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Die Winschen der „Lotung“ begannen zu arbeiten. Die Kurrleinen zogen das Netz wieder ans Heck des Trawlers heran, und Dsou Taofen, der ins Funkschapp des Luxusliners hinabgestiegen war und selbst Verbindung mit Philip Hou aufgenommen hatte, war fast trunken vor Freude. Es hatte geklappt.

Er ließ den Funker der „Ancona“ mit einem Mann Bewachung auf seinem Posten zurück, hastete über die Niedergänge nach oben und erreichte die Brücke, die jetzt nur noch von Liu und einem „Soldaten“ kontrolliert wurde. Der Rest der Prisenmannschaft - neun Mann - hatte sich auf das ganze Schiff verteilt und führte die Untersuchungen durch, die Dsou befohlen hatte, forschte nach Waffen und anderen „gefährlichen Gegenständen“. Ziemlich unwahrscheinlich, aber letztlich doch nicht ausgeschlossen war beispielsweise die Annahme, dass sich Amateur-Funkgeräte in den Kabinen der Passagiere befinden konnten. Nach allem, was irgendwie Ärger schaffen konnte, hielten Dsous Männer Ausschau. Gleichzeitig achteten sie darauf, dass keiner von den Geiseln auf die verrückte Idee kam, einfach außenbords zu jumpen ...

Außer Liu und dem einen Helfer traf Dsou nach wie vor natürlich den Kapitän Giancarlo Mancini, den Ersten und den Zweiten Offizier an, jetzt aber auch Steuermann Sergio Bacci und den Arzt.

„Mister“, sagte der Arzt auf Englisch zu Dsou. „Wir haben einen Schwerkranken an Bord. Er liegt auf der Erste-Hilfe-Station, und es ist sehr wahrscheinlich, dass er innerhalb der nächsten Stunden einen weiteren Herzinfarkt erleidet.“

„Lassen Sie mich in Ruhe“, fuhr Dsou ihn an. „Ich kann mich mit Ihren Problemen nicht befassen. Glauben Sie, die interessieren mich auch nur im Entferntesten? Sehen Sie doch!“ Er wies nach Steuerbord, wo jetzt zu verfolgen war, wie das Netz an Bord der „Lotung“ in den A-Mast gehievt wurde. Tatsächlich: Beide „Cruise Missiles“ befanden sich darin.

Plötzlich standen sie vertikal auf dem Achterdeck, mit den Spitzen nach oben - wie zum Abschuss bereit.

Liu stieß kleine Laute des Entzückens aus, trat an die Steuerbordfenster der Kommandobrücke und beobachtete das faszinierende Bergungsmanöver. Immer wieder blickte sie aber auch zu den Geiseln.

Die vier Froschmänner waren aufgetaucht. Sie schwammen zu dem Trawler zurück, der jetzt ohne Fahrt in der flachen Dünung dümpelte, enterten an einer Jakobsleiter auf.

Dsou stellte sich neben Liu und drückte sie kurz, aber heftig an sich. „Dies ist ein großer Augenblick meines Lebens“, sagte er ergriffen. „Wir sind unserem Ziel ein erhebliches Stück näher gekommen. Der Rest wird leicht sein, leichter, als du vielleicht denkst.“

„Dsou, ich will deine Freude nicht dämpfen“, gab sie zurück. „Aber bist du wirklich sicher, dass diese Raketen noch funktionieren?“

„Ja. Philip hat mir auseinandergesetzt, dass man die noch nicht ganz ausgebrannten Staustrahl-Düsentriebwerke wieder einsatzbereit machen kann, und wir wissen, dass die Mehrfach-Sprengköpfe, die diese 'Cruises' garantiert enthalten, erst noch darauf warten, gezündet zu werden.“

Selbstzufrieden schaute er zu, wie der Trawler nun wieder beidrehte. Vorsichtig betteten die Männer auf dem Achterdeck die „Missiles“ mit Hilfe von Winden und Taljen auf ein provisorisches „Lager“ aus alten Autoreifen, die dem Schiff vorher als Fender gedient hatten. Sie zurrten die Geschosse sorgfältig fest, und unterdessen bewegte sich die „Lotung“ in langsamer Fahrt auf die „Ancona“ zu. Philip Hou stand immer noch am Ruder, er wollte jetzt das motorisierte Beiboot des Trawlers, das nach wie vor an der Bordwand des Kreuzfahrers vertäut lag, wieder übernehmen, wie Dsou es ihm gesagt hatte.

