12
G edämpfte Stimmen lockten mich aus dem Schlaf. Da roch ich diesen Duft. So süß, erdig-holzig und beruhigend. Ein Sandelholzduft mit etwas Markantem, Männlichem und es roch so gut.
»Mh«, schnurrte ich, spürte die Wärme an mir und presste mich wie von selbst an diese unwirkliche Quelle. Es war wie eine wohltuende Umarmung aus Ruhe und Kraft. Liebevoll und anmutig, dennoch beschützend. Wärme, dieser Duft und eine ruhige Umgebung, die diese Stimmen von mir wegschlossen.
»Mh.« Ich hätte ewig so liegen können. Meine Glieder sahen es anders. Also streckte ich mich, ertastete dabei harte Muskeln und bemerkte auch den Arm, der um mich gelegt war.
In Sekunden kehrten die Bilder der vergangenen Nacht wieder und ich riss die Augen auf. Geschockt sah ich in diese blauen Meere meines persönlichen Grauens und rückte ab. Doch hinter mir befand sich ein Widerstand. Mila.
Mit einem Arm um meinen Bauch und ihrem Gesicht am Hinterkopf versperrte sie mir die Flucht.
»Shhhh«, machte Adam sanft und sein Arm, mit dem er mich umschlungen hielt, drückte mich wieder an seinen Körper.
Was wollte er nur von mir? Wollte er mich weiterquälen? Er konnte mich doch gar nicht leiden und hässlich fand er mich auch. Warum dann diese Folter?
Trotz der kleinen Gewalt über mich suchte ich den Abstand, so gut es ging. Mein Blick fiel zur Tür. Adam legte jedoch eine Hand an meine Wange und zwang mich, ihn anzusehen. Die tiefblauen Iriden legten eine Kälte über mich, Gänsehaut entwickelte sich auf meinem ganzen Leib und ließ mich erschaudern.
Es gab viele Möglichkeiten, ihm zu entkommen. Ich könnte ihn zum Beispiel immer und immer wieder ins Gesicht schlagen für das, was er mir angetan hatte. Nur verflüchtigte sich dieser Gedanke, als er seine Hand leicht hob und mir eine Haarsträhne hinters Ohr strich. Nein, ich wollte ihm viel Schlimmeres antun. Wie konnte er es nur wagen, mich sanft zu berühren, als wäre ich seine Geliebte, wo er doch der größte Widerling überhaupt war? Er sollte lieber in der Hölle verbrennen. Und das würde er auch, wenn ich nur meinem Bruder davon erzählen würde.
Dann müsste ich jedoch wieder Kontakt zu meiner Familie suchen, was ich selbst in Anbetracht dieses Monsters nicht wollte. Ich würde es allein schaffen müssen.
Nur wie?
Adams Daumen strich über meine trockenen Lippen, was mich wachrüttelte. An seiner Brust versuchte ich, ihn von mir wegzudrücken, und schaffte es nicht, als er mich an sich presste. Kaum bekam ich noch Luft, so fest hielt er mich. Ihm war es egal, dass ich seine Nähe nicht wollte und mir mit jeder weiteren Sekunde schlechter wurde. So gewaltvoll, wie er mir seine Zärtlichkeit aufzwang, breitete sich die Übelkeit in mir aus. Tränen kamen mir. Er hingegen gab nicht auf. Er rückte, ohne mich loszulassen, weiter runter, sodass sich unsere Nasen fast berührten, sich sein Atem auf meinem Gesicht ausbreitete und sich seine Nähe wie unendlich viele Stiche auf der Haut anfühlten. Mein einziger Gedanke, von ihm wegzukommen, wurde durch den anderen Arm, den er um mich schlang, zerstört. Meine Hände wurden zwischen unseren Körpern zerquetscht und ich bekam keinen Freiraum mehr. Nicht einen Millimeter.
Mit einem Bein auf meinem fixierte er mich an die Matratze und machte es einen Ticken grausamer, indem er seine Hand über meine Wirbelsäule nach unten zu meinem Steiß gleiten ließ. Genau da stoppte er und presste mich noch mehr an sich, wo ich direkt sein Geschlecht spürte. Ich wusste sofort, was er wollte. Mila lag hinter mir, aber ich spürte sie kaum noch und sie wurde plötzlich unerreichbar für mich. Ich sollte schreien, um Hilfe rufen, aber ich verstummte. Ich schwieg, als sich in seinen Augen etwas Unbegreifliches veränderte, und meine Tränen lösten sich. Es war zu viel. Den Blick von ihm abgewendet begann ich stumm zu weinen. Die Pein überrollte mich und ich verlor mich darin.
