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In den frühen Morgenstunden wasserte der alte, aber doch erstaunlich robuste Amphibienklipper in der Magicienne Bay von Saipan, der nördlichen Nachbarinsel von Tinian. Ein Kutter der US-Marine näherte sich und brachte Kerosin für die halb leeren Tanks der Maschine, die, wie ihr Eigner auf Kwajalein fröhlich erklärt hatte, „einen Mordsdurst“ hatte und den Kraftstoff geradezu unverschämt schnell in sich hineinsog.
Die fünf Agenten der Nuclear Task Force waren über den neuesten Stand der Entwicklung im Bilde.
Die „Ancona“ und die „Lotung“ hatten gestoppt. Sie lagen sehr dicht vor Lalo Point, der Südspitze von Tinian, knapp dreißig Meilen entfernt.
In den Stunden der Mittelwache - von Mitternacht bis vier Uhr morgens - hatten beide Schiffe unaufhörlich Zickzackkurs eingelegt. Dies hatte Charles Neuville, Wassili Bykow, Ben Derringer, Harald Fernau und Ed Travis stark zu denken gegeben. Sie rechneten mit einer neuen Teufelei Dsous - und ihre dumpfen Ahnungen sollten sich bestätigen.
Als das Flugzeug vollgetankt war, erschien in der Bucht ein Schnellboot. Es hatte den Commissioner an Bord. Der Commissioner hatte sich während der Nacht von „Silver City“ auf dem großen Umweg über Marcus Island nach Guam herüberjetten lassen, hatte dann die Entwicklung abgewartet und sich schließlich von einer F14 von Guam nach Garapan, der Hauptstadt von Saipan, bringen lassen.
Palmenwipfel wiegten sich über dem weißen Sandstrand der Bay im lauen Morgenwind; es wurde allmählich hell. Das Paradies schien zu erwachen und sich in seiner vollen exotischen Pracht zu entfalten. Aber das, was der Commissioner als Botschaft überbrachte, als er sich an Bord des Klippers begab, ließ alle Schönheit der Natur, jeden erfreulichen Gedanken verblassen.
„Dsou hat von Bord der 'Ancona' aus seine Anordnungen erteilt“, erklärte der Commissioner ernst. „Per Funk hat er uns wissen lassen, dass er über alles im Bilde ist. Über die ASW-Ortungen - und über die Verfolgung durch ein Wasserflugzeug, das in dieser Nacht zweimal in die Reichweite seiner ausgesetzten Peilbojen geraten ist. Er ließe sich durch dieses idiotische Manöver nicht täuschen, sagt er. Er wisse genau, dass sich an Bord der Maschine, die mal wassert, mal wieder aufsteigt, Agenten der Nuclear Task Force befinden.“
„Mist“, entfuhr es Ed Travis. „Sie haben Seiichis Erkennungsmarke gefunden. Und sie wissen ausgezeichnet mit den Anlagen der 'Lotung' umzugehen. Charles, warum haben wir die Bojen nicht bemerkt?“
„Weil wir keine hochwertigen Radar- und Peilgeräte an Bord haben, das weißt du doch.“
„So geht das nicht“, sagte Derringer resigniert. „Wir müssen uns was anderes einfallen lassen. Aber was? Mit einem U-Boot hinter den Kerlen herzujagen, wäre noch hirnverbrannter. Bei den Sonar-Fallen, von denen es hier nur so wimmelt, kommen wir keine zehn Meilen weit, ohne aufgestöbert zu werden.“
„Guter Rat ist teuer“, meinte auch der Commissioner. „Dsou hat den Befehl gegeben, die US-Marine solle ihr gesamtes ASW-Netz abschalten.“
„Abschalten?“, wiederholte Harald Fernau ungläubig. „In was versteigt dieser Politgangster sich denn jetzt?“
„Er weiß, dass er so weit gehen kann“, erwiderte der Commissioner. „Er hat in seinem Funkspruch an die Military Base von Tinian, deren Frequenz er irgendwie rausgefunden hat, bekanntgegeben, dass er jetzt hundert Mann von der 'Ancona' ans Südufer der Insel transportiert und sie dort hinrichten lässt, falls seinen Forderungen nicht augenblicklich Folge geleistet wird. Des Weiteren hat er angedroht, dass er ein paar Gramm Plutoniumoxid, die seine Helfer mit Leichtigkeit aus einem der Raketen-Sprengsätze klauben können, in die Trinkwasserversorgung von Tinian befördert.“
„Augenblick mal“, sagte Wassili. „Die haben doch gar keine Strahlen-Schutzanzüge, um das machen zu können.“
„Doch, haben sie, und zwar an Bord der 'Lotung'“, musste der Commissioner ihm widersprechen. „Und sie scheinen auch das nötige technische Wissen aufzubringen, um einen derartigen Coup abzuziehen. Ich vergaß zu sagen: Nicht weit von Dsous Landeplatz entfernt steht das zentrale Wasserwerk von Tinian, eine hochmoderne Anlage, die zum Teil auch Seewasser für die Trinkwasserversorgung aufbereitet.“
„Und was hat Dsou über Seiichis Befinden gesagt, Chef?“, erkundigte sich Harald Fernau.
„Nichts. Kein Wort.“
Ed Travis blickte den Deutschen eindringlich an. „Harald, es wird Zeit, dass du dir wieder was einfallen lässt, um diesem Größenwahnsinnigen das Handwerk zu legen.“
„Eines steht fest“, sagte Fernau gepresst. „Es hat keinen Zweck, sie zu verfolgen. Wenn wir nur wüssten, welches ihr genaues Ziel ist. Dann könnten wir den Fall von dorther aufrollen.“
„Wir sind mit unsrer Weisheit am Ende, Brüder“, sagte Ben Derringer. „Aber, verdammt noch mal, es muss einen anderen Weg geben, es muss, es muss.“