Es war so weit: Im kalifornischen Raketenstützpunkt Vandenberg fauchten die „Cruise Missiles“ von ihren Abschussrampen, ein halbes Dutzend zylindrischer, weiß und schwarz lackierter Körper, die unmittelbar nach ihrem Start Leitwerk und Flügel entfalteten. Die Düsentriebwerke hatten zu arbeiten begonnen, die Reise quer über den Pazifik nahm unaufhaltsam ihren Lauf.
Die „Cruise Missile“ - jede Rakete mit Mehrfach-Sprengkopf kostete fast eine Million Dollar - war vor drei Jahren zum ersten Mal erprobt worden. Inzwischen waren von dieser neuen strategischen Waffe zweitausend Stück gebaut worden.
Wegen ihres Aussehens, das tatsächlich an jene legendären „buzz bombs“ erinnerte, die zum Ende des Zweiten Weltkrieges von Peenemünde nach London geschossen worden waren und von denen nur jede vierte am Zielort detoniert war - wegen ihres Aussehens also wurde die „Cruise Missile“ als Abkömmling der deutschen Vl bezeichnet. Ein düsengetriebenes Geschoss, das einen atomaren Mehrfach-Sprengkopf im Tiefflug extrem zielsicher bis zu dreitausend Meilen weit transportieren sollte. Sollte! Mit der Überbrückung der Distanzen gab es keine Schwierigkeiten - nur war da eben das Dilemma der Kursungenauigkeiten.
Seiichi Tanaka hatte einen der hässlichen Betonunterstände am Nordkap von Kwajalein bezogen und richtete wie Charles Neuville und Ed Travis, die ihm Gesellschaft leisteten, sein starkes Fernglas durch den Sehschlitz auf die militärische Sperrzone in der Lagune.
Farbige Bojen markierten die Wasserregion, in die binnen der nächsten Stunden alle sechs „Cruises“ ihre metallenen Leiber tunken sollten.
„Da heißt es abwarten und Geduld haben“, sagte Georges. „Wir könnten Wetten abschließen, wie viele 'Missiles' das Zielgebiet erreichen und wie viele spurlos verschwinden. Wollen wir das?“
„Heute hast du aber Humor“, erwiderte Seiichi. „Aber es müsste mit dem Teufel zugehen, wenn wir die 'Irrläufer' auch nicht finden würden. Wie gesagt, wir sind hier schließlich nicht im Bermuda-Dreieck.“
„Vielleicht liegt die Ursache des Übels darin, dass alle 'Cruises' von vornherein als Blindgänger programmiert sind“, bemerkte nun Ed Travis. „Ihre Sprengköpfe gehen nicht hoch, weil man die Lagune nicht hoffnungslos verseuchen will, was rein vom ökologischen Standpunkt aus betrachtet auch sehr, sehr vernünftig ist. Aber vielleicht hat das Nichteinschalten der Zündmechanismen einen negativen Einfluss auf den Rest der elektronischen Steuerungsanlagen.“
„Das halte ich aber für sehr vage“, sagte Seiichi Tanaka.
„Für geradezu aus der Luft gegriffen“, meinte Charles Neuville.
Travis winkte ab. „Schon gut, schon gut. War ja auch nur eine Theorie, die ich keineswegs mit Daten belegen wollte.“
„An diesem Problem haben die Offiziere des Stützpunktes genauso zu knacken wie wir“, sagte Seiichi. „Bruder, ich versichere dir, dass sie auch jetzt keinen Schritt weiter sind, alle Recherchen, die der Commissioner im Beisein des höchsten Sicherheitsoffizieres, Colonel Mason Williams, durchgeführt hat, haben nichts gefruchtet. Der Commissioner wird den Führungskräften auch weiterhin auf den Zahn fühlen, aber ich verspreche mir davon nichts. Der Commissioner hält sich um diese Zeit bereits mit Williams und dem Rest der militärischen Spitze im Unterstand im Süden von 'Silver City' auf, und ich schwöre euch, sie sehen dem Eintreffen der 'Cruises' mit der gleichen bangen Hoffnung entgegen wie wir.“
„Und wie Wassili, Shark und Harald, die mit dem zweitwichtigsten Sicherheitsoffizier, Lieutenant Colonel Simon Ferber, auf der Nachbarinsel unterwegs sind“, entgegnete Charles.
„Vielleicht verschaffen sie sich am ehesten Klarheit“, sagte Seiichi. „Die Raketen werden über unsere nördliche Nachbarinsel hinwegrauschen, wenn alles klappt. Sollte es dort irgendwelche Störfaktoren geben, die die Steuerungen der 'Cruises' durcheinanderbringen, so werden sie es bei diesem Test herausfinden. Dann können wir das Motiv Sabotage ausschließen, und die Herren Offiziere werden ruhiger schlafen.“
„Und falls die Störfaktoren woanders, nicht auf den Inseln liegen?“, erkundigte sich Ed Travis nicht ohne eine gehörige Portion Zynismus.
Seiichi blickte ihn kurz an. „Dann müssen wir uns damit abfinden, diesem verdammten Job noch geraume Zeit nachzugehen. Zufrieden? Immerhin befinden wir uns mitten im Paradies Mikronesien.“ Er sah wieder durch die starke Optik auf die Lagune hinaus.