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Irgendetwas stimmte nicht mit der „Cruise Missile“, irgendetwas an ihren Sensoren und ihren komplizierten Steuerungen war faul, und deshalb landete sie nicht immer mit Exaktheit in ihrem Ziel, der Lagune von Kwajalein, einem Atoll der zu Mikronesien gehörenden Marshall-Inseln. Steckte Sabotage dahinter?

2625 Meilen entfernt lag der kalifornische Stützpunkt Vandenberg, von dem aus die „Cruise Missile“, eine Testrakete mit atomarem Mehrfach-Sprengkopf, nach „Kwaj“ herübergeschossen wurde. In Vandenberg, so hatte die Nuclear Task Force eruiert, war die völlige Sicherheit des Startgeländes nicht nur offiziell gewährleistet, sie wurde auch eingehalten, und es gab keine „undichten Stellen“. Alle Voraussetzungen für einen technisch einwandfreien Start waren gegeben, und die „Cruises“ rauschten auch mit Präzision auf westlichem Kurs über den Pazifik. Konnte unterwegs etwas geschehen, was ihre Flugbahn beeinträchtigte? Lag die Ursache etwa auf dem Atoll selbst, über dessen kleinste Inseln die „Missiles“ in der Endphase kurz vor dem Einschlagen ins Wasser im Tiefflug hinwegrasten?

Um das herauszufinden, hatte die Nuclear Task Force das Atoll aufgesucht. Im Hafen von Ebeye, Kwajalein, lag die Jacht „April Love“ vor Anker, und mit dem Commissioner taten sich alle sechs Agenten in den Stunden vor dem nächsten Test in der „Silver City“, wie „Kwaj“ im Jargon genannt wurde, um: Seiichi Tanaka, Charles Neuville, Wassili Bykow, Ben „Shark“ Derringer, Harald Fernau und Edmond Travis. Während der Commissioner die Führungskräfte der Kwajalein Missile Range kritisch unter die Lupe nahm, operierten die sechs Agenten jeweils in Zweiergruppen auf der Haupt- und auf den Nachbarinseln des Atolls.

Seiichi Tanaka saß an diesem Spätvormittag in einem Sessel auf der Terrasse des Shrine-Clubs, trank seinen eisgekühlten Orangensaft und aß Peanuts aus Georgia. Er wartete auf Charles, mit dem zusammen er seit zwei Tagen „subversive Bewegungen“ aufzuspüren versuchte - auch hier, im mondänen Shrine-Club. Es gab eine Separatistenbewegung auf Kwajalein wie in ganz Mikronesien und den anderen amerikanischen „Trust Territories of die Pacific Islands“, es existierte auch eine streitbare amerikanische Hilfsorganisation namens „Mikronesian Legal Service“, die den Insulanern Wiedergutmachungsgelder in Millionenhöhe für Kriegsschäden erkämpfte, und zu letzterem Verband zählten auch einige honorige US-Bürger, die seit Jahren auf den Marshall-Inseln ansässig waren.

Aber sollten solche Leute wirklich die Urheber der Verirrungen der „Cruise Missiles“ sein?

Seiichi hatte seine gelinden Zweifel an dieser These. Er glaubte nicht recht daran, dass der Verdacht, Sabotage sei im Spiel, sich hier auf „Kwaj“ erhärten würde.

Dennoch: Man tat seine Pflicht. Die hochbeinige Bedienung mit dem großzügigen Ausschnitt hatte den zweiten Orangensaft vor Seiichi auf dem Tisch abgesetzt und entfernte sich wieder, da traf Charles Neuville ein und marschierte geradewegs auf den Japaner zu. Dem Mädchen schenkte er ganz entgegen seinen sonstigen Gewohnheiten nur ein sparsames Lächeln. Er ließ sich in dem Sessel neben Seiichi Tanaka nieder und sagte: „Schlechte Nachrichten aus Taiwan. Ich komme gerade vom Headquarters, und da habe ich es direkt vom Commissioner erfahren, was vorletzte Nacht auf Hungfou Hsü passiert ist.“

„Auf der Orchideeninsel?“

„Ja. Die liegt doch östlich des Südzipfels von Taiwan, nicht wahr?“

„Richtig“, antwortete Seiichi. „Willst du mir jetzt endlich verraten, was dort geschehen ist? Haben die Rotchinesen etwa mit ihren gut gemeinten Versuchen zur Wiedervereinigung des Reiches begonnen? Hat eine Invasion stattgefunden?“

