I
ch konnte mich nicht bewegen. Sah, wie das Blut aus meinem besten Freund floss und das Leben aus ihm glitt. Du schriest, weintest und küsstest immer wieder sein Gesicht. Fest in den Armen hieltst du meinen besten Freund, der für mich deine Kugel abgefangen hatte. Der mir das Leben gerettet hatte, weil du mich dort unten liegen sehen wolltest. Und ich konnte nichts tun. Konnte nicht helfen. Konnte es nicht aufhalten. Stand einfach da, geschockt und fassungslos, was da gerade vor meinen Augen passiert war, und konnte nicht einen Muskel rühren, während sich der Raum mit Männern füllte, die dir helfen wollten.
Vor meinen Augen erlosch jede Hoffnung, die Zuversicht
zerbrach, und ich verlor mich in einer anderen Zeit, die uns versprochen hatte, all dem hier erhaben zu sein.
Ich war gerade auf dem Weg zur Vorlesung, da fiel mir wie so oft dieser große Kerl mit den dunklen Haaren auf, der wie bei jedem gemeinsamen Kurs an der Wand lehnte und mich mit finsterem Blick beobachtete, während er auf seinen Freund wartete, der genauso düster erschien, dessen Schultern allerdings sogar noch breiter waren.
Als ich an ihm vorbeiging, brach ich den Blick ab, um nicht seine Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, was nie half. Sein Blick verfolgte mich jedes Mal. Nur heute war es anders. Denn er stellte sich mir in den Weg.
»Du bist doch Ruben Zander«, war es keine Frage, was jedoch weitere Fragen in mir auslöste. Angefangen damit, woher er meinen Namen kannte.
»Ja, warum?«
»Dein Vater besitzt doch einen Pharmakonzern?«
Misstrauisch betrachtete ich ihn genauer.
»Woher weißt du das?«
Ein Mundwinkel hob sich und er legte den Arm um meine Schulter.
»Reden wir doch später darüber. Wir müssen in den Kurs.«
Nur blieb ich stehen und wollte Antworten. Mir gefiel es nicht. Mich kannte hier niemand. Aber der düstere Kerl von der Uni wusste bestens Bescheid. Das schrie nach einem miesen Thriller.
»Du bist weit weg von zu Hause, Ruben.«
»Ja. Und?«
»Wieso? Warum bist du hier in Chicago? Nur um eine Tussi nach der anderen durchzunageln? In Deutschland gibt es doch sicher auch hübsche Mädels.« Er wusste wirklich bestens Bescheid. Beobachtete er mich? Falls ja, seit wann?
»Oder gab es Probleme, weshalb du lieber in den Staaten studieren wolltest?«
Was genau wollte er und warum hatte ich das Gefühl, dass er auch
über dieses eine kleine Problem informiert war?
»Ich bin Dean Johnson.« Er hielt mir die Hand hin und ich nahm sie ganz sicher nicht. »Keine Sorge, ich beiße nicht.«
»Was willst du von mir?«
Er schob mich zum Gehen voran und mir wurde klar, dass ich nur Antworten bekommen würde, wenn ich ihm folgte.
»Mein Vater ist auch Geschäftsmann, Ruben. Er besitzt ein sehr großes Imperium. Dennoch habe ich nicht das Interesse, seine Geschäfte zu übernehmen. Ich will mein eigenes Unternehmen gründen. Wie ist das mit dir? Trittst du in Daddys Fußstapfen?«
Irgendwie hatte ich das Gefühl, dass dieses Gespräch nicht in die Richtung verlief, wie ich wollte. Dennoch antwortete ich wahrheitsgemäß:
»Ich werde das Pharmaunternehmen übernehmen. Obwohl ich mich auch lieber selbst verwirklichen möchte.«
»Interessant. Und womit?«
Ich zuckte mit den Schultern.
»Momentan habe ich keinen Gedanken daran verschwendet. Ich musste erst mal ankommen.« Dabei bildete sich ein Lächeln auf meinen Lippen, bei dem Gedanken, wie viele Weiber mich angemessen begrüßt hatten und wie herzlich freizügig sie doch waren.
Dean lachte neben mir. »Verstehe. Partys und Weiber sind momentan interessanter als das Geschäft, nicht wahr?«
»Ja, jetzt wo du es sagst, kann ich dir nur zustimmen.«
»Aber was wäre, wenn du das miteinander verbinden könntest? Macht, Weiber und Geld ohne Ende.«
Meine jugendliche Neugier war geweckt und das war der Anfang einer großen Freundschaft, eines Imperiums und er hatte nicht gelogen. Im Verborgenen arbeiteten wir zusammen, machten unseren Master am Tag und niemand wusste, wer hinter all den Drogen, Nutten und Leichen steckte.
Es war leichter, als ich angenommen hatte. Selbst die Firma nebenher zu übernehmen, verlief dank meines besten Freunds Dean reibungslos, während mein anderer bester Freund Greg für unsere
Sicherheit sorgte.
Unser Unternehmen war zu einem Imperium herangewachsen, verschaffte uns mehr Macht, mehr Kohle und wir konnten uns jede Frau aussuchen, die wir wollten. Das Einzige, was ich verloren hatte, war meine Seele. Aber das sicher lange bevor ich nach Chicago gegangen war. Aus einer Geschäftsverbindung hatte sich eine Freundschaft entwickelt und nun waren wir eine Familie, weil nur wir uns gegenseitig vertrauten. Wir schützten uns gegenseitig, waren füreinander da und wenn einer einen Fehler beging, waren die anderen da, um es zu richten. Wir hatten nur uns. Mehr brauchten wir auch nicht. Zu viel hatten wir gemeinsam durchgestanden, kannten uns besser als jeden anderen und ließen keinen in unsere Nähe, bis du in unsere Leben getreten bist.
Und jetzt war alles anders. Jetzt waren wir nicht mehr zu viert. Und so wie wir damals Riley ins Boot geholt hatten, hätten wir es mit dir auch gehandhabt. Nur war es bei dir nie möglich gewesen. Ich hatte es bereits geahnt. Mir war es bewusst geworden, als ich Jeffs Geschenk entdeckt hatte, und ich hatte sofort gewusst, dass wir für immer Feinde bleiben würden.
Du hattest auf mich geschossen und mein Freund – dein Mann – lag mit einer Kugel im Abdomen am Boden. Unsere Familie riss auseinander.
Für einen Augenblick schloss ich die Augen, hörte ihn schimpfen wie auch lachen. Lauschte ihm beim Pläneschmieden und ungewollt rollte mir etwas feucht die Wange hinab. Ich öffnete die Augen, hoffte, es sei nur ein Traum, doch der Schmerz in mir war zu gravierend, um eine Illusion sein zu können.
Es war echt. Real. Wirklich.
Gerade wünschte ich mir, die Zeit zurückzudrehen, anstatt
zuzusehen, wie D aus dem Raum getragen wurde, während du unentwegt nach ihm schriest, weintest und den Männern folgtest. Ich riss mich los, schaute hinterher und sah auf dem Flur Greg und Riley schockiert dastehen. Wir tauschten fassungslose Blicke aus. Keiner begriff, was gerade passiert war. Keiner verstand, dass sich ab heute alles ändern würde.
Dass nichts mehr so sein würde, wie wir es kannten.
Und keiner von uns wollte es.