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Hank Webster, der auf dem vorderen Deck der „Lotung“ Posten bezogen hatte, sah als Erster den Sampan mit den zwei männlichen Gestalten darin herangleiten. Er beugte sich etwas über die Reling, hielt angestrengt Ausschau und grinste, als er beobachtete, wie eifrig Yin Dsöhsü mittels des einzigen Riemens eifrig auf den Trawler zuwriggte. Sung Hutscheng saß auf der einzigen Ducht unter dem gewölbten Mattendach des Bootes; er schien ziemlich erledigt zu sein.

Webster beschloss, sich an den beiden ein bisschen zu rächen - dafür, dass sie Landurlaub erhalten hatten, während er zu den armen Schweinen gehörte, die die Ankerwache schieben mussten. Er würde sie mit ein paar zynischen Bemerkungen empfangen, die ihren inneren Alkoholpegel betrafen.

Sie hätten auch ein Motorboot nehmen können, Kapitän Dennis Riordan hatte es gestattet, und die ganze Nacht über gab es ein paar geschäftstüchtige Insulaner, die den „Fährbetrieb“ aufrechterhielten. Aber nein, Yin und Sung hatten sich einen Sampan geschnappt und bewegten ihn obendrein noch selbst - wahrscheinlich hatten sie mächtig getankt und hatten den Sampan annektiert, ohne den rechtmäßigen Besitzer vorher zu fragen.

Webster wandte sich von der Reling ab, blickte nach achtern und gab Heartley und D’Onofrio ein Zeichen, das sie im Schein der Decksbeleuchtung wahrnehmen konnten.

„In Ordnung“, sagte Heartley, der Bordfunker, zu seinem Nebenmann. „Die ersten Helden scheinen pünktlich zurückzukehren. Webster hat sie gesichtet.“ D’Onofrio, der Erste Steuermann, erwiderte: „Es wäre wirklich das Allergrößte, wenn wir noch einen Tag länger hier liegenbleiben würden, damit unsereins auch noch an Land gehen könnte.“

„Du weißt, dass das nicht drin ist.“

„Natürlich weiß ich das. Aber man wird doch wohl noch träumen dürfen“, erwiderte D’Onofrio. „Die Mädchen in dem elenden Nest sollen große Klasse sein, hab’ ich mir sagen lassen.“

Sie standen beide auf dem Peildeck des Trawlers und blickten auf das Vordeck hinab, wo Webster sich jetzt an das Fallreep begeben hatte.

Der Sampan überbrückte geräuschlos die letzte Distanz zum Trawler und schor längsseits.

Webster schaute grinsend zu, wie Sung sich unter dem Mattendach erhob, etwas umständlich auf die Plattform des Fallreeps stieg und aufzuentern begann. Yin vertäute den Sampan notdürftig, kratzte sich aber am Hinterkopf und schien zu überlegen, ob er sich richtig verhielt. Immerhin konnte es ja sein, dass die zehn Kameraden - acht Amerikaner und zwei Chinesen -, die mit ihnen zusammen die Erlaubnis zum Landgang erhalten hatten, sich noch in der Stadt befinden. Da wäre es wohl angebracht gewesen, zurückzuwriggen und sie herüberzuholen.

Aber Yin enterte nun auch auf. Wohl, um sich zu vergewissern, ob die Kameraden nicht doch schon an Bord waren, wie Webster annahm.

Wer zu spät erschien, wurde zu Strafen verdonnert, denn in dieser Hinsicht verstand Dennis Riordan keinen Spaß.

Dsou Taofen, der vermeintliche Yin Dsöhsü, klomm hinter Philip Hou die Stufen des Fallreeps hinauf und überlegte angestrengt, ob er keinen Fehler begangen hatte. Zwei Mann - war das nicht doch zu wenig für den Handstreich, den er plante? Dieser amerikanische „Matrose“ dort oben hatte sie bereits zu aufmerksam in Augenschein genommen. Die Beleuchtung auf Oberdeck würde ihm gleich verraten, dass er nicht die Kollegen vom nationalchinesischen Geheimdienst vor sich hatte, sondern Gegenspieler.

