28
Ü berraschend wachte ich ohne das Gefühl des Verlangens auf. Er suchte mich diesmal nicht im Traum heim. Zu gegenwärtig war der Abend, als ich auf Edwin getroffen war. Als sein Hass spürbar durch meinen Körper gewandert war und er mein Herz, welches einmal ihm allein gehört hatte, in seinen großen Händen zerquetscht hatte. Zwar empfand ich diese Zuneigung nicht mehr, der ich Mila zusprach, doch die Vergangenheit und die Zeit mit ihm würde ich nicht vergessen und erst recht nicht verleugnen können. Einst war er ein wichtiger Bestandteil meines Lebens gewesen. Die Luft, die ich atmete, und der Grund für meine Taten, um in Freiheit mit ihm zusammen leben zu können. Edwin war das kleine bisschen Normalität, welches ich mir gewünscht hatte, und nun war er ein Feind.
Fast glaubte ich, ihn an mir zu spüren, erinnerte mich an die vielen gemeinsamen Stunden. Im nächsten Augenblick kroch mir dieser betörende Duft in die Nase und die Wahrheit schlug in mich ein. Es war Adams warmer Körper, der im Inneren die Kälte beherbergte, an meinem. Sein eigener besonderer Geruch, der zu diesem Monster nicht passen wollte und schwer in der Luft lag. Und es waren seine starken, beschützenden Arme, die mich ins Verderben trieben, während er mich fest umschlungen an sich presste. Grausamer war nur das Gefühl, so liegenbleiben zu wollen, weil er mir die Geborgenheit schenkte, die ich in jenem Augenblick so brauchte. Die täuschende List kam erst, als auch er erwachte, die unangenehme Härte an meinem Schenkel spürbar wurde und er mich zufrieden brummend noch fester an seine Muskeln zwängte.
Am liebsten hätte ich ihn angeschrien, mich nicht ständig anzufassen, stattdessen drückte ich ihn mit den Händen an seiner Brust von mir, löste mich aus der Klammerung und drehte mich von ihm weg. Er murrte Unverständliches in sich hinein, während ich langsam und mit Bedacht, ihn nicht weiter aufzuwecken, aus dem Bett stieg. Da ich jedoch nur mit Unterwäsche bekleidet dalag, zog ich die Decke gleich mit mir, um meine Nacktheit vor seinen gierigen Blicken zu schützen, falls er die Augen öffnen würde.
»Poppy, komm zurück ins Bett.« Bis auf Boxershorts lag er nackt da, klopfte mit geschlossenen Augen neben sich auf die Matratze und wie von selbst glitt mein Blick über seinen umwerfenden Körper. Über die Wölbungen seiner Muskeln und dieser braungebrannten Haut – mitten im Winter.
Es war ungerecht, dass seine äußere Erscheinung weder zu seinem abscheulichen Charakter noch zu seiner grausamen Persönlichkeit und schon gar nicht zu seiner maroden Seele passte. Hinterhältig betörend lag er da, reizte jeden Sinn in mir und nur mein Verstand ließ sich nicht blenden.
»Poppy?« Er öffnete die Augen, suchte den Raum nach mir ab, bis er mich neben dem Bett stehend fand und seine blauen Iriden mich sanft und schuldlos weiter in die tiefe Schlucht lockten. »Komm her.« Das Monster breitete die Arme aus, dachte scheinbar, er sei ein Freund und nicht das grausame Ungeheuer, welches mich einschloss und nötigte, und bat mich um eine Nähe, die ich nicht freiwillig zuließ.
»Es war doch so schön«, erklärte er sich mit engelsgleicher Stimme. Ich schüttelte den Kopf, drückte das Laken fest an den Leib und ging in Richtung der Tür, mit dem Wissen, dass er uns eingeschlossen hatte.
»Du willst duschen gehen?«, fragte er sich wohl selbst. Dennoch stand er auf, schlüpfte nur in seine Hose und kam auf mich zu, die mit der Hand an der Klinke dastand und auf ihn wartete. Jedenfalls verstand er mich und kam dem auch nach. Vor mir stehend fuhr er sich mit den Fingern mehrfach durchs Haar, richtete damit das blonde Nest auf seinem Kopf und lächelte liebevoll, als wäre er nicht mein bevorstehender Mörder.
Nachdem er endlich die Tür aufgeschlossen hatte, legte er mir beschützend die Hand auf den Rücken und schob mich sanft hinaus. Dort entkam ich seiner Berührung und dieser Nähe, die ich zu vermeiden versuchte. Dabei machte ich meinem Körper, der längst mit einem wohlwollenden Kribbeln reagierte, klar, dass es Mila war, die sich in mein Herz schlich und dass ich auf sie wesentlich intensiver ansprang, als auf diese attraktive Kreatur, die mich geradewegs ins Nachbarzimmer begleitete.
Der Karton mit Kleidungsstücken sprang mir regelrecht ins Gesicht und ich atmete tief durch, als ich diesen ansteuerte. Doch Adam hielt mich am Arm zurück, durchbohrte mich mit der Intensität seiner Augen und beugte sich vor. Mein Herz stoppte, das Blut in den Adern gefror und ich stellte überrascht fest, dass er mir nur leicht, kaum spürbar, einen Kuss an die Schläfe drückte.