»Pssst, Poppy.« Er legte mir wieder seine Hand an die Wange, zwang mich mit dem Daumen unterm Kiefer, aufzusehen, und sein leichtes Lächeln schnürte mir die Luft komplett ab.
»Wenn du mich verstehen könntest«, begann er kaum hörbar zu flüstern. »Würde ich mich bei dir entschuldigen. Ich wollte das nicht. Lass es mich wiedergutmachen.« Ich regte mich bei seinen Worten nicht, hasste ihn nur noch mehr.
Seine Hand strich zu meiner Schulter, ließ meinen Leib beben, als er weiterhin hinab über meine Körperseite zu meinem Bauch glitt. Endlich fand ich meine Kraft wieder, die sich in Wut wandelte. Mit einem Mal drückte ich ihn, so fest ich konnte, weg, zwang ihn auf den Rücken und kletterte über ihn hinweg. Meine Füße berührten den Boden und dennoch war der Abstand nicht groß genug. Nur einen winzigen Augenblick später rannte ich zur Tür.
Hektisch drückte ich die Klinke runter. Immer wieder. Und es tat sich nichts.
Er hatte uns eingeschlossen.
Schnell pochte mein Herz, Schweiß bildete sich auf meiner Haut und ich drehte mich um, als ich merkte, dass ich nie eine Chance hatte. Am Holz angelehnt sah ich zu Adam, der sich auf den Armen aufgerichtet hatte und mich mit schief gelegtem Kopf musterte. Unter seinem Blick wurde mir ganz anders. Ich versuchte, das Shirt noch weiter an den Beinen herunterzuziehen, und presste die Beine aneinander. Da knurrte Mila auf und erweckte meine Aufmerksamkeit. Sie wurde wach und erleichtert beobachtete ich, wie sie sich streckte. Dieses hübsche Mädchen setzte sich auf und rieb sich so niedlich die Augen. Sie hatte genauso wie ich geschlafen und sah dennoch so hinreißend aus. Ihre Haare schlugen wilde Wellen und selbst ihre dunkel geschminkten Augen waren nicht quer über ihr ganzes Gesicht verschmiert. Nein, sie machte einen bezaubernden Eindruck. Auch, als sie ihre Arme nach oben streckte und ihr Oberkörper nur noch schlanker wurde, während ihre Brüste vor ihr ragten.
Mila war außergewöhnlich hübsch.
Nachdem sie sich ausreichend und anmutig wie eine Katze gestreckte hatte, was mich fast zum Lachen gebracht hätte, wenn Adam nicht ebenfalls diesen Raum mit seiner Anwesenheit dominierte, sah sie mit einem Lächeln zu mir. Ihre Wärme strahlte unmittelbar bis zu meiner Haut, küsste sie und sofort ging es mir besser. Dann sah sie aber stirnrunzelnd zur Seite und entdeckte Adam.
»Was machst du hier, Made?«, brüllte sie dunkel los und überraschte mich, als sie mutig auf ihn losging. Mit geballten Fäusten schlug sie auf seine Brust und ich konnte kaum fassen, wie sie durchdrehte und wie Adam versuchte, ihre Arme zu greifen.
»Was hast du getan?«
»Nichts! Hör auf!« Tat sie jedoch nicht und schlug immer weiter auf ihn ein, bis sie sich zu einem Knäuel entwickelten und Adam wehrlos mit ihr gemeinsam vom Bett fiel.
Rasch stand Mila wieder auf den Beinen und stellte ihren Fuß auf seine Kehle. Mit den Boots drückte sie ihm die Luft ab und ich war erstaunt, wie beherzt sie war. Schließlich war das Adam. Einer von Colts Männern. Und nicht irgendein Kerl.
»Was hast du kleine Made getan?«, zischte sie, während Adam ihr Bein hielt und sie wegdrücken wollte.
»Nichts, Mila. Ich habe geschlafen, genauso wie du!«
»Und in der Nacht, als ich sie heulend vorgefunden habe?« Ihre Worte schnitten nicht nur mich, selbst Adam verzog das Gesicht und schaute zu mir rüber. Starr blieb ich stehen und hoffte, dass man mir nicht ansah, dass ich die Worte verstand.
