I
n der Villa fand ich nicht die Lösung für meine Freiheit und hier in der Kälte auch nicht. Längst war Adam weitergefahren und ich zurückgeblieben.
Zurück in einer Gegend, die mir Angst machte. Bitterkalt und ohne Jacke lief ich umher und ärgerte mich, nicht vorausschauender gehandelt zu haben, und hielt nun die Augen nach etwas offen, was mir bekannt vorkam. Vielleicht war ich hier schon einmal mit Mila oder mit Greg gewesen? Je länger ich ohne Ziel und ohne eine Lösung herumlief, desto mehr wurde mir bewusst, dass es ein fataler Fehler gewesen war, sofort bei der erstbesten Möglichkeit auszusteigen.
Eni. Ich musste ihn erreichen. Nur kannte ich seine Nummer nicht. Oder ich floh einfach. Wenn niemand mich erkennen würde, könnte ich flüchten. Für immer. Und endlich in Freiheit leben. Ohne Gegenleistung. Ohne Geld.
Ich konnte mir das nicht schönreden. Ich fror und bekam noch mehr Angst, als große, dunkelhäutige Männer auf mich zusteuerten. Sie fixierten mich mit merkwürdigen Blicken, die mir unter die Haut fuhren. Für einen Augenblick beneidete ich sie um die dicken Mäntel, die sie trugen, wo ich meinen gedankenlos zurückgelassen hatte. Sie hielten weiterhin auf mich zu, vertrieben mir den lapidaren Einfall und ich wusste mir nicht anders zu helfen, als den Blick abzuwenden und die Straßenseite wechseln zu wollen.
»Wohin, kleines Ding?« Sie stoppten mich, bevor ich mich weit genug von ihnen hatte entfernen können, und einer von ihnen riss mich am Arm zurück. »Na, kleines Ding?« Er legte aufdringlich seine warme Hand an meine Wange und anhand dessen, wie er mich betrachtete, konnte ich seine widerlichen Gedanken lesen, während seine Freunde wie Hyänen lachten.
Die Angst wich der unheilvollen Furcht. »Bitte nicht«, flüsterte ich. »Lasst mich gehen.« Ich trat zurück, doch weit kam ich unter den Pranken dieses Mannes nicht. Fest hielt er meinen Arm, drückte zu und lächelte schief.
»Wo willst du denn hin?«
»Nur weg«, hauchte ich und meine Stimme brach an den einzelnen Worten. Zerbrach unter diesem starren, dunklen Blick. Wurde zerstört, als er mich an sich zog und sein Gesicht in meinem Haar vergrub.
»Lass uns spielen, kleines Ding«, raunte er mir ans Ohr und ich bebte an seinem mächtigen Körper. Ich drückte ihn weg, wollte fliehen und er hielt mich einzig und allein durch seine kraftvollen Klauen an meinem Arm gefangen. Da drängte sich einer seiner lachenden Kumpanen hinter mich, griff mit seinen Krallen in meine Hüfte und knurrte mir heiser ins andere Ohr:
»Du armes Ding frierst doch sicher, komm, wir wärmen dich.«
»Lasst mich los!«, wurde ich in Anbetracht dieser bedrängenden Situation mutiger, wehrte mich mit mehr Elan und Mumm. Dennoch half mein Wagemut nicht. Ich trat und schlug, so gut es ging, um mich, als sie nur lachten.
»Bringen wir sie weg.«
»Warte mal.« Sie hielten ruhig, sahen zum dritten der Männer, der auf mich zutrat und mich an den Wangen zwang, ihn anzusehen.
»Sie ist nicht von hier.«
»Und?«
»Ist sie nicht das Mädchen, das bei C wohnt?«
»Calvin würde hier keinen Schützling von ihm allein herumlaufen lassen.«
»Sieh sie dir an, sie ist abgehauen.«
Während sie diskutierten, bemerkte ich meinen Fehler. Einen weiteren, der mir nun übel aufstieß. Denn selbst, wenn ich hier lebend oder unberührt herauskommen sollte, würden diese Männer weitergeben, dass ich sie verstand, ich ihrer Sprache mächtig war. Mir stiegen die Tränen ins Auge, weil ich nicht mehr wusste, was besser war. Der Tod durch ihre groben, missbrauchenden Hände oder der durch die Detroiter Machtinhaber. Beide Wahlen wären qualvoller, als ich es mir vorstellen könnte.
»Kit wird uns erledigen, wenn wir ihr was tun.«
»Wer weiß, ob sie zu denen gehört.«
»Ich wette meinen Hintern darauf, die ist von Calvin.«
»Na und? Dann sollte er besser auf sie aufpassen.« Er zog mich voran. Rechts und links bauten sich die Fleischmassen auf, hielten mich in Schach und ließen mir keinen Ausweg, während der einzig Vernünftige ihnen hinterherschrie, wie dumm sie seinen, wenn sie mir was taten. Was mir persönlich nichts half. So oder so hatte ich mit meiner unbedachten Flucht einen Fehler begangen und die Situation verschlimmerte sich
mit jedem trägen, scheuchenden Schritt in eine fremde Richtung. Längst vergaß ich die Kälte und ein viel stärkerer Schmerz ergriff mich. Die Zukunft. Das, was ich nicht aufhalten können würde, weil ich nur dieses dumme Ding mit Hoffnung war, welches diese Kerle in mir sahen.
»Lasst sie los!«, hörte ich eine mir bekannte Stimme und erschrak, als auch sein Gesicht zu erkennen war. Vor uns stellte er sich auf und wurde zu meinem Retter.
»Was willst du, Frischling? Geh und verteil Strafzettel.«
Er hob jedoch einen Mundwinkel und zog seine Waffe aus dem Halfter.