»Ich warte draußen«, erläuterte er gutmütig, bevor er mich freigab und losließ. Dann wurde es mir bewusster. Meine Ängste ihm gegenüber waren verschiedener Natur. Denn zum einen, das merkte ich, als er die Tür hinter sich zuzog, fürchtete ich mich vor mir selbst.
Dass mir seine Berührungen gefielen, konnte ich nicht abstreiten, und dennoch würde ich es tun, falls man danach fragen würde. Es war nicht gesund, so zu empfinden. Nicht, nachdem er mir seinen Plan offenbart hatte. Nicht, wo er sich an mir verging. Nicht, da seine Abscheulichkeit unbestreitbar war.
Ein Kloß verengte mir die Kehle, doch ich schüttelte die schlechten Gedanken von mir. Denn Mila war da. Nicht in diesem Raum, aber in meinem Herzen. Ich ging unter die Dusche, nachdem ich mir aus dem Karton Kleidung herausgesucht hatte.
Demzufolge stand ich später angezogen inmitten des Zimmers, fühlte mich körperlich wohler und seelisch zerrissener. Vor der Tür haderte ich mit dem Bewusstsein, den Weg nicht mit dem Ungeheuer zu kreuzen, gleichwohl es die Folge sein würde, sobald ich die Tür öffnete. Edwin spielte noch mit meinen Nerven, ich vermisste Mila und reagierte schamlos auf ihn – was ich vereiteln musste. Es war sicher keine Kurzschlussreaktion, als ich zum Fenster hastete und es ohne Mantel, der mich vor der Kälte hätte schützen können, aufriss. Der Wind prallte schmerzhaft gegen meine Haut und hielt mich dennoch nicht auf, als ich auf den Sims stieg. Aufgeregt und ohne einen ausgereiften Plan sah ich hinab, kundschaftete aus, wie ich vor dem Monster fliehen konnte, und entdeckte ein Rohr an der Hauswand. Nicht weiterhin nach unten schauend tastete ich mich mit dem Fuß zur Verankerung des Regenrohrs weiter, dachte nicht lange nach und kletterte mit rasant schlagendem Herz langsam hinab. Das Zittern beachtete ich nicht weiter, als ich von der Fixierung zur nächsten Halterung balancierte, mich mit schwitzigen Fingern festhielt und dem Boden allmählich entgegenkam. Ich atmete nicht. Dachte nicht. Fürchtete mich nicht. Einzig und allein die Flucht in Gedanken näherte ich mich meinem Ziel.
Erst als meine Füße den Boden erreichten, ich das letzte Stück sogar sprang, atmete ich wieder auf. Dann traf mich die Angst. Ohne den nächsten Schritt vor Augen sah ich mich um, suchte einen Weg, den ich selbst noch nicht geplant hatte, und lief.
Ich lief einfach los.
Bitterkalt umschlang mich der Wind, wehte mir die noch feuchten Haare stechend ins Gesicht und ich rieb mir über die Arme, um mir die schmerzhafte Gänsehaut von den Gliedern zu vertreiben. Ich musste hier weg, konnte nicht weiter im Schneetreiben herumirren und steuerte die Fahrzeuge an, die vor der Villa parkten. Zwar hatte ich nicht Milas Geschick, Autos in Sekunden zu knacken, hoffte jedoch darauf, dennoch Zugang zu erlangen. Vor Gregs Wagen hielt ich und suchte eine offene Tür. Leider war sein Pick-up verriegelt. Dann rannte ich zum Mercedes und glaubte, dass es Adams war. Die Hintertür war ebenfalls verschlossen. Doch als ich mein Glück an der Fahrertür probierte, wurde ich positiv überrascht. Diese Fügung des Schicksals konnte ich kaum fassen, sah mich um und stieg ein. Leise, als würde jemand von weitem mein Treiben hören können, schloss ich die Wagentür und tastete mit den Fingern nach dem Sicherungskasten. Niemals zuvor hatte ich einen Motor ohne Schlüssel zum Starten gebracht, wusste auch gar nicht, wie es funktionierte. Wenn jedoch, dann sicher mit den Kabeln, die mit kleinen Sicherungen verbunden waren. Zunehmend stieg in mir die Nervosität. Mein Puls raste und schrillte mir laut in den Ohren und im Augenwinkel erkannte ich einen Schatten. Nachdem ich den Blick dorthin gerichtet hatte, sah ich Adam aus der Villa stürmen. Gefangen wusste ich mir nicht zu helfen, konnte unmöglich unbemerkt aussteigen, also kletterte ich rasch nach hinten, in der Hoffnung, mich im Fußraum vor dem Monster verstecken zu können. Er ahnte nichts von meiner Anwesenheit, als er den Kofferraum öffnete und diesen kurz darauf wieder schloss, einstieg und losfuhr. Und mein Herz blieb stehen.