»Nichts, Mila.« So eine MADE! Mila hatte recht. Er sollte sich lieber weiterhin in seiner Verdorbenheit suhlen und sich nicht von meinem Leid ernähren. Nur konnte ich das schlecht sagen. Meine Gedanken waren nur für mich bestimmt, was ich gerade bereute. Hier, in der Stärke von Mila eingehüllt, könnte ich es wagen. Leider war meine Angst zu groß.
»Nichts? Aha. Dafür, Adam, wirst du bluten!« Sie beugte sich zu ihm runter, erstach ihn mit dem leuchtenden Grün ihrer faszinierenden Augen und knurrte gefährlich: »Das verspreche ich dir.«
Er hingegen lächelte darüber und schlug ihr Bein weg. Sie fing sich direkt wieder, was mich rätseln ließ, ob sie nicht womöglich freiwillig den Fuß weggenommen hatte. Sie kam auf mich zu und zeigte mir mit diesem behütenden Lächeln, dass mir nie mehr etwas passieren könnte, weil sie dafür sorgen würde. Ich glaubte ihr. Mit ausgestreckten Armen legte sie ihre Hände auf meine Schultern und strich über meine Arme. So sanft. So beschützend. So wohlwollend.
Mit jeder Minute mochte ich sie mehr.
An meinen Händen angekommen spielte sie mit meinen Fingern.
»Wir machen uns heute einen schönen Tag, Pascha.« Sie hatte sich wirklich meinen Namen gemerkt, als ich diesen Calvin gesagt hatte. Das berührte mich.
»Wenn heute ihre Sachen ankommen …« An Mila vorbei sah ich Adam, wie er aufstand und sich die Kleidung richtete. »… können wir gerne etwas Schönes machen.«
»WIR?«, betonte Mila, als sie sich zu ihm umdrehte. »Du bist davon ausgeschlossen.«
»Ich muss auf sie aufpassen. Schon vergessen?«
»Muss?« Sie schüttelte ungläubig den Kopf. »Das Einzige, was du ›musst‹, ist, dir eine Knarre an den Kopf zu halten und abzudrücken. Jedes Handeln darüber hinaus ist freiwillig, Schönling. Und an deiner Stelle würde ich Ersteres umgehend in Betracht ziehen, bevor ich dein ganzes, krankes Leben zerstöre!«
Adam schmunzelte und nahm ihre Worte nicht ernst. Er machte einen Schritt nach vorne. »Ach, Mila. Willst du dich nicht um Riley kümmern? Er vermisst dich sicher schon.«
»Der Goldjunge kommt schon klar und du verpisst dich jetzt besser!«
»Nein, tu ich nicht. Aber wenn du ganz lieb fragst, nehme ich dich vielleicht mit, wenn Poppy und ich uns einen schönen Tag machen.« Bei seinen Worten wurde mir mulmig. Einen ganzen Tag mit ihm zu verbringen, glich der Hölle auf Erden, da konnte er noch so freundlich lächeln. Gegebenenfalls funktionierte sein Theater bei anderen Frauen, bei mir jedoch niemals. Attraktiv war er nur von außen. Diese irritierende Hülle eines Engels, während im Inneren ein Dämon hauste.
Mila ließ meine Hand los, hob ihre und streckte ihm den Mittelfinger entgegen, was ihn zum tonvollen Lachen brachte.
»So erfrischend deine rebellische Art auch ist, nervst du gerade. Also geh und spiel mit Riley und lass mich meine Arbeit erledigen.«
»Sie ist nicht deine Arbeit!«
»Deine auch nicht, oder hast du ein unerfülltes Helfersyndrom?«, sprach er sanft, mitfühlend und ich hasste ihn dafür, wie nett er sich anhörte, während seine Worte blanker Hohn waren. Ich verschränkte die Finger mir ihren und bat sie ihm Stillen, mich nicht zu verlassen. Sie wandte sich mir wieder zu und in ihrem Blick erkannte ich, dass sie mich verstand. Mit einem Mal legte sie die andere Hand an meine Wange, so, wie es Adam heute getan hatte. Nur fühlte sich die Gestik von ihr beschützender und ehrlicher an. Mit dem Daumen strich sie über meine Haut, beugte sich vor und hauchte mir einen Kuss auf den Mundwinkel. Kurz war ich perplex und wusste nicht, was ich davon halten sollte. Sie dagegen stierte Adam an, schnaubte und nahm die Hand von mir, um sie offen zu ihm zu strecken.
