I
ch hatte Eni nicht ernst genug genommen. Zwar hatte ich seine Warnung verstanden, sie jedoch nicht beherzigt. Hatte sogar durch meine bereits gesammelten Erfahrungen gedacht, damit umgehen zu können. Das war falsch. Dumm. Naiv.
Zusammengerollt weinte ich unaufhaltbar, konnte nicht aufhören und widerte mich vor mir selbst, da ich ihn noch immer spürte. Mein Kopf schmerzte, ich ahnte das Blut an der Stirn und es war mir genauso egal wie das Brennen zwischen den Beinen. Denn der eigentliche Schmerz war ein ganz anderer. Er drang mir bis in die Organe und viel tiefer. Es strahlte mir mit einer Gewalt über den Leib, dass es mich von innen zermürbte.
Ich zog mich weiter zusammen, umschlang die Knie und
das, was er mir angetan hatte, peinigte zugleich meine Seele.
Jahrelang hatte ich mein Versprechen gehalten und nun war es von jemand anderem gebrochen worden. Die Gegenwehr, das Schreien hatte er radikal missachtet, als hätte ich seiner Folter zugestimmt.
Die Tür öffnete sich. Angst kroch mir unter die Haut und ich konnte doch nicht fliehen, da mein bebender Körper es nicht zuließ. Fest schloss ich die Augen, bereitete mich innerlich auf noch mehr Qualen vor und ahnte nicht einmal, was kommen könnte. Das Weinen unterdrückend schluchzte ich umso lauter.
»Psst.« Warme kleine Hände berührten meine Beine und ich zuckte zusammen. Dabei erkannte ich unmittelbar, dass es Mila war.
»Ich habe dich schreien gehört«, erklärte sie, als ich ihre Nähe neben mir spürte, genauso wie ihre Hände, die mir etwas Geborgenheit übermitteln wollten. Sie war mir so nah, dass ich ihr Atmen an der Schläfe vernahm, und ich traute mich dennoch nicht, die Augen zu öffnen.
»Ich mach ihn fertig. Versprochen.« Da ich aber nicht wollte, dass sie in diese Position geriet, streckte ich blind die Hand aus und fand ihre. In Gedanken riet ich ihr, nichts zu unternehmen, und konnte es doch nicht aussprechen.
Sie legte sich neben mich, nahm mich in den Arm und hielt mich fest. Sanft strich ihre Hand trostspendend über meinen Rücken und ich vernahm ihren besonderen Duft.
Sie roch nach Stärke, Freiheit und nach Blumen. Ihr Duft erinnerte an den Frühling, der vor Leben nur so strotzte. Ihre Wärme war wie die ersten Sonnenstrahlen am Morgen, die heiß die Haut küssten und einen aus dem Schlaf erweckten. Und das machte sie gerade mit mir.
Mila gab mir so viel Kraft, dass ich mich an sie drückte, diese kleine Fremde ins Herz schloss und die Tränen wie von selbst versiegten. Sie merkte, wie ich mich an ihr beruhigte, und küsste meine Stirn, bevor sie sich von mir löste. Als ich die
Augen öffnete, sah ich direkt in ihre, die mich warmherzig anblickten, und eine Hand, die sie mir reichte. Ummantelt von ihrer Stärke, berührt von ihrer Herzlichkeit, ließ ich mich von ihr in den Stand ziehen.
»Ich werde dich nicht mehr aus den Augen lassen«, versprach sie eindringlich, als sie aus der zerfransten schwarzen Jeans ein Taschentuch herauszog und mir damit über die Stirn und Schläfe tupfte.
Im Gegensatz zu mir war sie voll bekleidet, als hätte sie nicht schon längst geschlafen. Mein Blick wanderte über sie bis zu ihren dunklen Boots, die Nässe auf dem Boden hinterließen. Mila war draußen gewesen. Mitten in der Nacht. Am liebsten wollte ich von mir ablenken und meine Neugier befriedigen, weshalb sie nachts bei dieser Kälte umherstreifte, doch ich sprach kein Wort. Nicht, weil der Schock mich dazu zwang. Denn so sehr ich Mila auch mochte, durfte sie ebenfalls nicht wissen, dass ich mehr verstand, als sie ahnte.
Das Tuch verfärbte sich rot und erst als sie den blutbeschmierten Stoff in den kleinen Eimer neben den Stuhl warf, dröhnte mein Kopf vom Aufprall gegen die Tür. Weiterhin lächelte sie mich an, nahm meine beiden Hände in ihre und strich mir behutsam mit dem Daumen über die Handflächen. Dabei spürte ich das Kleben meiner Schenkel und presste sie zusammen. Ich blutete. Das konnte ich nicht leugnen und wollte auch nicht, dass Mila es sah. Sogleich bemerkte ich nicht nur das brennende Kribbeln, sondern zudem den stechenden Schmerz in meinem Unterleib. Mit aller Gewalt hielt ich mich selbst auf, den Körper zusammenzukrümmen.
An den Händen zog Mila mich zum Bett und ließ nur los, um die Decke aufzuschlagen. Sie wollte, dass ich mich hineinlegte, und ich hätte es nicht gekonnt, ohne dass sie meine blutverschmierte Haut sah. Deswegen wandte ich den Blick von ihr ab und schaute offensichtlich zum Fenster, in der
Hoffnung, dass sie meinem Blick folgte. Genau das tat sie neugierig, suchte nach dem, was meine Aufmerksamkeit erweckte, und gab mir die Möglichkeit, ins Bett zu gleiten, direkt unter die Decke, ohne dass sie mitbekam, was Adam wirklich mit mir getan hatte. Schließlich wandte sie sich mir wieder zu, schob mir das Laken bis unter den Hals und tat etwas, womit ich nicht gerechnet hatte. Denn sie legte sich zu mir. Automatisch drehte ich mich auf die Seite, gab ihr mehr Platz und sie kuschelte sich von hinten an mich und legte einen Arm um mich. Im ersten Moment verwirrte mich genau dieses Verhalten, denn ich wusste nicht, was ich damit anfangen sollte und wie ich die Zuneigung einzuordnen hatte. Ich kannte es nur von Edwin. Niemand sonst hielt mich so beschützend an sich. Doch im nächsten Augenblick genoss ich es, ließ es ohne Gegenwehr zu und nahm ihre Hand. Unsere Finger verschränkte sie und ich schloss die Augen. Sie gab mir einen ungewöhnlichen Schutz, den ich so sehr brauchte und deswegen annahm.