image
image
image

10

image

image

In dem Jeep war es etwas eng, denn er war mit fünf Männern besetzt: mit Lieutenant Colonel Simon Ferber, einem Private, der als Fahrer fungierte, mit Wassili Bykow, Ben Derringer und Harald Fernau. Die drei Atompolizisten hatten auf der Fondbank eng zusammenrücken müssen, während Ferber rechts vor ihnen auf dem Platz neben dem Fahrer hockte.

„Ich hätte es doch vorgezogen, wenn wir wie bisher weiter in Zweiergruppen operiert hätten“, sagte Wassili. „Gott, ich komme mir so vor, als hätte man mich in eine Sardinenbüchse gezwängt.“

„Märtyrer“, gab „Shark“ Derringer grinsend zurück. „Irgendwie bekommt dir die gute Inselluft nicht. Sollte sie etwa doch mit Plutonium oder Strontium geschwängert sein, das mit dem Wind von Bikini und Eniwetok herüberstaubt?“

„Du bist ein Witzbold, Shark“, sagte Wassili.

Harald Fernau räusperte sich. „Seit wir hier sind, werden überhaupt viele faule Witze gerissen. Das liegt an der deprimierenden Stimmung, die von diesem Atoll ausgeht, sage ich euch. Vergessen wir die feinen Clubs und die Bungalows mit ihren Klimaanlagen. Denken wir an den Dreck, den wir auf der zum Atoll gehörenden Insel Ebeye gesehen haben; Bierdosen, Plastikflaschen, Kartons, Büchsen - und gleich dahinter die Baracken aus Spanplatten und Blech, in denen die Insulaner hausen. Die Mikronesier kriegen gute Gehälter für ihre Arbeit in der Missile Range, aber sie müssen auch große Familien durchbringen  und verpulvern ihr Geld für unsinnige Statussymbole.“

„Der Treuhandvertrag läuft im nächsten Jahr aus“, erwiderte von vorn der Lieutenant Colonel Ferber. „Dann, wenn auch auf Eniwetok das große Cleanup gelaufen ist, sind die Inseln wieder ihren rechtmäßigen Eigentümern überlassen, die großzügig für das abgefunden werden, was sie durch die Tests über sich haben ergehen lassen müssen. Übrigens kann das Cleanup-Team Ihnen, Mr. Derringer, anhand einiger einfacher Tests glaubhaft demonstrieren, dass Kwajalein wirklich hundertprozentig strahlensauber ist - falls Ihnen daran gelegen ist.“

„Mann“, sagte Ben. „Von uns fünfen verstehen Sie aber wirklich am wenigstens Spaß.“

„Das muss am Beruf liegen“, entgegnete Ferber. „Man stumpft irgendwie ab, verstehen Sie? Man versieht seinen Dienst, säuft sich an den Abenden ziemlich voll, zählt die Tage, denkt an die Heimkehr in die Staaten. Verstehen Sie das?“

„Ja“, sagte Harald. „Und nehmen Sie uns unsere Bemerkungen nicht krumm.“

Sie hatten ihre Rundfahrt über die unbewohnte nördliche Nachbarinsel von Kwajalein, der Hauptinsel des Atolls, abgeschlossen, ohne auf „Störfaktoren“ und andere Unregelmäßigkeiten gestoßen zu sein. Es war die sechste Fahrt dieser Art in der Zeit, die die Agenten der Nuclear Task Force jetzt auf den Marshall-Inseln verbrachten, und wieder war das Ergebnis gleich null.

„Was suchen wir eigentlich?“, sagte Wassili, als sie vor dem Unterstand, in dessen Nähe auch das Motorboot vertäut lag, stoppten und ausstiegen. „Ich weiß es langsam schon selbst nicht mehr.“

„Lassen wir uns doch nicht verwirren“, meinte Ben Derringer, bevor er hinter den Kollegen, hinter Ferber und dem Private in den Unterstand trat. „Ich bin froh, dass wir heute endlich am praktischen Beispiel erleben können, wie es um die Zielungenauigkeit der 'Cruises' bestellt ist. Damit kommen wir wahrscheinlich viel weiter als mit allen Theorien.“

Harald hatte sich zu ihm umgedreht. „Es sei denn, ausgerechnet heute liegen alle sechs Raketen präzise im Ziel.“

„Kaum“, sagte Ferber trocken. „Der Prozentsatz an fehlgeleiteten 'Missiles' ist viel zu hoch, um darauf hoffen zu können. Ich habe nicht mitgezählt, wie viele Tests durchgeführt wurden und wie viele Exemplare des Raketentyps uns verlorengegangen sind, aber das können Sie ja auch in den Statistiken nachlesen.“

„Top Secret“, erwiderte Ben Derringer und blickte dabei zu dem Private, der ihm den Rücken zugewandt hielt. Gewiss, auch dieser einfache Gefreite war der militärischen Schweigepflicht unterworfen, aber es war doch ratsam, in seiner Gegenwart nicht mit konkreten Zahlen zu argumentieren.

Die Männer beobachteten vom Inneren des Unterstandes aus die Lagune. Der „Countdown“ für das Einfliegen der „Cruise Missiles“ in „Silver City“ lief, die Spannung wuchs. Jeder Schiffsverkehr in der militärischen Sperrzone war für diese Zeit untersagt, die „Cruises“ hatten die Vorfahrt.

Ben Derringer dachte über das nach, was sie über die Entführung der „Lotung“ von der Orchideeninsel vernommen hatten. Die Nachbarschaft zu China machte „Kwaj“ wie alle anderen Marshall-Inseln zu einem idealen Tribünenplatz. Vom Raketentest-Atoll aus kontrollierte Amerika über die Erdkrümmung hinweg Stützpunkte in Asien - und anderes mehr. Kwajalein, ein Atoll, das seiner Grundfläche nach so groß wie die Insel Jamaica war, war mit seiner Lagune nicht nur der Auffangplatz für die „Cruises“, die Hauptinsel „Kwaj“ war auch Abschussrampe für Abfangraketen.

Sollten Rotchinesen den als Trawler getarnten Aufklärer entführt haben, überlegte Ben, würden die USA es dann wagen, eine auf das Schiff programmierte Rakete abzufeuern, sobald die Position der „Lotung“ festgestellt war - um mit dem Dampfer die militärischen Geheimnisse zu vernichten, die er barg?

Er ahnte nicht, welch dramatische Bedeutung die Raketen von „Silver City“ innerhalb der nächsten Stunden noch gewinnen sollten - allerdings auf andere Art, als er es sich in diesem Augenblick in seiner düstersten Vision hätte ausmalen können.

image

image

image