„Mister“, unternahm der Bordarzt einen neuen Versuch, mit Dsou zu sprechen, „Sie dürfen mir glauben, dass es sich um einen schweren Notfall handelt. Der Mann - er heißt Lanerossi und ist einer unserer Rudergänger - muss unbedingt in eine Klinik transportiert werden, sonst stirbt er uns unter den Händen weg.“ Dsou Taofen beachtete den Mann überhaupt nicht. Erst als Liu ihn am Ärmel seines olivgrünen Kampfanzuges zupfte, wandte der athletisch gebaute Chinese den Kopf.

„Was ist los?“

„Es muss sich wirklich um etwas Schwerwiegendes handeln. Dsou - wir haben doch geschworen, keine Unschuldigen mit in das hineinzuziehen, was wir durchführen“, sagte sie langsam. „Ich meine, solange wir diese Leute hier eine Zeit lang als Geiseln benutzen, ihnen aber kein Härchen krümmen, halte ich das noch für vertretbar. Wenn aber ein Mann stirbt, der jetzt bereits in Lebensgefahr schwebt, dann geht sein Tod auf unser Konto, falls wir ihm unsere Hilfeleistung untersagen.“

„Was redest du denn da?“ Sein Blick war entrückt, verschwommen. „Sind sie nicht alle schuldig an dem, was auf der Welt passiert? Helfen sie durch ihr Desinteresse nicht mit, dass Ungerechtigkeiten geschehen, dass Drachen harmlose, hilflose Eidechsen verschlingen?“

„Dsou, ich bitte dich ...“

Er blickte den Arzt geringschätzig an und erkundigte sich auf Englisch: „Also, wie war das? Der Rudergänger ist herzkrank, oder?“

„Seinetwegen sind wir von unserem festgelegten Kurs abgekommen“, erklärte jetzt Giancarlo Mancini. „Wenn Lanerossi nicht den Automaten ausgeschaltet hätte, wenn er nicht zusammengebrochen wäre, wenn wir ihn eher gefunden hätten - mein Gott, was für eine Kette unglücklicher Zusammenhänge ...“

„In welche Klinik, zum Teufel, wollen Sie ihn denn bringen?“, fragte Dsou gereizt. „Wo befindet sich hier ein Krankenhaus, he?“

„Auf Kwajalein“, sagte Sergio Bacci.

Dsou lächelte grausam. „Und wir sollen das Atoll anlaufen, um den kranken Mann dort an Land zu setzen, wie? Das habt ihr euch aber fein ausgedacht, Freunde. Habt ihr keinen billigeren Trick auf Lager?“

„Es ist kein Trick“, beteuerte der Arzt. „So glauben Sie uns doch, um Himmels willen! Bitte, kommen Sie mit auf die Erste-Hilfe-Station, dort zeigen wir Ihnen, wie es um den Mann bestellt ist.“

„Und dort bratet ihr uns auch eins über, oder?“

„Sie irren sich ...“

„Ich gehe mit“, sagte Liu Pefu kurz entschlossen. „Ich übernehme die Verantwortung für alles, was geschieht, Dsou. Bitte, gib deine Genehmigung. Ich glaube nicht, dass diese Männer uns anlügen. Die Verantwortung, die sie für ihre Besatzung und für die Passagiere tragen, ist zu groß. Sie können uns keine Falle stellen, nicht in dieser Lage.“

„Was verstehst du denn schon von Kranken“, gab er zurück.

„Vielleicht mehr, als du denkst.

„Geh“, sagte er.

Sie war kaum mit dem Arzt, den sie mit der MPi vor sich her scheuchte, verschwunden, da schrillte das Bordtelefon. Dsou ging an den Apparat, nahm den Hörer ab und meldete sich. Sein „Soldat“ aus dem Funkschapp war der Anrufer, er sagte: „Dsou, ein Mann aus dem Helikopter hat sich bei uns gemeldet. Er sagt, er heiße Seiichi Tanaka und habe dir als Unterhändler wichtige Mitteilungen zu machen.“

„Er soll sich zum Teufel scheren!“

„Dsou“, rief der Chinese im gefleckten Kampfanzug, der als Bewacher des Kapitäns, Baccis, des Ersten und des Zeiten Offiziers im Brückenhaus zurückgeblieben war, „der Hubschrauber kehrt zurück!“

Dsou schaute aus einem der Backbordfenster und sah ihn heranschweben. Der Bell UH 1D glich in diesem Moment einer dicken Hummel, die zu überdimensionalen Maßen auswuchs und sich auf das Schiff stürzen wollte.

