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Einer der Chinesen aus Dsou Taofens glorreicher „Armee“ war als Ausguck in den Mast auf dem Brückenhaus geentert und hatte mit einem starken Fernglas Umschau gehalten. „Sie ziehen sich zurück“, meldete er jetzt seinem Anführer. „Der Kreuzer, die Zerstörer, die Kutter und Schnellboote  alle!“

Dass die Hubschrauber-Staffeln und das Jagdgeschwader verschwunden waren, hatte Dsou selbst schon vor wenigen Minuten verfolgen können. Jetzt trat er lachend in Richtung auf das Brückenhaus zurück, wandte den Kopf und sagte zu zwei Männern seines Prisenkommandos:

„Bewacht den Japaner. Durchsucht ihn. Passt auf, er ist auch in seinem jetzigen Zustand noch ein durchtriebener Hund, so, wie ich ihn taxiert habe.“

Sie marschierten an ihm vorbei auf den knienden Seiichi Tanaka zu. Dsou drehte sich zu Liu um, die jetzt wieder in einer offenen Tür des Brückenhauses stand. Er trat dicht vor sie hin, umarmte sie kurz und sagte: „Sieg! Sieg auf der ganzen Linie! Da siehst du mal wieder, zu welchen Erfolgen Härte und Unnachgiebigkeit führen.“

„Ja. Du warst großartig“, murmelte sie.

„Wir unterbrechen jetzt jeglichen Funkkontakt“, sagte er. „Die 'Lotung' liegt noch in Rufweite, wir können Philip unseren Kurs auch ohne die Geräte bekanntgeben. Wir laufen zunächst nach Norden ab, wenden uns später nach Nordwesten ...“

„Und der Japaner?“

„Der? Den sperren wir irgendwo ein.“ Dsou gab seinen „Soldaten“ ein paar Anweisungen, drehte sich dann wieder um und kehrte zu Seiichi Tanaka zurück.

„Wir haben ihn gründlich durchsucht, aber nichts gefunden“, sagte einer von Dsous treuen Untertanen. „Weder eine Waffe noch einen Ausweis oder irgendein anderes Erkennungszeichen. Er trägt überhaupt nichts bei sich.“

„Ach, sieh mal einer an.“ Dsou stellte sich so hin, dass er Seiichi in die Augen blicken konnte. „Das hast du natürlich extra getan, was, Jap? Du willst nicht, dass wir dich identifizieren.“

„Meinen Namen habe ich dir doch gesagt.“

„Ja, aber wer garantiert mir, dass der echt ist?“

„Ich.“

„Dass ich nicht lache! Mann, verrate mir bloß, für wen du arbeitest, sonst geht es dir dreckig.“

„Dsou, ich habe mich fair verhalten“, sagte Seiichi so ruhig wie möglich. „Das siehst du auch daran, dass ich, meiner Funktion als Unterhändler gemäß, keine Waffen mitgebracht habe. Es war eine bodenlose Gemeinheit von dir, mich einfach anzuschießen.“

„Für wen arbeitest du?“, schrie Dsou ihn an.

„Für das japanische Verteidigungsministerium. Ich war als Beobachter auf Kwajalein.“

„Und wieso hast ausgerechnet du dich als Vermittler eingemischt?“

„Weil wir dich aufgrund deiner ersten Funknachricht von Bord dieses Schiffes an die Kwajalein Missile Range als Asiaten erkannt haben. Da dachten wir uns, ich wäre vielleicht der geeignete Mann, um an deine Vernunft zu appellieren.“

Dsou schüttelte langsam den Kopf. „Zwischen uns sind Klüfte, die sich nie schließen werden. Die Unterschiede zwischen unseren Mentalitäten sind so zahlreich, dass man ein Buch darüber schreiben könnte. Tanaka - trägst du etwa Abhörwanzen oder Minisender bei dir?“

„Nein.“

Dsou Taofen sah ihn aus schmalen Augen an. „Spuck es aus! Du bist für den japanischen Geheimdienst tätig! Du bist ein verfluchter Agent - wie die, die wir auf Hungfou Hsü liquidiert haben!“

Diese Sätze vernahm Seiichi Tanaka noch, aber dann brach er endgültig zusammen. Zum Glück sank er auf die rechte, gesunde Schulter, blieb auf der Körperflanke liegen. Ein schwarzer Strudel riss ihn davon, dämpfte jede Wahrnehmung, wusch die Schmerzen weg.

„Gestehe“, rief Dsou, aber einer seiner Männer sagte: „Er ist ohnmächtig geworden. Im Moment hat es keinen Zweck mehr.“

„So ein verdammter Mist. Na gut, dann bringt ihn eben weg, und wir unterhalten uns später noch mit ihm. Hört zu, ich bringe euch bei, wie ihr ihn noch gründlicher durchsuchen könnt. Eine komplette Leibesvisitation bringt uns vielleicht weiter. Ich will Klarheit über den Kerl, bevor ich mir überlege, was ich mit ihm mache.“

Liu war hinter ihn getreten. „Dsou“, sagte sie. „Lass diesem Mann die Kugel aus der Schulter holen. Ich bitte dich darum. Trotz des Kriegsrechtes, nach dem wir handeln, müssen wir dieses Minimum an Humanität bewahren.“

Dsou wollte dagegen aufbegehren, aber vom Sonnendeck ertönte in diesem Augenblick ein spitzer Schrei. „Was ist denn jetzt wieder los?“, sagte er. „Also los, meinetwegen, verarztet diesen japanischen Schweinehund. Ich kümmere mich noch um ihn. Sehen wir erst mal nach, was es da unten gibt.“

Er rannte nach achtern. Liu nickte dem Bordarzt aufmunternd zu, dann setzte auch sie sich in Bewegung und folgte ihrem Geliebten. Der Arzt beugte sich über Seiichi Tanaka, nachdem der von zwei Bewachern in das Brückenhaus geschleppt worden war. Mancini, Bacci, Cancogni und der „Secondo Ufficiale“ verfolgten mit steinernen Mienen, wie der Arzt dem Agenten der Nuclear Task Force das MPi-Projektil aus der linken Schulter holte. Er tat dies mit einfachsten Mitteln aus seinem Boxcalf-Köfferchen, um keine Zeit zu verlieren. Als er das Stück Blei an einer langen Pinzette hochhielt, sagte Kapitän Giancarlo Mancini:

„Wir haben noch miteinander zu sprechen, Dottore. Was Lanerossi betrifft, so habe ich dir wohl unrecht getan. Ich bitte dich, das zu entschuldigen.“

„Längst vergessen“, gab der Arzt zurück. „Aber sehen wir jetzt zu, dass wir diesen Mann in die Erste-Hilfe-Station hinunterbekommen. Ich will die Wunde gründlich desinfizieren und ordentlich verbinden. Dazu brauche ich Utensilien, die ich nicht bei mir habe.“ Mancini konnte es den Wächtern auf der Brücke, die des Englischen nur ansatzweise mächtig waren, nach einigem Radebrechen beibringen, was nun zu tun war.

Zwei Männer des Prisenkommandos begleiteten sie zum Deck 3 hinunter. Unwillkürlich fragte sich Mancini, der selbst mit zugepackt hatte und Seiichi Tanaka an den Beinen hielt, wie oft sie diesen Weg innerhalb der nächsten Stunden wohl noch zurücklegen mussten. Was war auf dem Sonnendeck geschehen?

Hatte jemand zu flüchten versucht?

Gab es wieder einen Verletzten?

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