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D urchgehend plapperte Mila und ich reagierte kaum auf ihre Worte. Es war ihre Stimme, die mich beruhigte und ebenso in eine Art Trance versetzte. Monoton und dennoch engelsgleich wurden ihre vielen Sätze zu einem Lied und betteten mich behutsam in ihrem Schutz.
Umso wütender war ich innerlich, als sie gestört wurde. Oder vielmehr ich. Denn während Mila weitersprach, wurde ich von anderen, lauteren Stimmen abgelenkt. Ich lauschte zwei Männern, die wild diskutierten. Sie stritten sich regelrecht um ein auswegloses Problem. Einen vermissten Polizisten. Mein vermisster Polizist. Mein Held.
Von innen heraus schauderte es mich bitterkalt bei dem Gedanken, es könnte ihm etwas zugestoßen sein. Verdient hatte er das trotz seines Verhaltens mir gegenüber sicher nicht. Denn er hatte stets zu den Guten gehört und gerade hier war er das kleine Licht für mich gewesen. Ich klammerte mich gedanklich daran, dass Eni auf ihn achtgab. Vielleicht hatte gerade Eni dafür gesorgt, dass er aus Detroit verschwunden war und sich nun in Sicherheit befand, bevor das Monster ihm etwas hätte antun können. So musste es sein. Ich hoffte es. Glaubte daran.
Die Stimmen wurden überdeckt durch andere. Zunehmend wurde es lauter. Mila konnte ich unter den Stimmen kaum noch ausmachen, was ihr ebenfalls auffiel. Genervt verzog sie das Gesicht.
»Das ist kaum auszuhalten …«, sagte sie und zeigte mit dem Finger in den Raum. »Wir müssen hier weg. Nur kommen wir nicht weit, ich habe Riley im Nacken.« Dass sie eine Verbindung zu diesem Mann hatte, war verstörend und gefiel mir überhaupt nicht. Als könnte sie das von meinen Augen ablesen, legte sie mir die Hand an die Wange und beugte sich vor. Ihr Duft stieg mir in die Nase und ich stöhnte leicht, als sie meine Lippen mit ihren bedeckte. Als mich ihre Zunge aufforderte, mich für sie zu öffnen, wartete ich nicht lang und umschlang sie mit den Armen, sodass sie mir noch näher war.
»Oh, was haben wir denn hier?« Die Männerstimme kam noch nicht vollkommen bei mir an, da hatte ich mich ruckartig von Mila gelöst und starrte geradewegs in dunkle Augen. Ich erkannte ihn sofort. Es war der Latino, der Kits Männer erschossen hatte. Nein! Freundlich lächelte er mich an.
»Ach, Saltos.« Mila seufzte. »Du kommst immer in den unpassendsten Momenten.«
Sein Lächeln wurde breiter und er stützte sich mit einer Hand an der Sofalehne ab.
»Dafür tauchst du unerwartet an den unmöglichsten Orten auf. Hast du eigentlich auch ein Bett?« Dann sah er zu mir. »Du musst das Findelkind sein.«
»Sie versteht dich nicht. Sie ist Russin.« Dennoch hielt er mir seine Hand hin, auf die ich sah, und ich traute mich nicht, sie zu nehmen. Obgleich man es nicht erkannte, genügend Blut klebte sicher daran.
»Pascha, das ist Saltos. Ein Freund meiner Schwester Kit«, erläuterte sie mir, während sie auf ihn zeigte. Sie nahm meine Hand und legte sie in seine.
»Saltos«, sprach er lächelnd aus und sah wieder zu Mila, als er meine Hand freigab. »Dafür, dass sie uns nicht versteht, sprichst du dennoch mit ihr so, als könnte sie es.«
»Aber auch nur, weil ich sie nicht für dumm halte. Man versteht schnell eine Sprache, wenn man die Mimik und Gestik dazu hat.« Anhand seines verzogenen Gesichtsausdrucks erkannte ich, dass er sie nicht für voll nahm.
»Was redest du denn für einen Bullshit?«
Fast hätte ich lachen können, doch auch das verkniff ich mir. Mila hatte recht. Die Kleinigkeiten machten viel aus, was mich umso aufmerksamer machte. Denn ich sollte auf meine Mimik auch mehr achten, um mich nicht zu verraten.
»Du bist doof, Saltos.«
»Jap. Aber dafür habe ich Alkohol dabei.« Er hob mit der Hand, die für mich im Verborgenen gelegen hatte, eine Flasche Tequila hoch und Mila quietschte auf.
»Für mich?«
»Selbstverständlich. Aber dass die Kleine hier«, er zeigte auf mich, »nichts davon bekommt, versteht sich von selbst. Kit meinte, sie sei erst fünfzehn.«
»Und was hast du mit fünfzehn gemacht?«
»Gesoffen, gefickt und gekifft. Tu ich alles immer noch, also bin ich wohl fünfzehn geblieben und keinen Tag gealtert.« Er strich Mila unters Kinn und drehte sich um.
Auf einmal ertönte Musik aus Lautsprechern, was kaum zu ertragen war. Ich sah mich um und überall, wo man hinsah, tauchten Leute auf. Es wurden immer mehr. Gerade, als ich wieder zu Mila sah, nahm sie den Tequila von ihren Lippen und wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab.
»Hier.« Doch ich lehnte ab, als sie mir die Flasche reichte.
»Dann eben mehr für mich.« Und setzte erneut für einen viel zu großen Schluck an. Anschließend zog sie mich an der Hand hoch und direkt in die Menge, wo bereits Leute tanzten.
»Lass uns Spaß haben, Pascha!«
Umzingelt von mehr Männern als Frauen tanzte Mila drauflos, während ich verunsichert dastand. Immer wieder trank sie aus der Flasche, was sicher nicht gut für sie war. Was für uns beide fatal war.
Es dauerte nicht lange, da wurde es stickig. Alkoholgeruch und Schweiß und das Wissen, dass all diese Menschen Verbrecher waren, machten die Luft so dick, dass man sie hätte schneiden können. Es waren sogar Mörder, wenn man es genau nahm. Unsicherheit war gar kein Ausdruck für das, was ich empfand. Zu allem Überfluss stand da plötzlich Riley hinter Mila, der sich an sie schmiegte und mit ihr gemeinsam die Hüften schwang. Ein widerwärtiges Gefühl kroch unsanft durch meine Glieder. Erst recht, als ich seine Hände an ihrem Körper sah, die da nicht hingehörten. Denn es sollten meine Finger sein, die sie festhielten und ihre Haut unter dem zerrissenen Shirt erkundeten.
Ich konnte das nicht länger mit ansehen, ohne zu platzen. Noch bevor ich mich umdrehte, hielt Mila mich zurück.
»Komm!«, schrie sie gegen die Musik an und zerrte mich hinter sich her. Im nächsten Moment stieg sie auf einen Tisch und ich gleich mit.
Von Männeraugen umgeben tanzte Mila, während ich dastand und im Erdboden hätte versinken können. Die einzige Genugtuung bestand darin, dass Riley unten stand und Mila nicht mehr berühren konnte. Wenn das der Preis war, den ich dafür zahlen musste, wäre ich bereit dazu. Und genau deshalb begann ich ebenfalls zu tanzen. Nur eben nicht so ausgelassen, wie das hübsche Mädchen neben mir.