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Seiichi Tanaka war in einen engen, stickigen Raum des Decks 1 gesperrt worden, das sich am tiefsten unten im Rumpf der „Ancona“ befand. Nicht weit von der Bilge entfernt fristete er ein Dasein, das alles andere als beneidenswert war.
Auf der Erste-Hilfe-Station hatte der Bordarzt - der übrigens Santonocito hieß, wie Seiichi etwas später gehört hatte - die Nummer eins der Nuclear Task Force säuberlich verbunden, während Seiichi noch bewusstlos gewesen war. Was sonst noch geschehen war, hatte der Japaner jetzt resignierend festgestellt: Sie hatten ihm das winzige Sendegerät, das er sich an den Gaumen gepappt hatte, bevor er aus dem Bell UH 1D gestiegen war abgenommen. Sie hatten ihn wieder vollständig angekleidet, nachdem sie offenbar eine komplette Leibesvisitation an ihm durchgeführt hatten - aber auch die Erkennungsmarke war nicht mehr in dem Schuh, wo er sie vorsichtshalber in eine Aushöhlung des Absatzes geschoben hatte, statt sie in der Tasche mit sich herumzutragen.
Sie - die Chinesen - waren ganz schön raffiniert, wie Seiichi sich im Stillen sagte. Sie arbeiteten mit allen Tricks, und der große Lehrmeister schien Dsou zu sein. Aber auch der Helfer, der drüben auf dem Trawler „Lotung“ das Kommando übernommen hatte, konnte kein Dummkopf sein. Er hatte die „Cruise Missiles“ geborgen, kannte sich hervorragend in der Materie der Nuklearwaffen aus und war jetzt wahrscheinlich damit beschäftigt, die beiden Raketen zu trocknen und zu reinigen, sie tauglich zu machen für das, was diese hoffnungslos verbohrten Narren vorhatten.
Schritte näherten sich dem Raum.
Sie verharrten vor dem Schott. Seiichi prüfte zum x-ten Mal, ob er sich der Hand- und Fußfesseln entledigen konnte, die sie ihm angelegt hatten. Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Hilflos musste er verfolgen, wie das Schott von außen geöffnet wurde, wie Licht in das Dunkel der Zelle flutete. Dsou trat herein. Hinter ihm nahmen zwei seiner „Soldaten“ in dem offenen Schott Aufstellung. Alle drei waren mit MPis bewaffnet. Dsou ließ sie allerdings am Schulterriemen baumeln, um die Hand frei zu haben und Seiichi etwas zeigen zu können. Seiichi wusste schon, was jetzt kam.
Der Gegenstand in Dsous rechter Hand war flach und oval. Er hatte große Ähnlichkeit mit einer Polizeimarke und zeigte erhaben das Bohrsche Atommodell, dessen Neutronen durch winzige, eigenartig leuchtende transparente Partikeln dargestellt wurden.
Dsou las, was über dem Atommodell eingeprägt stand: „Nuclear Task Force.“
„Gute Arbeit, Dsou“, sagte der Japaner, um dem anderen den Wind aus den Segeln zu nehmen. „Nun weißt du also, was ich bin.“
„Ein Atom-Bulle. Und du hast mich doch angelogen.“
„Weißt du, dass man dich nach deinem entscheidenden Coup mit den 'Cruises' gnadenlos verfolgen wird, Dsou? Hast du darüber nachgedacht? Du kannst mich töten - aber meine Kollegen werden dir folgen, überallhin.“
„Mich kannst du nicht mehr beeindrucken“, entgegnete der Ex-Marinesoldat von Taiwan überraschend ruhig. „Auf deine Bluffs falle ich nicht mehr herein, Jap. Diese James-Bond-Methoden, die du benutzt, dieser Minisender in deinem Mund - ich habe ihn übrigens mit dem Stiefel zerquetscht -, dieser dämliche Einfall, die Erkennungsmarke ausgerechnet im Schuhabsatz unterzubringen - seht ihr euch bei eurem Training drittklassige Filme an?“
„Kann schon sein. Daraus lernt man so einiges.“
„Auch, wie man ohne Essen und Trinken überlebt?“
„Vielleicht, Dsou.“
„In Ordnung. Verzichten wir auf jede Art von Brachialgewalt, um mehr über dich und deinen Auftrag herauszukriegen. Ich koche dich auch so weich, Tanaka. Tai Chi Ch’uan ist nicht nur eine Technik des Kampfes, sie ist auch eine Weisheit, die Geduld lehrt, unendliche Geduld. Ich verlasse dich jetzt wieder und kehre erst nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden wieder zurück. In dieser Zeit kannst du es dir überlegen, ob du reden oder weiterschmachten willst. Ich lasse jeden niederschießen, der dir irgendwelche Art von Verpflegung zuschmuggeln will. Das gilt auch für den Arzt. Er hat dir im Erste-Hilfe-Raum ein schmerzstillendes Mittel injiziert, aber es wird keine weiteren Spritzen für dich geben, Tanaka, wenn die Wirkung dieser einen erst nachgelassen hat“, sagte Dsou Taofen.
„Eine gute Methode“, erwiderte Seiichi. „Hast du mir noch mehr zu sagen?“
„Nein.“
„Dann erspare mir jetzt den Anblick deines Gesichts.“
Dsou war versucht, sich auf den Gefangenen zu stürzen, bezwang sich aber im letzten Moment. Er steckte die Erkennungsmarke in eine Tasche seines Kampfanzuges, wandte sich abrupt ab und verließ das enge Geviert. Einer seiner Männer rammte das Schott zu und verriegelte es. An den Schritten, die sich entfernten, vernahm Seiichi, dass nur ein Mann fortging. Zwei blieben also als Wachtposten vor dem Schott zurück.
Etwa eine Dreiviertelstunde später - Seiichi Tanaka konnte das Zifferblatt seiner Armbanduhr nicht lesen, sondern die Zeit nur schätzen - vernahm der Agent Geräusche. Sie ließen darauf schließen, dass in einem Nebenraum der „Zelle“ noch ein Gefangener untergebracht war. Der schien sich mit seinem Schicksal nicht so leicht abzufinden - er trommelte mit den Absätzen auf dem Boden herum.
Die Wächter ließen ihn gewähren.
Tatsächlich hielt der Unbekannte in dem Nebenraum nach einiger Zeit auch mit der Trommelei inne.
Seiichi versuchte verbissen, die Stricke an seinen Handgelenken und Fußknöcheln durch unaufhörliche Arbeit zu erweitern. Die wunde Schulter behinderte ihn dabei. Bald begann sie wieder zu schmerzen.