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Weder Dsou noch Bai Hsi ahnten, wozu ein Mädchen wie Liu fähig war, wenn es in seinen edelsten Empfindungen getroffen und beleidigt wurde. Liu stieg die Niedergänge des großen Schiffes hinab, sie kam am Funkschapp vorbei, in dem der Funker der „Ancona“ soeben die Nachricht empfing, dass die US-Marine ASW lahmlegen und jede Verfolgung aufgeben würde, falls Dsou die Geiseln verschonte. Liu hörte nichts davon, kümmerte sich nicht darum. Sie hatte jetzt nur noch ein Ziel vor Augen: sich an Dsou zu rächen.
Alle Hoffnungen hatte sie in ihn gesetzt. Er war der Mann, der ihr trostloses und menschenunwürdiges Dasein auf der Orchideeninsel beendete, sie „zu sich nahm“, wie die Chinesen zu sagen pflegten - aber wenn er sie betrog und verletzte, war dieser Traum dahin.
Unter dem Einfluss dieses schweren seelischen Schlages stieg Liu ganz bis zum Deck 1 hinab und schlich zu dem Schott, hinter dem sie den Japaner wusste. Bewacht wurde der zur Gefängniszelle umfunktionierte Raum im Moment nicht, denn die beiden Chinesen, die dort Posten geschoben hatten, wurden jetzt oben auf Deck gebraucht. Das Prisenkommando war ohnehin klein, und jetzt, da Dsou an Land das Exempel statuieren wollte, das er schon lange androhte, war die Bewachermannschaft auf dem Luxusliner auf die erschreckend kleine Zahl von fünf zusammengeschrumpft.
Liu öffnete die Verriegelung des Schotts, vorsichtig, nahezu lautlos. Sie hütete sich, die schwere Stahltür auch noch aufzuziehen und zu Seiichi Tanaka ins Innere des engen Raumes zu treten - derart wollte sie sich nicht verausgaben und bloßstellen.
Sie huschte wieder davon, kehrte auf die Brücke zurück und verfolgte von dort aus mit stoischer Miene, wie die Beiboote mit den unversehrten Offizieren und Mannschaftsmitgliedern zur „Ancona“ herübergetuckert kamen.
Dsous Boot ging als erstes längsseits, Dsou enterte die Einstiegsluke, die für das Übernahmemanöver offen stand, drehte sich dann um und stand mit der Maschinenpistole parat, um die Männer des Schiffes in Empfang zu nehmen.
Etwas später stieg auch er mit zweien seiner „Soldaten“, Mancini, Bacci, Cancogni, dem Zweiten Offizier und dem Bordarzt Santonocito ins Brückenhaus hinauf.
„Es hat geklappt“, verkündete er stolz. „Die Amerikaner zittern vor uns. Wir haben freies Geleit und können unsere Fahrt fortsetzen, ohne noch irgendwie angepeilt, geortet oder gehetzt zu werden. Die Kerle von der Nuclear Task Force werden ganz schön lange Gesichter haben! Übrigens, ich lasse die Mannschaft jetzt in das Odeon-Kino unten auf dem Promenadendeck sperren und dort bewachen. Die Passagiere kommen alle in den großen Liguria-Club, der sich auf dem Lido-Deck befindet. So lässt sich das ganze Rudel besser im Auge behalten, und ich kann jeweils zwei meiner Männer umschichtig schlafen lassen. Die Männer fangen jetzt an, müde zu werden, aber das können wir uns nicht leisten.“
„Nein“, antwortete Liu Pefu. „Das können wir uns nicht leisten.“
„Sag mal, ist etwas nicht in Ordnung?“
„Nein“, sagte sie. „Was sollte nicht Ordnung sein?“
„Seit einiger Zeit wiederholst du nur noch stereotyp, was ich dir sage.“
„Ich bin müde, Dsou. Hundemüde.“
Dsou Taofen schaute zu Mariangela, deren Gesicht verweint und gerötet war. „Du kannst jetzt aufatmen, Frühlingsblume“, rief er ihr aufgeräumt zu. „Deinen Freunden ist nichts passiert. Und es wird euch auch weiterhin gut gehen, wenn die Amis uns in Ruhe lassen.“
Mariangela nickte nur, sprach kein Wort.
Bai Hsi äußerte nichts über den Ausbruch Lius der blonden Italienerin gegenüber. Liu hatte es ihm aufgetragen, und er hielt es für besser, sich daran zu halten, um sich ihren Hass nicht völlig zuzuziehen.