„Ihr Schweine“, murmelte Dsou. „Ich hatte euch befohlen, nicht zurückzukehren. Das werdet ihr noch bereuen.“

Er vernahm ein anschwellendes Heulen, wandte den Kopf, glaubte in einem jäh aufkeimenden Gefühl unbezwingbarer Panik, die „Kwajalein Missile Range“ habe zur Abschreckung noch eine Rakete herübergefeuert - aber dann stellte er fest, dass das nervenzerfetzende Jaulen und Schrillen einen anderen Urheber hatte.

Düsenjäger, ein ganzes Jagdgeschwader. Von Südosten flogen sie an, rasten über die Schiffe hinweg und stiegen in vorbildlicher Formation höher in den Himmel auf, um dann eine Wende zu fliegen.

„F14“, sagte Mancini. „Ich kenne den Typ, er wird auch in Europa eingesetzt.“

Dsou richtete die Maschinenpistole auf seine Brust. „So? Du bist ein kluger Kopf, Kapitän. Man hört auf dich, du bist umfassend unterrichtet, kennst dich überall aus - du wirst es auch diesen hirnverbrannten Narren deutlich genug beibringen können, an was für einem dünnen Faden euer aller Leben hängt, wenn sie mit dieser Parade weitermachen.“

Er hob den Hörer des Bordtelefons wieder an und rief in die Sprechmuschel: „Ich komme. Ich bringe den Kapitän mit. Sag diesen Idioten im Hubschrauber, dass ich doch ein paar Worte mit ihnen wechseln will - mit diesem Seiichi Tanaka.“

Dsou Taofen winkte Giancarlo Mancini mit der Maschinenpistole zu. Der Mann musste vor ihm her laufen, die Niedergänge hinab bis zum Funkschapp. Unterwegs begegneten sie Liu und dem Arzt.

„Der Rudergänger leidet wirklich unter den Folgen einer schweren Herzattacke“, sagte das Mädchen. „Das war nicht erfunden. Die Entscheidung liegt allein bei dir, Dsou, aber ich glaube, es wäre wirklich besser, wenn dieser Paolo Lanerossi in eine Klinik transportiert werden würde.“

„Wir können ihn auch in die See schmeißen“, rief Dsou ihr zu - auf Englisch, damit auch Mancini es verstand. „Dann kapieren die Amerikanerschweine nämlich ein für allemal, dass mit uns wirklich nicht zu spaßen ist.“

„Aber das ...“

„... das wäre das drastische Beispiel einer Exekution, das man ihnen vor Augen führen müsste“, schrie er sie an. „Hast du die Grummans gehört, die über uns hinweggeheult sind? Nein? Und den Hubschrauber hast du auch nicht gesehen. Geh auf die Brücke zurück, da kannst du ihn bestaunen. Es würde mich nicht wundern, wenn seine Besatzung gleich anfängt, die Brücke zu bombardieren. Diese Bastarde muss wirklich der Wahnsinn gepackt haben.“

„Zur Brücke“, trieb Liu den Arzt an.

„Liu“, schrie Dsou ihr noch nach. „Schießt als erste Cancogni und die anderen Offiziere zusammen, wenn es hart auf hart kommt, verstanden?“

„Ja“, antwortete sie - und bereute es schon, sich wirklich um das Befinden des Rudergängers gekümmert zu haben.

Im Funkschapp angelangt, hielt Dsou den Kapitän mit der MPi im Schach und fuhr den schwitzenden Funker an: „Los, ich will mit diesem Tanaka, diesem Himmelhund von einem Japaner, sprechen! Wird’s bald?“

„Er wartet auf unsere Antwort“, sagte der „Soldat“, der den Funker bewachte. „Du brauchst nur das Mikrofon zu nehmen und hineinzureden, Dsou.“

Dsou Taofen riss das Mikro an sich.

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