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Seiichi Tanaka warf seinen Kollegen Charles und Ed noch einen raschen Blick zu - zu besprechen gab es nichts mehr, sie hatten miteinander abgestimmt, was es abzustimmen gab. Seiichi trat in den Laderaum des Bell, öffnete die Steuerbordluke und bückte sich, um die dünne, zerbrechlich wirkende und doch so stabile Leiter auszurollen.
Charles Neuville ließ den Helikopter vorsichtig tiefer sacken, bis auf zwölf Fuß über dem achteren Bereich des Brückendecks. Passagiere und Besatzung der „Ancona“ verfolgten gebannt, was dann geschah.
Seiichi enterte ab. Er rechnete in diesen Augenblicken nicht damit, dass die chinesischen Besatzer ihm einfach eine Mpi-Garbe in den Leib jagten - für so dumm hielt er sie nicht.
Durch einen kleinen Sprung von der letzten Leitersprosse landete er auf Deck, und dann stand er Dsou Taofen, dem Ex-Marinesoldaten, gegenüber. Dieser Mann trug keine Maske, wie auch das Mädchen und die anderen Männer im Kampfanzug, die aus dem Brückenhaus traten, ihre Gesichter in keiner Weise getarnt hatten.
Sie schienen ihrer Sache sehr sicher zu sein, und ihre Dreistigkeit beruhte zu einem großen Teil natürlich auch darauf, dass sie sich ausmalen konnten, wie die Männer von Kwajalein auf diesen höchst peinlichen Zwischenfall reagieren würden: mit völliger Geheimhaltung. Die Konterfeis der Chinesen würden also weder in der Weltpresse noch anderswo verbreitet werden können; die Bande verschwand von der Bildfläche und tauchte im Dunst völliger Anonymität unter.
Dsou blickte wahrscheinlich aus diesem Grund zum Bell UH 1D auf - um sich zu vergewissern, dass er von dort aus nicht fotografiert wurde.
Er senkte den Blick wieder und betrachtete den Japaner abschätzend. „Also wirklich keine Tricks, Tanaka?“, fragte er im Dröhnen der Maschine über ihren Köpfen.
„Keine Tricks.“
„Ich lasse jetzt den Kranken holen.“
„Sein Abtransport geht reibungslos vonstatten“, versicherte Seiichi ihm. Er gab ein Zeichen zu Ed Travis hinauf, der jetzt in der offenen Luke des Drehflüglers erschienen war, und Ed holte die Leiter wieder ein und fierte stattdessen das Transportseil ab, an dem an einem Haken und weiteren Seilen eine Art Rettungsstuhl hing.
Dsou hatte Liu Pefu einen Wink gegeben. Das Mädchen kehrte ins Brückenhaus zurück und bedeutete den dort wartenden Männern der „Ancona“, sich in Bewegung zu setzen. Es waren der Arzt, zwei Sanitäter aus dem Erste-Hilfe-Raum und Paolo Lanerossi, der mit geöffneten Augen auf einer Trage lag. Der Bordarzt hatte ihm die Situation vorsichtig auseinandersetzen können. Lanerossi, der inzwischen noch zwei Spritzen erhalten hatte, trug das Ganze mit der Fassung eines Mannes, der sich in apathischem Halbschlaf befand.
Die Sanitäter setzten die Trage wieder ab, und Seiichi war ihnen dabei behilflich, den Kranken vorsichtig in den Rettungsstuhl zu setzen und dort zu sichern. Der Hubschrauber hatte sich noch etwas tiefer auf das Deck gesenkt. Dsous „Soldaten“ standen mit den Maschinenpistolen bereit, um sofort loszufeuern, falls Seiichi doch falsch gespielt hatte und ein Kommando im Innern des Bell-Helikopters lauerte, das die Kidnapper überwältigen sollte.
Dsou und seine Kumpane wurden in dieser Hinsicht jedoch angenehm enttäuscht - alles lief ordnungsgemäß ab. Seiichi nickte den Sanitätern zu. Sie traten zurück. Seiichi winkte Ed Travis zu, und dieser betätigte durch Knopfdruck die Winde, die den herzkranken Rudergänger sofort hinaufhievte.