»Du weißt, dass wir zu Kit gehören«, meinte der links von mir.
»Genauso wie die Frau.« In dem Moment ließen sie mich los. »Komm her«, befahl er mir. So schnell mich meine weichen Beine trugen, schritt ich auf Edwin zu und war ihm um mein Leben dankbar. Er wartete, hielt die Pistole auf die Männer gerichtet, doch sie rückten ab, als er kurz nickte.
Weiterhin blieb er geduldig stehen, bis sie um die Ecke verschwunden waren.
»Was machst du hier?«, wandte er sich mir zu, steckte sein bedrohliches Werkzeug zurück in den Halfter und legte fragend den Kopf schief. Derweil suchte ich nach einer Erklärung, doch der Schock löste sich so gewaltig von mir, dass ich ihm um den Hals fiel.
»Du hast mich gerettet.« Die Tränen fielen, konnten nicht aufgehalten werden. Ich ließ ihn nicht los, presste mich an seinen starken, warmen Körper. Ich weinte drauflos, jeder Damm war gebrochen und dennoch fühlte ich mich derart sicher wie seit langem nicht mehr.
»Praskowja«, hauchte er und endlich schloss er seine Arme um mich, hielt mich, schützte mich. »Beruhig dich.« Ich vergrub mein tränenreiches Gesicht in seiner Halsbeuge und dachte gar nicht daran, ihn jemals wieder loszulassen.
»Wir können nicht hierbleiben. Falls sie Kit anrufen, habe ich ein Problem.« Das weckte mich aus der Trance auf und ich sah in das mir viel zu bekannte Gesicht, welches ich einmal so sehr geliebt hatte, dass ich hätte schreien können. Dort erkannte ich die Furcht in seinen Augen. Den Respekt, den er vor dieser brutalen Frau hatte. Er lächelte mich an, wohl, um mich genau von dieser Wahrheit abzulenken.
»Was hat sie dir angetan?«
»Nichts. Lass uns gehen. Ich bring dich zurück zur Villa.«
»Nein!«, protestierte ich, als er meine Arme von sich löste, und klammerte mich erst recht an ihn.
»Du hast einen Auftrag zu erledigen.«
»Nein! In der Villa ist nichts zu holen.«
»Eni schickt dich nicht umsonst dahin.« Er zerrte an meinen Armen, trat zurück und drang mich von sich.
»Da ist nichts, Edwin. Nichts! Adam hat es bestätigt!«
Er erstarrte und sah mich misstrauisch an. »Er weiß, dass du ihn verstehst?«
»Nein. Er spricht mit mir, als würde ich ihn verstehen.«
»Das ist merkwürdig.«
»Schick mich nicht zurück. Lass mich laufen, lass mich von hier verschwinden!«
Edwin schüttelte den Kopf, ignorierte mein quälendes Gejammer und löste sich ganz von mir. »Du wirst nicht weglaufen können. Colt und seine Leute werden dich genauso jagen wie Enis Männer. Du sitzt fest. Besser, du begreifst es jetzt als später.«
»Ich sitze fest? Ich könnte jetzt fliehen.«
»Und sie werden dich finden. Vergiss es. Ich werde dir nicht helfen.«
»Edwin, ich …«
»Lass das, Praskowja. Wir haben beide unseren Auftrag.« Einst war er meine Zuflucht gewesen. Ich erinnerte mich an die wenigen heiteren Stunden, in denen man alles vergessen hatte,
und nun stand er da, sah mich verächtlich an, hatte mich zwar gerettet, doch half mir nicht.
»Du musst verstehen, dass mit dir alles steht und fällt. Eni hat keine anderen Möglichkeiten mehr. Alles hat er ausgeschöpft und wenn du diese Dokumente nicht findest, dann …«
»Dann, was?«, unterbrach ich ihn aufgebracht, nahm die Arme zurück und hätte ihm am liebsten die Wahnvorstellung, diesen Männern Einhalt zu gebieten, aus dem Gesicht geschlagen. »Es ist nur ein Vertrag über sämtliche Geschäfte. DIE SIND LEGAL! Sag mir, wie er sie damit verhaften kann, erklär es mir!«
Er seufzte und schüttelte ungläubig den Kopf, als sei ich ein dummes, naives Kind, dem er die Welt erläutern musste. Dabei verstand ich sie mit allen Tücken.
»Du wirst das nicht verstehen und wir haben keine Zeit zu verlieren, du musst zurück. Ich werde dich ausliefern und damit einen Pluspunkt bei Calvin holen, damit ich auch mehr Freihand habe.«
Ich fasste es kaum, hielt geschockt den Mund offen und erkannte den Mann nicht mehr wieder, der da vor mir stand. Dass er auch noch Wohlwollen bei Verbrechern hervorrufen wollte, ging mir nicht in den Kopf. Es zerstörte das Bild, welches ich von ihm hatte.
»Komm.« Ohne zu zögern, umschlossen seine Finger meinen Oberarm und er zerrte mich neben sich her, direkt zu seinem Streifenwagen. Es fehlten nur noch die Handschellen, als er mich auf den Rücksitz schob und mich wie eine Verbrecherin, die ich war, bei der Flucht aufhielt und mich zurück in die Verdammnis fuhr.
Die Zeit hatte sich gegen uns gewandt und nicht nur aus mir einen anderen Menschen geformt. Auch er war längst ein anderer. Teilte mit dem Bösen das Brot, um andere Schurken verhaften zu können. Die Welt bewegte sich und nahm uns auf
eine verdrehte Reise mit, wo er nicht mehr der Gute war, der alles Schlechte von der Welt vertreiben wollte. Er arbeitete mit ihnen zusammen.