu verrotten.
»Was muss ich tun?«
»Sag Ja zu deinem letzten Diebstahl.«
»Ja.«
»Hörst du mir zu?« Er riss mich aus den Gedanken, die Wochen zurücklagen und gerade so gegenwärtig wurden. Ein einfacher Deal. Alles lief schief und nun war es schlimmer, als es je hätte sein können. Nie war ich meiner Familie nach meiner Flucht näher gewesen.
»Praskowja!«
»Ja.«
»Diese Dokumente sind wichtig, verstehst du das? Unterschrieben von beiden reicht es vollkommen aus, um sie aus dem Verkehr zu ziehen. Wir haben etwas in der Hand und du bist frei.«
Freiheit. Schön wäre es, wenn ich es glauben könnte. Nur
tat ich das nicht.
»Du könntest wieder von vorne anfangen. Weit weg von deiner Familie und einem anständigen Beruf nachgehen. Praskowja, du wärst frei. Bedeutet dir das denn nichts?«
»Doch«, hauchte ich, weil es alles war, was ich wollte, und dennoch den Preis dafür nicht zahlen konnte. Die Gefahr war zu groß.
»Na also. Wirst du die Dokumente stehlen?« Ich nickte, obwohl er das nicht sehen konnte. »Du musst nur aufpassen. Du bist nicht in Lebensgefahr, verstehe mich nicht falsch. Aber halte dich von Adam fern. Er ist gefährlicher, als er den Anschein erweckt.«
»Sie sind alle eine Bedrohung für mich.«
»Sei vorsichtig. Adam ist unberechenbar und nimmt sich, was er möchte. Das Alter wird im egal sein, also reiz ihn nicht.« Das konnte mich nicht verschrecken. Zu viel hatte ich in der Bruderschaft mitbekommen. Frauen hatten einen anderen Wert. Selbst die Tochter des Familienoberhaupts konnte sich dem nicht entziehen.
Plötzlich hörte ich laute Stimmen.
»Ich muss auflegen!«
»Die Dokumente …«
»Ja, ich versuche es.« Ich schaltete das Handy aus und drückte es rasch wieder zwischen Matratze und Lattenrost. Die Stimmen wurden lauter, wütender. Mila.
Zügig kroch ich zurück zur Tür, um mein Ohr lauschend gegen das Holz zu pressen.
»Lass mich los, ich will zu ihr!«
»Oh, Honey, sie braucht Ruhe. Adam kümmert sich um sie.«
»Einen Scheiß tut er! Sie war den ganzen Tag im Zimmer!«
»Du tust ja so, als würden wir sie wegsperren. Wenn sie rauskommen wollte, hätte sie es sicher getan.« Dieser Kerl, mit dem sie sich stritt, steckte sicher mit Adam unter einer Decke. Nun wusste ich aber auch, dass Mila nichts ahnte. Und dass
sie mir, so, wie sie herumschrie, auch gutgesinnt war.
»Verdammt, lass mich los, sonst kannst du was erleben!« Woraufhin er dunkel lachte.
»Riley, ohne Scheiß. Lass mich los!« Riley.
»Honey, beruhig dich. So aufgebracht, wie du bist, machst du ihr eh nur Angst«, säuselte er.
»Riley!«
»Was ist denn hier los?« Adam. Diese Stimme erkannte ich unter Tausenden.
»Was macht ihr hier für einen Scheiß, he? Ich will zu ihr und ihr sperrt sie weg.«
»Nein, Mila. Ich kümmere mich sogar um sie. Bringe ihr Essen, weil sie nicht aus dem Bett kommen möchte. Die Kleine weint vor sich hin, gib ihr etwas Zeit. Sie hat wohl einiges erlebt.« So ein … argh! »Ich habe auch dafür gesorgt, dass sie Kleidung bekommt. Sie kann ja nicht nur in Gregs Shirt herumlaufen, die Ärmste.« Seine Stimme triefte vor Freundlichkeit und löste in mir einen Brechreiz aus.
»Erzähl nichts, Made!«, erkannte es auch Mila. »Ihr habt doch Schiss, dass sie dafür sorgt, dass Kit etwas von euren miesen Machenschaften mitbekommt!«
Da lachten beide.
»Ist doch so!«
»Du bist wahnsinnig. Riley, kümmere du dich um Mila und ich mich um Poppy.«
»Poppy?« Milas angewiderte Stimme löste in mir Beifall aus.
»Ja. Wir sind schon richtig gute Freunde geworden, sodass sie sich einen Kosenamen verdient hat.«
»Wenn du sie anrührst, bring ich dich um!«
»Jetzt spinnst du aber völlig! Ich habe Geschmack, Mila. Und pädophil bin ich auch nicht!«
»Du bist ein Fickmensch!«
»Schaff sie weg, Riley.«
Schritte, die sich näherten, zwangen mich von der Tür weg.
Ich sprang auf und direkt in Richtung Bett, wo ich mich lässig auf der Matratze positionierte – mit dem Blick zum Fester nach draußen. Wie viel Zeit ich in der Einsamkeit dieses Zimmers verbracht hatte, wusste ich nicht. Die untergehende Sonne zeigte mir jedoch, dass es lange gewesen war.
Wie zu erwarten, betrat kurz darauf Adam mit einem Tablet den Raum. Mit einen Tritt nach hinten fiel die Tür ins Schloss und breit grinsend kam er auf mich zu. Der durchaus attraktive Blonde stellte das mitgebrachte Essen neben mich auf die Matratze und seine Freundlichkeit sprudelte mir heuchlerisch entgegen.