Ed zog den Kranken in die Maschine, schloss dann die Luke und gab Charles, der sich vorn im Cockpit zu ihm umgedreht hatte und ihn durch die offene Verbindungstür sehen konnte, ein Handzeichen.
Der Bell UH 1D entfernte sich mit sanftem Schwung von der „Ancona“. Er nahm Fahrt auf und bewegte sich im Hundertsiebzigmeilentempo in Richtung Kwajalein-Atoll.
„Ausgezeichnet“, sagte Dsou zu Seiichi Tanaka. „Nun zu uns. Welches ist der Vorschlag, den du zu unterbreiten hast, Tanaka?“ Er drehte sich zu Liu und den anderen um, scheuchte sie durch eine Gebärde in das Brückenhaus zurück. „Wir sind hier allein, keiner kann uns zuhören. Raus mit der Sprache.“
„Geld“, antwortete Seiichi. „Ein Blitzgespräch mit der Regierung in Washington, D.C., hat der Führungsspitze des Stützpunkts 'Silver City' die Erlaubnis eingebracht, euch eine wirklich fürstliche Summe auszuhändigen, falls ihr die beiden 'Cruise Missiles' zurückgebt und eure Geiseln freilasst - mit der 'Ancona' natürlich.“ Dsou nahm die Maschinenpistole nicht herunter, er hielt sie während ihres Dialogs unausgesetzt auf den Japaner gerichtet.
„Wie viel?“, fragte er.
„Zwei Millionen Dollar. Das ist der Gegenwert der 'Missiles'.“
„Eine lachhafte Summe.“
„Wirklich? Wie viele seid ihr? Zwei Dutzend? Von dem Geld könnt ihr alle euch ein sorgloses Leben machen, irgendwo, auf einer Insel des Pazifiks. In Afrika, Indien, weiß der Himmel, wo.“
Dsou Taofen grinste in einer Mischung aus Verachtung und Hohn. „Glaubt ihr denn wirklich, mit Geld könne man alles kaufen, bereinigen, zerstören? Ideale beseitigen? Ihr Narren ...“
„Dsou, die Raketen sind für dich nichts wert.“
„Doch! Ich habe eben mit meinem engsten Vertrauten an Bord der 'Lotung' gesprochen, Tanaka. Er hat, nachdem er unser motorisiertes Beiboot an Bord genommen hat, die 'Missiles' untersucht. Er versteht etwas davon, glaub’ es mir. Ja, sie haben atomare Mehrfach-Sprengköpfe, und jeder davon besitzt eine Sprengkraft von 150 Kilotonnen TNT, also mehr als zehnmal soviel wie die Bombe von Hiroshima. Für unser Vorhaben reicht das völlig. Weißt du, Tanaka, ich will ehrlich sein. Ich hatte mir eben überlegt, ob wir nicht doch lieber die 'Silver City' anlaufen und noch zwei weitere Raketen freipressen sollten.“
Seiichi Tanaka sann angestrengt darüber nach, wie er den Chinesen am besten anspringen konnte. Aber selbst wenn er ihm die MPi abnehmen und ihn ausschalten konnte, waren immer noch die anderen da, die sie mit unbewegten Mienen vom Brückenhaus aus beobachteten. Tanaka befand sich hier, auf dem Deck, wie auf einem Präsentierteller, er hatte keine Chance, mit der MPi zu entkommen, in ein Versteck zu kriechen, falls es ihm gelingen sollte, Dsou zu überrumpeln.