»Der Schlüssel.« Sie wusste, dass wir eingeschlossen waren? Woher? Sie war doch längst am Schlafen gewesen.
Lächelnd schüttelte Adam den Kopf und kam auf uns zu. Ich spürte, wie ich bei dem verminderten Abstand kleiner wurde. Je näher er kam, desto mehr sank ich zusammen und ich versteckte mich schließlich hinter Mila. Er ging an uns vorbei und schloss die Tür auf. Langsam öffnete er diese, um uns herauszulassen. Mila ging vor und zog mich vorsichtig hinter sich her. In dem Moment, in dem ich auf selber Höhe mit Adam stand, ergriff er mein Handgelenk und ich erschrak, als er mich zurückzog.
»Was tust du da? Lass sie los!«
»Du darfst gehen, Mila. Du wirst nicht länger gebraucht. Und Poppy bleibt bei mir.«
»Pascha! Sie heißt Pascha!«
»Nein. Sie ist Poppy. Und jetzt nimmst du deinen bezaubernden Hintern und dein freches Mundwerk und verziehst dich!«
»Nein!«
»Nein?« Er hob die Braue und ich schaute abwechselnd zwischen den beiden hin und her, während sie nicht nur mit Worten, sondern auch mit ruppigem Ziehen an meinen Armen diskutierten.
»Du hast mich schon richtig verstanden. Ich passe auf sie auf. Du bist ein Schwanz und so etwas lasse ich nicht in die Nähe von ihr.« Sie zerrte an meinem Arm, bedeutete mir, ihr zu folgen, und gleich darauf zog Adam mich zurück.
»An dem Schwanz hängt noch ein Körper und entschuldige, wenn ich dich enttäusche, Mila, aber auch eine Seele. Sie bleibt bei mir, weil du sie nie so beschützen könntest wie ich.«
»Ich würde mich aber nicht an ihr vergehen!«
Mir klappte der Mund auf und ich erkannte Milas Gesicht unter dem aufkommenden Tränenschleier nicht mehr. Eine gefährlich Stille trat ein. Eine schneidende, bedrohliche Lautlosigkeit. Daraufhin riss mich Adam tonangebend retour, sodass ich stolperte, und sein Körper stellte sich wie eine gigantische, machtvolle Mauer zwischen mich und Mila. Seiner plötzlichen Nähe ausweichend ließ ich los und trat einige Schritte zurück. Adams Rücken, seine schlagartig riesige Statur, verdeckte das Mädchen komplett.
Ich konnte nur ahnen, dass er sie nach hinten schubste, als er: »Verschwinde!«, murrte und die Tür vor ihrer Nase schloss. Umgehend benutzte er den Schlüssel und Mila brüllte, rappelte an der Klinke und schlug gegen das Holz, während Adam seine Arme daran abstützte und den Kopf hängen ließ. Durch sein hellblaues Hemd spannten sich sämtliche Muskeln an und zeigten, wie wütend er wurde.
Die Furcht ballte sich in meinem Magen zu einem drückenden Knoten zusammen. Mit vorsichtigen Schritten rückwärts wich ich seiner Gewalt aus, der ich doch nicht entkommen konnte, außer wenn ich aus dem Fenster sprang. Kurz schaute ich dorthin und erkannte, dass ich dafür an ihm vorbeimusste, da es auf der anderen Seite des Raumes lag. Das Bett wurde zu einer Grenze zwischen Gefangenschaft und Freiheit.
Ich dachte darüber nach, hierüber hinwegzusprinten und wusste auch, dass ich mich dadurch bemerkbar gemacht hätte. Noch stand er einfach da und atmete schwer. Mein Blick haftete sich wieder auf das Ungeheuer, dessen bebender Rücken seinen Groll ankündigte. Zunehmend bereitete er mir mehr Angst und ich schrumpfte weiter zurück, als könnte ich der bevorstehenden Explosion entfliehen oder mich davor verstecken.
Dann wurde mein Schritt aufgehalten, ich knallte gegen die Kommode neben dem Bett und brachte die Lampe darauf ins Wanken. Damit holte ich mir ungewollt seine Beachtung ein. Er drehte sich um und musterte mich. Mein Herz setzte aus und ich ahnte noch nicht einmal, was mich jetzt erwarten würde. Grausames würde er mir antun, das war mir mehr als bewusst.