Seine Fingerspitzen glitten hauchzart meinen Arm entlang, was eine Gänsehaut auslöste. Ich wusste nicht, was ich ausstrahlte, konnte schlecht die Abneigung, Ängste und Wut wegsperren. Er las jedoch etwas von mir ab, was ihn veranlasste, noch einnehmender zu grinsen, sodass mir seine viel zu niedlichen Grübchen ins Gesicht sprangen. Zudem zeigte er aufs Tablett.
»Du musst essen.«
Dann wandte er sich ab. Ich atmete tief durch, schaute ihm nach und stellte leider fest, dass er nicht den Raum verließ, sondern mich mit ihm gemeinsam einsperrte. Anschließend platzierte er sich auf dem Stuhl in der Ecke, beugte sich vor, um seine Ellenbogen auf die Beine aufzustellen und um mich zu beobachten, während er sein Kinn auf die langen Finger lagerte. Seinem blau stechenden Blick ausweichend setzte ich mich auf die Unterschenkel und versuchte, etwas zu essen.
Starr beobachtete er jeden Bissen, den ich in den Mund steckte. Obgleich ich es ignorierte, spürte ich es. Sein Blick tanzte deutlich auf meiner Haut, was mir zunehmend Unbehagen bereitete. Zudem war seine Anspannung greifbar. Ihm lag etwas auf der Zunge, er wollte mit mir reden und tat es sicherlich nur nicht, da er davon ausging, dass ich ihn ohnehin nicht verstand. Leider machte mich das neugierig.
Nachdem ich fertig war, sprang er auf und stellte das Tablett auf eine Kommode. Wieder erkannte ich in seinem Gesicht und in seiner Haltung, dass er Worte runterschluckte. Unruhig bewegte er sich schnell und setzte sich schließlich zurück in die Ecke, wo er mich weiterhin prüfend ansah. Genauso ruhelos wurde ich. Um dem einen Riegel vorzuschieben, kuschelte ich mich unter die Decke und tat, als wäre ich müde. Es dauerte eine halbe Ewigkeit, bis sich die Spannung im Raum legte. Erst als ich keine bohrenden Blicke mehr auf mir spürte, drehte ich mich um und sah vorsichtig zu ihm rüber.
Seelenruhig schlief Adam. Zurückgelehnt hielt er mit einem Ellenbogen auf der Armlehne seinen Kopf und glich einem liebevollen Engel, dessen Existenz ausschließlich dem Wohlwollen seiner Schutzbefohlenen galt.
Selbst sein Aussehen im Schlaf war eine einzige Täuschung.
Draußen war es bereits stockdunkel und wenn der Vollmond nicht das Zimmer erhellen würde, läge dieses auch in der Finsternis. Wie eine Laterne vor dem Fenster strahlte der Mond hinein und gab mir eine Möglichkeit, die sich wahrscheinlich nicht so schnell wiederholen würde. Leise und langsam stieg ich aus dem Bett und tapste zur Tür, mit Bedacht, kein Geräusch zu erzeugen. Ich presste ein Ohr an die Tür, doch da war bloß Stille. Die Villa lag im tiefen Schlaf der eingebrochenen Nacht, was eine Chance wäre, auf Reise zu gehen.
Auf Zehenspitzen und in Zeitlupe näherte ich mich Adam. Mein Puls schlug allein bei der Idee des Vorhabens in die Höhe. Immer lauter pochte mir dieser bis in die Ohren, sodass ich glaubte, das schlafende Ungeheuer würde dadurch geweckt. Meine Glieder begannen zu zittern und plötzlich … ein Knacken.
Nah bei ihm stehend, dass ich seine flache Atmung hörte, knackte plötzlich mein Fußknöchel.
Es schallte durch den Raum wie ein Schuss. Starr, angespannt und luftanhaltend bewegte ich mich keinen Millimeter und wartete ab, ob es ausgereicht hatte, Adam aus dem Schlaf zu reißen.
Unendlich lange stand ich da, begann wieder, zu atmen, und glaubte, die Anspannung würde mich zerreißen. Am liebsten wollte ich zurück ins Bett springen, so tun, als hätte ich nicht versucht, zu entkommen. Allerdings musste ich die Dokumente finden. Denn diese waren meine Freiheit. Alles hing davon ab und wer wusste schon, wann diese weitergereicht wurden, um Colts Plan zu vervollständigen. Falls das geschehen würde, wäre meine Freiheit für immer dahin. Eingesperrt hinter Gitter, dem Tode näher als jemals zuvor. Eni hatte recht. Diese Dokumente waren wichtig.
Ich schluckte, ließ den blonden Schlafenden nicht aus den Augen und prüfte jeden seiner Atemzüge. Rasant pumpte sein Puls gegen die dünne Haut seines Halses, da er wahrscheinlich träumte. Vorsichtig streckte ich die Hände nach der Lehne aus, hielt mich daran fest, dass ich mich weit genug vorlehnen konnte, ohne ein Geräusch zu erzeugen, und als ich die Balance gefunden hatte, reckte ich die Finger nach seiner Hosentasche aus. Nur mit den Fingerspitzen tauchte ich hinein und fand den einzelnen Schlüssel, den ich vorsichtig hinausangelte.
Ich wollte mir nicht ausmalen, was passieren würde, wenn er jetzt erwachen würde. Umso erleichterter war ich, als ich den Schlüssel in die Faust nahm und mich wieder aufrichtete. Behutsam, keine hastigen Bewegungen zu machen, ging ich langsam zurück zur Tür und schob Millimeter für Millimeter den Schlüssel ins Schloss, während mir der Schweiß auf der Stirn perlte, meine Knie ganz weich wurden und der Puls mir wild unter der Haut pulsierte.
»Was?«, brüllte Adam auf.
Ich erschreckte mich bis ins Mark und schrie auf.