„Aber jetzt weiß ich, dass wir das nicht nötig haben. Dreihundert Kilotonnen TNT Sprengkraft, das ist genug für uns, und außerdem könnte unser Flugzeug nicht mehr fassen als die beiden 'Cruises'.“
„Ihr hättet das einfacher haben können“, antwortete der Japaner ihm voll Sarkasmus. „Ich an eurer Stelle hätte einfach Kwajalein besetzt und zwei, drei der großen Interkontinentalraketen auf Taiwan programmiert.“
Dsou grinste geradezu teuflisch. „Ein Mann muss seine Grenzen kennen. Die militärische Zone ist derart gut abgesichert, dass ich selbst mit den Geiseln Schwierigkeiten hätte, bis in die Bunker vorzudringen. Ein Massaker wäre unvermeidlich. Und das wollen wir doch vermeiden, nicht wahr, Tanaka?“
„Ja.“
„Was unser Angriffsziel betrifft, hast du dich übrigens getäuscht.“
„Also nicht Taiwan? Was dann? Die USA? Kalifornien?“
„Das steht jetzt nicht zur Debatte.“
„Nein, du hast recht“, erwiderte die Nummer eins der Nuclear Task Force. „Aber ich will dir etwas anderes verraten. Ihr könnt die 'Cruise Missiles' nicht wie Bomben abwerfen. Sie brauchen ihre eigene Schubkraft, um auch von einem Flugzeug aus im Ziel zu detonieren.“
„Ich weiß. Aber die Düsentriebwerke haben noch so viel Treibstoff, dass sie sich erneut für das Zurücklegen einer gewissen Distanz zünden lassen. Man muss sie nach dem Bad im Pazifik nur entsprechend behandeln.“
„Dsou, es ist Wahnsinn, was ihr vorhabt.“
„Es beleidigt mich, dass du mich für einen Kommunisten gehalten hast, weißt du das, verfluchter Jap?“
„Sei vernünftig, geh auf unseren Vorschlag ein“, sagte Seiichi beharrlich. „Vielleicht ließe sich die Summe noch erhöhen, ich könnte einen entsprechenden Vorstoß unternehmen.“ Natürlich war nichts Wahres daran, er hatte sich diese Farce nur einfallen lassen, um Dsou zu täuschen und hinzuhalten, ihn abtasten zu können. Wenn man den Feind erst richtig eingeschätzt hatte, fand man viel besser eine Strategie, um ihn zu entwaffnen.
Aber Dsou Taofen sprang in diesem Moment einen Schritt zurück und hob die Maschinenpistole. „Den Vorstoß unternehme ich!“, schrie er. „Aber anders, als du es dir vorgestellt hast! Glaubst du, ich habe nicht gemerkt, wie unverschämt du bluffst?“
Noch wollte Seiichi Tanaka es nicht glauben, aber jetzt krümmte der Chinese den Zeigefinger um den Abzug seiner MPi. Er hatte auf Einzelfeuer gestellt, und nur ein Projektil verließ mit einem trockenen Krachen den Lauf - eine Feuerzunge tanzte auf Seiichi Tanaka zu.
Seiichi warf sich gedankenschnell auf die Seite. Er landete auf dem PVC-beschichteten Stahldeck, überrollte sich und wollte sich wieder emporschnellen, um sich Dsou vorzuknöpfen, da schoss der Kerl abermals.
Dsou hatte den richtigen Moment abgewartet.
Seiichi fand diesmal zu keiner flinken Reaktion. Seine linke Schulter fing die Kugel auf. Ihm war, als sei er gegen eine scharfkantige Mauerecke gerannt. Es dröhnte bis in seinen Kopf hinauf, dann grub sich das Feuer durch sein Fleisch, durch die Schulter, durch den Arm, den Oberkörper, überallhin ...
Ihm wurde schwindlig. Er stürzte auf die Knie. Der siedende Schmerz drohte ihm die Besinnung zu rauben.
Dsou zielte mit der Maschinenpistole auf ihn. „Rühr dich da nicht fort!“, brüllte er. „Sonst kriegst du die nächste Kugel in den Kopf!“
Seiichi hatte allen Grund zu glauben, dass der Killer seine Drohung in die Tat umsetzte. Er kauerte da, tastete mit der rechten Hand nach seiner Wunde und presste die Lippen strichdünn zusammen.
„Lassen Sie mich den Mann verbinden“, forderte der Bordarzt.
„Nein“, sagte Dsou, indem er sich kurz zu ihm umdrehte. „Einen Schritt aus dem Brückenhaus heraus, und du kriegst ebenfalls eine Kugel, verstanden?“
Der Arzt verharrte.
„Es ist nur der Anfang“, schrie Dsou. „Liu, geh runter ins Funkschapp und übermittle diesen idiotischen Amis, dass ich ihnen die Genehmigung erteile, kurz mit einem Hubschrauber über das Schiff hinwegzufliegen und sich anzusehen, was ich mit diesem gerissenen japanischen Spion gemacht habe.“
Er zielte mit der MPi immer noch auf Tanaka.