Ich könnte die Lampe hinter mir nehmen, die sich wieder gefangen hatte, und ihn damit bewusstlos schlagen. Dann könnte ich die Schlüssel aus seiner Tasche klauen und abhauen. Ich könnte lügen und dem ganzen Grauen entfliehen, bevor es mich tötete. Ehe er mich umbrachte.
Abwartend, ohne ihn aus den Augen zu lassen, verschränkte ich die Arme auf dem Rücken und tastete mit den Fingern nach dem Fuß der Lampe und bekam wieder Luft, als ich sie spürte. Sie war meine Rettung. Er müsste nur nah genug vor mir stehen.
Adam beäugte mich eingehend weiter, bis er den Kopf schüttelte. Nachdem er sich einmal durchs Gesicht gestrichen hatte, visierte er den Stuhl in der Ecke an und setzte sich dorthin. Die Luft war angespannt, ich hörte mein Herz laut schlagen und mein ganzer Körper war angespannt. Wartete. Passte auf.
»Komm her«, sagte er dann sanft und leise und zeigte es auch mit seinen Fingern. Ich regte mich nicht und erneut gestikulierte er mir, dass ich zu ihm schreiten sollte, was ich nicht tat, da hier die Lampe hinter mir stand. Davon abgesehen war ich nicht so blöd, mich ihm freiwillig zu nähern.
»Bitte«, hauchte er, als wüsste er, dass ich die Bedeutung seiner Worte verstand, und ich reagierte erst recht nicht. Seufzend stand er auf und kam auf mich zu.
Das wäre die Chance.
Schritt für Schritt sah ich meine Flucht kommen.
Nur noch wenige Schritte und ich könnte mich retten. Ich drückte mich noch weiter nach hinten, bekam die Lampe zu greifen, und dann war er endlich vor mir. So schnell ich konnte, schloss ich die Finger komplett um den Fuß, riss die Lampe vom Tisch, um sie Adam auf den Kopf zu schlagen. Noch während die Lampe in der Luft war, merkte ich den plötzlichen Widerstand, das Kabel, welches noch in der Steckdose hing, und im selben Moment hielt Adam sie auf und entriss sie mir. Mir und der Steckdose an der Wand. Erschrocken sah ich ihn an, beobachtete ihn, wie er eher gleichgültig auf die Lampe sah und sie in seiner Hand hin und her schwenkte. Als er aufsah, wurde die Furcht unerträglich und ich bereute sogleich, was ich getan hatte, und wollte schreien und konnte doch nur mit aufgerissenen Augen zu ihm starren. Er machte einen Schritt vor. Ich wich aus, geriet aber durch den wenigen Platz ins Ungleichgewicht und fiel auf die Matratze.
»Ich muss dir eine ganz schöne Angst einjagen, dass du mich versuchst mit einer Lampe zu erschlagen«, sagte er mehr zu sich selbst und ich beobachtete ihn, wie er die Lampe auf die Kommode zurückstelle. Nachdem er sie in die gewünschte Position gebrachte hatte, sie mehrfach vorsichtig hin und hergerückt hatte, beugte er sich vor und steckte das Kabel auch wieder ein. Auf die Lampe blickend streckte er die Hand aus, betätigte den Schalter und schaute nach, ob sie noch anging. Er nickte, als sie leuchtete, und machte sie daraufhin aus.
»Siehst du, es ist nichts passiert.« Er blickte wieder zu mir und dieses widerlich freundliche Lächeln erschien auf seinen Lippen.
»Wie kannst du dich mit Mila austauschen und mit mir nicht?«, fragte er verwundert und musterte mich intensiv. »Ich will, dass du verstehst, dass ich dir nichts Böses will.« Es lockerte sich eine Haarsträhne, die ihm in die Stirn fiel, und er strich sie sich über das komplette Haar zurück. »Mh. Wie erkläre ich es dir, ohne Worte, die du eh nicht verstehst?«, fragte er mich unverständlicherweise. Davon abgesehen könnte er es versuchen, ich würde ihm ohnehin nicht glauben. Er war verlogen, ein Lügner und nutzte seine Schönheit, um seine eigentlich grausame Persönlichkeit vor anderen zu verbergen. Er war ein Widerling. Eine Made!
»Wie redest du mit Mila?« Er prüfte jeden Millimeter meines regungslosen Gesichts genau, suchte in meinen Augen die Antwort und seufzte, als er diese nicht fand. Auf der Matratze fühlte ich mich wie im Treibsand.