„Hör auf. Mir ist nicht zum Spaßen zumute. Ein Trawler, der als Aufklärer dient und in Zusammenarbeit von CIA und ONI-Leuten sowie Mitgliedern des Geheimdienstes von Taiwan im Einsatz erprobt wurde, ist entwendet worden.“

„Was sagst du da?“

„Sechs Tote. Vier sind aus einem Hafenbecken gefischt worden.“

„Allmächtiger, wie konnten die sich bloß überrumpeln lassen?“, entfuhr es Seiichi. „Wer steckt hinter diesem brutalen Anschlag?“

„Keiner hat auch nur die leiseste Ahnung.“

„Wieso erfahren wir erst jetzt, mehr als vierundzwanzig Stunden danach, von diesem Überfall?“ „Wegen der totalen Geheimhaltung. Erst jetzt sickert selbst in unseren Kreisen allmählich durch, dass die Männer der 'Lotung', wie das Aufklärerschiff heißt, beispielsweise auf der Insel Hungfou Hsü in jener Nacht einem höchst erfreulichen Zeitvertreib nachgingen“, sagte Charles. „Landurlaub und Besuch bei leichten Mädchen, eine Abwechslung vom eintönigen Bordleben - mit Genehmigung des Kapitäns. Und dann sind sie wie die Anfänger überwältigt worden. Übrigens ist eines der Mädchen von der Insel verschwunden. Sie heißt Liu Pefu.“

„Die Helferin dieser Mörder?“

„Das wird angenommen.“

„Was ist das - eine Konspiration?“

„Es werden die abenteuerlichsten Theorien aufgestellt, während Marine-Einheiten von Taiwan und die US-Luftwaffe nach dem Verbleib des vermeintlichen Trawlers forschen. Nein, es gibt keine Zwischenergebnisse, das Schiff scheint spurlos verschwunden zu sein“, erklärte Neuville.

„Hör mal, wir sind hier doch nicht im Bermuda-Dreieck ...“

„Ich kann immer noch nicht lachen“, sagte Charles. Seiichi Tanaka setzte sich auf und fixierte seinen Kollegen, indem er den Kopf wandte. „Charles, hat diese 'Lotung' etwa Kernwaffen an Bord? Ist es ein Fall für uns, sie wiederzufinden und die Kerle zu stellen, die diesen blutigen Coup durchgeführt haben?“

„Keine Nuklearraketen, nichts dergleichen. Aber die 'Lotung' dient unter anderem dazu, atomgetriebene Unterwasserjäger der Sowjets und Chinesen in den Hoheitsgewässern von Taiwan und darüber hinaus aufzuspüren. Wer immer das Schiff nun gekapert hat, er könnte den Spieß umdrehen und die neuesten Errungenschaften der Technik, die sich an Bord des Trawlers befinden, für seine Zwecke ausnutzen - beispielsweise gegen die USA.“

„Solange er sich dabei aufs Spionieren beschränkt, ist es immer noch kein Fall für uns“, erwiderte der Japaner. „Aber ich nehme an, der Commissioner spielt mit dem Gedanken, uns als Hilfstrupp bei der Fahndung nach dem vermeintlichen Fischdampfer einzusetzen, oder täusche ich mich?“

Charles Neuville nickte. „Du hast es erfasst. Wir warten noch den nächsten Test der 'Cruise Missiles' ab, dann laufen wir mit westlichem Kurs aus.“

Seiichi blickte über die schäumende weiße Brandung hinweg und konnte auf der anderen Seite der hufeisenförmig geschwungenen Bucht von „Kwaj“ die Kulisse von „Silver City“ erkennen: haushohe Radarantennen, matt schimmernde Observationskugeln, Funkanlagen größten Ausmaßes, klotzige Bunker aus Beton, ein Teil des Militärflughafens. Auf der anderen Seite lag der Hafen, in dem auch die „April Love“ ankerte.

„Bruder“, sagte Seiichi nach einigem Schweigen. „Würdest du es in Betracht ziehen, dass die Entführer der 'Lotung' sich hierher, zu den Marshalls, verirren könnten?“

„Nein, würde ich nicht.“

Nach kurzem Überlegen meinte der Japaner: „Ich auch nicht. Das wäre denn wohl doch ein zu großer Zufall, ein geradezu unerhörtes Zusammentreffen von Ereignissen. Aber eines versichere ich dir: Mit den Killern der sechs Geheimdienstler würde ich mich gern eingehend unterhalten, auch wenn der Fall wirklich nicht ganz in unseren Kompetenzbereich fällt.“

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