Andererseits hätte es zu lange gedauert, an Land mehr als zwei Männer der „Lotung“ zu überwältigen und sich ihre Kleidung anzuziehen, und vielleicht wäre die Ankerwache des Trawlers auch sofort misstrauisch geworden, wenn sie einen ganzen Pulk Landurlauber in einem Boot hätte herankommen sehen. Nur zwei Mann, das fiel nicht so sehr auf. Außerdem fühlte Dsou sich mit Philip Hou allein beweglicher, und er setzte nur in diesen Philip Hou sein hundertprozentiges Vertrauen, was diesen Coup betraf.

Die anderen hatten weniger Erfahrung, mussten noch erst geschult werden, was einige wichtige Einzelheiten betraf. Das sollte an Bord des Trawlers geschehen.

Dsou Taofen hatte fünf Jahre lang bei einer Spezialeinheit der Marine von Taiwan gedient und dort seine Erfahrungen gesammelt. Philip Hou hatte sechs Jahre lang an einer Technischen Hochschule in Kalifornien studiert und dort, in den Staaten, auch die Möglichkeit erhalten, sich umfassend mit den Nuklearwissenschaften zu beschäftigen. Außerdem beherrschte er wie Dsou das Tai Chi Ch’uan, eine jahrtausendealte Fertigkeit der Selbstverteidigung.

Hank Webster, der mit einem Stiefel auf der oberen Plattform des Fallreeps stand und grinsend auf Philip Hous Gestalt blickte, war tatsächlich kein Matrose, kein Janmaat eines harmlosen Fischdampfers mit internationaler Besatzung - er besaß den Dienstgrad eines Platoon Sergeants und gehörte dem ONI an, dem „Office of Naval Intelligence“. D’Onofrio und Heartley, mit entsprechend höheren Dienstgraden ausgestattet, zählten wie alle anderen Amerikaner an Bord des Trawlers zu demselben „Verein“, und Korvettenkapitän Dennis Riordan führte in enger Zusammenarbeit mit der CIA den Sonderauftrag aus, die chinesischen Kollegen von Lien Lo Pou, Fünftes Büro „Tsou“, äußere Sicherheit und Aktion, in einjähriger Arbeit mit den Besonderheiten der „Lotung“ vertraut zu machen. Das Schiff war in einer kalifornischen Werft vom Stapel gelaufen, dann aber sofort nach Taiwan gebracht worden, wo es als „Fischdampfer“ seinen Namen erhalten hatte.

Der vermeintliche Sung war bei Webster angelangt.

Jetzt konnte er den Kopf nicht länger gesenkt halten, jetzt musste er dem Platoon Sergeant sein Gesicht zeigen, dem man auch durch schnelles Schminken keine annähernde Ähnlichkeit mit dem des echten Sung Hutscheng hätte verleihen können.

„Total abgeschlafft, was?“, sagte Webster hämisch. „Mann, mit was für einer Kondition seid ihr Helden denn eigentlich zu den fixen Mädchen der Insel gegangen?“

Oben auf dem Peildeck des Trawlers entstand in diesem Augenblick Bewegung, und Webster drehte sich ganz routinemäßig nach achtern um, als er sie wahrnahm.

Heartley und D’Onofrio verließen soeben das Peildeck, weil Riordan sie ins Brückenhaus hinuntergerufen hatte. Das Peildeck stellte den offenen oberen Bereich der Kommandobrücke dar. Heartley und D’Onofrio benutzten den Niedergang, der sie direkt ins Ruderhaus hinabführte, und sahen, wie Riordan eine Seekarte mit dem neu festgelegten Kurs an der rückwärtigen Wand festheftete.

„Ich möchte, dass auch Sie die Karte abzeichnen“, sagte er.