Er setzte einen Schritt zurück, ohne seinen Blick von mir zu lösen, und überraschte mich, als er kleiner wurde. Vor meinen Augen, vor meinen Beinen kniete er sich hin. Ich richtete mich etwas auf und konnte nicht glauben, was er da tat und warum. Entsetzt schaute ich auf ihn hinab, als er seine Stirn gegen meine Beine drückte und ein weiteres Mal tief seufzte.
Tat ihm sein Vergehen wirklich leid? Nein. Das konnte nicht sein. Er und seine Freunde waren berüchtigt für ihre Gewalttaten, für ihr Vorgehen und die Brutalität. Niemals könnte ihm das leidtun. Oder war es die Tatsache, dass ich für ihn zu jung war? War es das, warum er sich selbst gerade bemitleidete?
Am Frühstückstisch bei Calvin war klargeworden, dass sie es ablehnten, Kindern etwas zu tun, weshalb ich es vielleicht etwas mit dem Alter übertrieben hatte. War es das, warum er nun meine Waden umschlang?
Nur was war das gerade im Bett gewesen? Da war er mir auch viel zu nah gekommen. Es konnte ihm leicht leidtun. Oder war ihm aufgefallen, dass ich noch unberührt gewesen war?
Diese vielen Fragen. Sein unerklärliches Verhalten. Es verunsicherte mich.
»Es tut mir leid, Poppy«, hauchte er hoffnungsvoll, als könnte ich ihn dadurch besser verstehen. Dennoch überzeugte es mich nicht vollkommen. Es war trügerisch und unwirklich.
Adam war eine Bestie, warum sollte er sich entschuldigen? Aber die Zweifel versiegten allmählich, als er aufschaute und meinen Blick fing. Die Wahrheit stand im Blau seiner klaren Iriden geschrieben, weshalb ich schluckte. Obwohl er noch vor mir kniete, richtete er sich etwas auf, ohne sich von meinen Augen zu trennen, und legte seine Hand ans Herz. Dann nahm er meine Hand von der Matratze und legte sie sich an die Brust, wo ich das schnelle Pochen wie ein Lied durch seine Muskulatur und den dünnen Stoff spürte.
»Es tut mir leid«, hauchte er erneut weicher, sanfter und so bedeutungsvoll, dass ich jedes einzelne Wort glaubte. Mein Mund wurde ganz trocken und so intensiv sein Auftreten auch war, so sehr ich ihn hörte und verstand, konnte ich ihm nicht verzeihen. Er hatte mich berührt, obwohl er es nicht durfte. Er hatte mir etwas weggenommen, was ihm nicht zugestanden hatte. Er hatte mein Versprechen gebrochen, welches ich hatte halten wollen. Und er hatte mich verletzt , obgleich er mich hatte behüten sollen. Seine Abbitte war das Mindeste, was er an den Tag legen konnte. Dennoch änderte es nichts. Es gab mir die Reinheit nicht zurück, verhinderte nicht den Bruch meines Schwures.
Eine Entschuldigung verminderte nicht das Leid.
Trotzdem nickte ich knapp, zog die Hand zurück und er lächelte mich an, als wäre somit sein Verbrechen aus der Welt geschafft. Bevor er aufstand, platzierte er einen einzelnen Kuss auf mein rechtes Knie, als wollte er damit die nicht vorhandene Vergebung besiegeln. Im nächsten Moment ergriff er meine Hand und zog mich in seine Arme in den Stand. Niemals in meinem Leben war eine behutsame Umarmung so widerwärtig und abstoßend für mich gewesen. Deswegen fand ich wahrscheinlich auch den Mut, ihn von mir zu drücken und unter seinem Blick den Saum des Shirts runterzuziehen, um so viel nackte Haut wie möglich vor ihm zu verbergen.
»So süß du auch in Gregs Kleidung aussiehst, du brauchst andere. Deine eigene.« Ihm war der durchgehende Monolog nicht leid und er zupfte für mein besseres Verständnis am Stoff. »Komm mit. Vielleicht war der Eilbote schon da.« Erneut umschloss er mein Handgelenk mit seinen Fingern. Noch bevor ich mich daraus befreien konnte, zerrte er mich hinter sich her. Erst an der Tür ließ er mich los, um diese aufzuschließen. Scheinbar wollte er wirklich mit mir gemeinsam den Raum verlassen, weswegen ich überrascht war. Auch mein Herz machte kurz einen Satz. Wahrscheinlich war das seine Art, mir seine Entschuldigung näherzubringen. Mich zu überzeugen, ihm zu vergeben, was niemals geschehen würde. Dafür war es zu spät.