„Und sag diesen Kerlen, dass ich jetzt Ernst machen werde, auch mit den Passagieren, wenn die Amis nicht endlich von der Bildfläche verschwinden!“
„Ja, Dsou.“
Liu Pefu schritt an Mancini, Bacci, Cancogni, dem Zweiten Offizier und dem Arzt vorbei, die von anderen chinesischen Freischärlern bewacht wurden. Als sie das Brückenhaus über einen der Niedergänge verlassen hatte, sagte der Kapitän zu seinem Steuermann: „Santo cielo, gerechter Himmel, und ich hatte schon an menschliche Regungen bei diesem Dsou geglaubt. Ich Narr habe mich sogar bei ihm bedankt, weil er Lanerossi abtransportieren ließ.“
„Was im Grunde ja auch kein Fehler war, Signore“, erwiderte Bacci. „So unterwürfig das klingt - wir müssen diesen Kerl bei Laune halten, dürfen ihn nicht auch noch reizen.“
„Er ist unberechenbar“, sagte der Arzt.
„Er erinnert mich irgendwie an den Diktator von Uganda, den sie letztes Jahr davongejagt haben“, meinte Cancogni. „Wenn wir nicht mächtig aufpassen, schießt er uns alle über den Haufen. Mein Gott, und das musste an meinem Geburtstag passieren.“
„Hör endlich mit deinem verflixten Geburtstag auf“, sagte der Zweite. „Ich kann das einfach nicht mehr hören.“
Mancini hob die Hand. Sie verstummten alle, denn einer der chinesischen Posten hatte drohend die Maschinenpistole in Richtung auf ihre Köpfe gehoben. Dsou hatte ja ausdrücklich befohlen: Keine Unterhaltungen in italienischer Sprache.
Das typische Knattern und Flappen eines Hubschrauberrotors näherte sich, aber es lag kein Anlass zu Hoffnungen darin. Die Maschine hatte sich nur auf Lius Aufforderung hin von einer der beiden Staffeln abgesondert und zog nun ziemlich tief über die Decks der „Ancona“ hinweg. Wassili Bykow, Ben Derringer und Harald Fernau befanden sich an Bord, und sie konnten mit bloßem Auge erkennen, dass ihr Freund und Kollege Seiichi angeschossen auf dem Brückendeck kniete - wie ein Todeskandidat, der nur noch ergeben auf den Schuss wartete, der sein Leben auslöschen würde.
„Das können wir nicht zulassen“, stieß „Shark“ erregt aus. „Mein Gott, dieser Hund macht Seiichi allmählich fertig, und wir sitzen hier und unternehmen nichts ...“
„Reiß dich zusammen“, fuhr Harald Fernau ihn an. „Dieser Dsou - wie er sich Seiichi gegenüber zu erkennen gegeben hat - wird nichts mehr unternehmen, wenn unsere Luft- und Wassertruppen den sofortigen Rückzug antreten.“
„Wer sagt dir das?“, fragte Derringer.
„Mein gesunder Menschenverstand.“
„Das ist ein Gefühl, Mann, schlimmer als Impotenz“, sagte Bykow, während er den Bell UH 1D über den Luxusliner und den Trawler hinwegsteuerte und dann etwas höher steigen ließ. „Aber ich sehe auch ein, dass wir alles versuchen müssen. Setzen wir uns mit dem Commissioner in Verbindung, er wird wie wir zu der Einsicht kommen, dass es im Moment nur noch Sinn hat, den Forderungen der Killer nachzugeben.“
„Das ist mit Kapitulation gleichzusetzen“, erklärte Derringer.
„Nicht unbedingt“, widersprach ihm Harald Fernau. „Vergiss nicht, dass Seiichi seine Tätigkeit als 'Parlamentär' nur vorgeschoben hat, um irgendwie an Bord der 'Ancona' zu gelangen.“
„Aber jetzt ist er verwundet, verdammt noch mal!“
„An der Schulter ...“
„Ist das nicht schlimm genug?“
„Bruder, halt die Luft an“, entgegnete Fernau. „Ich habe eine Idee, wie wir den Chinesen, die in Kürze stiften gehen, folgen können, ohne dass sie uns mit ihren hochwertigen Peil- und Sonargeräten sofort ausfindig machen.“