„Aye, Sir.“ D’Onofrio trat rechts neben ihn.

„Soweit alles in Ordnung?“

„Vollkommen“, antwortete Heartley. „Die Besatzung kehrt an Bord zurück.“

Hank Webster sah das Licht im Ruderhaus und wusste Bescheid. Er wandte sich wieder zu „Sung“ um. Er erstarrte, fand keine Zeit mehr für eine Abwehrgeste, das Messer fuhr ihm in die Brust, und das verzerrte Gesicht Philip Hous war das Letzte, was der Platoon Sergeant in seinem Leben wahrnahm.

Philip Hou presste dem Mann die eine Hand auf den Mund und achtete darauf, dass er nicht dumpf aufs Oberdeck schlug. Behutsam ließ er ihn sinken.

Dsou Taofen hastete an Hou vorbei zur Brücke, wie sie es abgemacht hatten. Er rechnete damit, entdeckt zu werden, war sich plötzlich wieder des gesamten Risikos bewusst, das in jedem Teil seines Planes enthalten war - aber wie durch ein Wunder erreichte er ungesehen die mittschiffs befindlichen Aufbauten und klomm eine Leiter empor, die ihn zu dem an Steuerbord festgemachten Beiboot hinaufführte.

Er kauerte sich hinter dieses Boot und sah D’Onofrio, der als Erster wieder auf das Peildeck zurückkehrte.

Philip Hou hatte Websters Leiche die obersten Stufen des Fallreeps hinunterbefördert. Auf dem Rücken, mit abgespreizten Beinen war Webster ein Stück gerutscht, dann hatten seine Stiefel sich an den Geländerstreben verfangen und seine Abwärtsbewegung gestoppt - und so lag er da, ohne dass man ihn vom Peildeck aus noch sehen konnte.

Philip Hou hatte die Vorderseite der Aufbauten erreicht, glitt daran entlang und hastete auf die Backbordseite des Schiffes. Er enterte an der Leiter auf und langte in dem Moment oben an, in dem Dsou eines der vier Messer, die er bei sich trug, auf D’Onofrio schleuderte. Mit geradezu unheimlicher Präzision fand auch dieses Messer das Ziel. D’Onofrio brach mit einem gurgelnden Laut zusammen.

Philip Hou kletterte vorsichtig auf das Peildeck, sah Heartley auftauchen und entsetzt, wie erstarrt, stehen bleiben. Heartleys Blick war auf D’Onofrios verkrümmte Gestalt gerichtet. Hou konnte sich anpirschen. Heartley fuhr herum, aber es war zu spät, viel zu spät. Hou stürzte sich mit dem gezückten Messer auf ihn.

Während sie miteinander rangen und Heartley noch ein verzweifeltes Keuchen ausstoßen konnte, war Dsou Taofen aus seiner Deckung hinter dem Beiboot hervorgesprungen und hastete nun auf den Niedergang zu. Er kümmerte sich nicht um den Ausgang des Zweikampfes, er raste den Niedergang hinab und sprang von den letzten Stufen mitten ins Ruderhaus hinein, wo Korvettenkapitän Dennis Riordan Heartleys Keuchen vernommen hatte, sich jetzt umdrehte und nach seiner automatischen Pistole im Quick-Draw-Holster fingerte.

Dsou schleuderte das Messer, das er bereits in der Hand hielt. Riordan tat einen Schritt nach vorn und bewegte sich dabei auf die Klinge zu, die ihn mit unfehlbarer Sicherheit traf.

Dsou stürmte auf den Mann zu und entwand ihm die Pistole. Riordan erging es wie dem Chinesen Sung; er konnte seine Waffe noch ziehen, aber sie auch abzufeuern, schaffte er nicht mehr.

Dsou schlug zweimal schnell zu, aber der zweite Hieb, der Riordans Handgelenk traf, war eigentlich schon überflüssig, denn die Automatic war seinen Fingern bereits entglitten, und rasend schnell entwich der Lebenshauch mit jedem Atemzug, den der Mann noch tat, der verkrampften Gestalt.