Weit öffnete er die Tür. Ich blinzelte in den Flur und konnte Mila nicht entdecken. Sie war bereits gegangen, als sie keinen Erfolg gehabt hatte.
Diesmal nahm Adam meine Hand. Ohne meine Zustimmung verschränkte er unsere Finger miteinander und zwang mich, ihn hinauszubegleiten. Da mir nichts anderes übrigblieb, als dem Folge zu leisten, lief ich mit langsamen Schritten neben ihm her.
»Ich freue mich darüber, dass wir uns vertragen haben.« Was hoffentlich nicht ernst gemeint war. »Ich weiß, dass ich gemein zu dir war und bin auch froh, dass du nicht alles zu spüren bekommen hast.« Was sollte das denn heißen? Er konnte noch grausamer werden? Oder meinte er die vielen Beleidigungen am Tisch oder die Tatsache, dass er mich wie eine gefährliche Verbrecherin weggesperrt hatte? »Ich kann schon ein Arsch sein. Aber ich wollte dir nie so nahetreten. Keine Ahnung, was da passiert ist.« Im Augenwinkel bemerkte ich, dass er sich mit der anderen Hand durchs Haar fuhr. »Ich hatte da diesen Traum. Es ist eher eine alte Erinnerung, die ich nicht ausradieren und leider nicht vergessen kann. Lange habe ich davon nicht mehr geträumt und ich weiß auch nicht, woher das auf einmal gekommen ist.« Er hustete kurz auf und ich verstand überhaupt nicht, was er von mir wollte und was er da vor sich hin quatschte. »Jedenfalls war das alles so gegenwärtig. Traum und du. Ich weiß nicht. Es war ein komisches Gefühl. Das hat sich vermischt und ich wusste nicht, ob ich noch träume oder nicht. Es war so echt und auch eben nicht, verstehst du das?« Er blieb kurz stehen und ich schaute ihn fragend an. Da lachte er künstlich auf. »Nein, natürlich nicht. Du verstehst kein Wort von dem, was ich hier spreche.« Er tippte mir auf die Nase und schritt mit mir an seiner Hand wieder los in Richtung der Treppe, die schon zu erkennen war. »Was wiederum auch gut so ist. Ich sage nämlich oft Dinge, die ich gar nicht so meine. Ich denke nicht nach, bevor ich rede.« Gerade wurde das überdeutlich. »Deswegen kann ich dir jeden kranken, verfickten Scheiß erzählen und du kannst nichts damit anfangen.« Sollte er bloß tun, vielleicht bekam ich so eine Möglichkeit, ihn für alles zu bestrafen.
»Ich könnte dir zum Beispiel erzählen, wie oft ich Kit und D beim Vögeln beobachtet und mir darauf einen runtergeholt habe, weil ich mir vorstelle, wie ich sie nagele.« Er lachte und ich blieb stehen. Zu spät merkte ich, dass ich reagierte, und schluckte hart, als er mich ansah. Seinen Blick erwiderte ich genauso fragend wie zuvor. »Ach, Poppy. Du bist so süß, wenn du nichts schnallst.« Dabei schnallte ich so viel. Zum Beispiel, wie pervers und widerlich er wirklich war. Er beugte sich runter, küsste meine Stirn und flüsterte verschwörerisch: »Lausch nur meiner Stimme, kleine Poppy, die wird noch gebraucht.« Damit ging er weiter und brachte mich dazu, ihm zu folgen. Dabei verwirrten mich seine letzten Worte. Nur folgten darauf weitere: »Weißt du, eigentlich wollte ich dich in der Nacht abknallen.« O mein Gott. »Aber als ich dich neben Mila liegen sah, brachte ich es nicht übers Herz. Also, du löst jetzt nichts in mir aus oder so. Aber Mila hätte das nicht verkraftet, weißt du.« Während wir die Treppen hinabstiegen, wurde mir immer übler. »Du hast ja schon gemerkt, wie aufbrausend sie ist. Sie hätte so ein Drama veranstaltet, dass ich Kit, also ihrer Schwester, wie du sicher weißt, einiges erklären hätte müssen. Um ehrlich zu sein, bin ich nicht scharf darauf, ihre Wut auf mich zu lenken. Nein, diesen Anspruch überlasse ich D.« Er sprach so ungerührt und gleichzeitig sanft. Es passte nicht zu dem Inhalt seiner Worte. Zu dieser grausamen Bedeutung. Und er fand damit auch kein Ende. »Es gäbe viele Möglichkeiten, dich umzubringen, ohne gleich die Rachsucht zweier Frauen auf sich zu ziehen. Vorgetäuschter Suizid ist etwas Schönes und in deinem Fall auch noch verständlich.«
Unten angekommen blieb er stehen, nahm mein Gesicht in die Hände und lächelte mich breit an. Dann sprach er so liebevoll, einen Ticken höher, als wäre ich ein besonderer Schatz, den er da in den Händen hielt: »Oh, ein Selbstmord wäre das Beste für dich. Niemand würde auf die Idee kommen, dass ich dahinterstecke und du, süßes Mädchen, wärst frei. Und ich gleich mit.« Er hauchte mir einen Kuss auf die Nasenspitze und mein Magen zog sich gefährlich zusammen. Ich musste mich zusammenreißen, durfte ihm nicht zu erkennen geben, dass ich ihn verstand. Und doch transportierten seine warmen Wörter nur das grausame Elend, welches er für mich geplant hatte. Mit aller Gewalt versuchte ich, das aufkommende Zittern zu unterdrücken, spürte jedoch, wie weich meine Beine wurden.
Mila. Ich hatte noch Mila. Sie würde wissen, dass es kein Selbstmord war. Dachte ich. Glaubte ich. Hoffte ich. Was alles Schwachsinn war, denn ich war dann eh tot. TOT. O mein Gott, ich wollte noch nicht sterben. Ich würde es. Das sah ich in seinen Augen.
Er hatte mir soeben den Tod versprochen.
»Ach, schau, der Bote war sogar schon da.« Adam gab mich frei und zeigte auf einen großen Karton auf einem Beistelltisch neben der Treppe. Umgehend schritt er darauf zu, nahm ihn und überreichte ihn mir. In fetten Buchstaben stand da ›Adam‹ geschrieben. Meine Glieder hingen schlaff an mir herab, sodass ich ihn nicht nehmen konnte. Deshalb stellte er ihn auf den Boden und öffnete ihn. Anschließend schlug er das blaue Seidenpapier auf und zum Vorschein kamen diverse Kleidungsstücke.
»Ich hoffe, sie passen dir, wir haben ja nicht deine Größe. Majida kennt sich allerdings aus und es ist immerhin besser, als nur in einem Shirt herumzulaufen.« Dann machte er den Karton grob zu und klemmte ihn sich unter den Arm, um mich daraufhin wieder an die Hand zu nehmen und die Treppe hochzuschleifen. Völlig neben mir stehend folgte ich ihm, bis er mich im Flur vor eine Tür stellte.
Er öffnete sie, schob mich voran und stellte den Karton in dem dunkel eingerichteten Raum aufs gemachte Bett, um dann zu der Nebentür zu zeigen. »Da ist das Bad.« Als ich nicht reagierte und meinen Puls nach wie vor durch jede noch so kleine Vene pumpen spürte, ging er an mir vorbei, öffnete auch diese Tür und zeigte mir somit, dass sich dort das Badezimmer befand. Dann deutete er wieder auf den Karton »Such dir etwas aus, dusch dich und komm dann runter.« Bei der letzten Anweisung ahmte er mit Zeigefinger und Mittelfinger gehende Bewegungen auf der anderen Handfläche nach und zeigte dann zu Boden. Neben mir getreten nickte ich nur anstandslos und fasste es noch immer nicht, dass er mir so einnehmend entgegenlächelte, während er insgeheim meinen Mord plante und es wie einen Suizid erscheinen lassen wollte. Dieser Kerl, so schön anzusehen, wie er auch war, hatte eine Persönlichkeitsstörung. Er war völlig irre.
Nachdem er ebenfalls genickt und: »Bis gleich«, gesagt hatte, drehte er sich um und verließ den Raum. Und nun? Was sollte ich jetzt tun? Mich tatsächlich waschen, umziehen und ihm nach unten folgen? Mich lachend in den vorgetäuschten Suizid bewegen?
Nein. NIEMALS!
Ich atmete tief durch und erinnerte mich an den Plan. Dokumente stehlen. Von hier verschwinden. Freiheit. ENDE!
Sollte er doch denken, dass er der Einzige auf diesem Planeten war, der einen Plan schmiedete. Im Gegensatz zu ihm war ich im Vorteil. Denn ich wusste, was er vorhatte. Andersrum hatte er keinerlei Vorstellung!