Dsou ließ von Riordan ab, stürzte zum Niedergang und klomm, ein weiteres Messer in der rechten Hand, in aller Eile nach oben. Aber da streckte Philip Hou ihm bereits sein schmales Gesicht entgegen.

„Es hat geklappt“, sagte er.

„Durchsuchen wir das Schiff“, gab Dsou hastig zurück. „Ich will auf Nummer sicher gehen. Was ist, wenn dieser Idiot Yin Dsöhsü Liu etwas Falsches über die Stärke der Wache erzählt hat?“

Philip Hou antwortete darauf nicht. Er erhob sich, wartete auf Dsou, und dann forschten sie systematisch die Decks des Trawlers nach weiteren Geheimdienstlern ab.

Was Liu Pefu ihrem Geliebten nach Yins Tod rasch zugeflüstert hatte, entsprach der Realität: Kein anderer Mann stellte sich den Chinesen entgegen. Sie waren die neuen Herren des Trawlers.

Ein einfaches Zeichen genügte: Dsou Taofen unterbrach von der Sicherungstafel für das bordeigene Stromnetz aus nur einmal kurz die Beleuchtung des Schiffes und ließ sie dann wieder aufflammen.

Acht Sampans mit insgesamt siebenundzwanzig Personen Besatzung setzten sich daraufhin vom Ufer der Bucht aus in Fahrt. Das Mädchen Liu hockte in dem einen Sampan, sie hatte die sechsundzwanzig zu allem entschlossenen Männer, die jetzt zu ihren Anführern stießen, benachrichtigt, dass der erste Teil des Unternehmens erfolgreich verlaufen war.

Dsou Taofens „Armee“, seit sieben Tagen in verschiedenen Verstecken auf der Insel Hungfou Hsü untergebracht, ging an Bord der „Lotung“, ließ die vier Leichen im Wasser der Hafenbucht verschwinden, inspizierte unter Dsous und Philips Leitung das Schiff und machte sich in groben Zügen mit allem vertraut, was für ein schnelles Auslaufen unabdingbar war.

Dsous Männer hatten an den Piers zwei Inselbewohner überwältigen und niederschlagen müssen, die Dsou und Philip Hou vorher den Sampan ausgehändigt hatten, beim Anmarsch des starken Trupps jedoch stutzig geworden waren, Fragen zu stellen begannen.

Dsous Männer hatten die Insulaner gefesselt und geknebelt in der Kajüte eines Motorbootes verstaut.

Auch das war eine von Dsous Anweisungen: keine „unbeteiligten Dritten“ zu töten, sondern sie nur vorübergehend aus dem Verkehr zu ziehen. Dsous Tötungsbefehle galten lediglich den Männern der Besatzung des Trawlers, denn sie trugen seiner Meinung nach die Mitschuld an der „Situation“, die er bereinigen wollte - auf seine Art.

Kurz vor dem endgültigen Tagesanbruch lichtete der Trawler den Anker; seine Maschinen sprangen an, und er verließ verhalten tuckernd das natürliche Hafenbecken der lieblichen Orchideeninsel, die für sechs Männer zur Todesfälle geworden war.

Wenige Minuten später trafen auf dem Kai und an den Piers die Nachzügler ein: acht Amerikaner des ONI und zwei Chinesen von Lien Lo Pou, die buchstäblich im letzten Augenblick zu ihrem Schiff und ihren Kameraden stoßen wollten.

Sie staunten nicht schlecht, als sie sahen, dass die „Lotung“ spurlos verschwunden war. In ihrer ersten Verblüfftheit nahmen sie an, dass Korvettenkapitän Dennis Riordan ihnen wegen ihrer Verspätung einen rüden Streich gespielt hatte - sie ahnten nicht, dass Riordans Körper auf dem Grund der Bucht lag und dass ihnen ein solches Schicksal nur knapp erspart geblieben war.

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