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Um den von Dsou auf Deck 1 eingerichteten „Gefängnistrakt“ zu erreichen, mussten die beiden Männer des Prisenkommandos an dem Werkzeug und Ersatzteilraum vorbei, in dem Seiichi und der Graf sich versteckt hielten. Seiichi und Spontini hatten die Schritte nahen hören, sie lauerten hinter dem Schott, als die Chinesen mit Cancogni vorbeimarschierten. Nie hätte sich eine bessere Gelegenheit ergeben.

Seiichi Tanaka drückte das nur angelehnte Schott auf, glitt als Erster hinaus. Spontini folgte ihm. Beide hatten sie Schraubenschlüssel aus Chrom-Vanadium in den Fäusten.

Die Chinesen wandten sich noch verdutzt zu ihnen um, weil sie Geräusche wahrgenommen hatten. Aber dann waren sie nicht mehr schnell genug. Sie wurden durch Cancogni, den sie an Armen und Beinen festhielten, in ihren Bewegungen behindert.

Seiichi nahm sich den vorderen Mann vor, Cesare Spontini stürzte sich auf den anderen. Unter den Hieben mit den schweren Schlüsseln brachen die Chinesen zusammen.

Die Nummer eins der Nuclear Task Force gab ein Handzeichen, und Spontini half Seiichi, die reglosen Gestalten in den Magazinraum zu schleifen. Auch Cancogni wurde in diesen Raum verfrachtet, aber er kam in dem Augenblick zu sich, in dem Cesare Spontini ihn auf den Boden bettete.

„Santa Madre, was ist los?“, wollte der Erste wissen. Spontini legte den Zeigefinger gegen die Lippen. Er sprach gedämpft auf den Offizier ein, setzte ihm die Situation auseinander.

Und dann halfen der Graf und der noch etwas benommene „Primo“ mit, die beiden bewusstlosen Chinesen mit Tauen und Stricken zu fesseln und fachgerecht zu knebeln. Seiichi Tanaka hatte ihnen die Kampfanzüge und die Mützen abgenommen. In den einen, kleineren Anzug schlüpfte er jetzt. Spontini legte den anderen an.

„Auf zur großen Schau“, flüsterte Seiichi Cancogni zu. „Da man Sie nach ihrem verzweifelten Befreiungsversuch, von dem Sie uns eben erzählt haben, ebenfalls einsperren wollte, gaukeln wir den Posten vor den 'Zellen' jetzt etwas vor. Sie müssen den Bewusstlosen spielen, mein Freund. Ich rechne damit, dass Dsou oder einer seiner Helfer die Wachtposten per Bordtelefon verständigt hat - unser Auftritt muss also schlechthin perfekt sein.“

Wenig später bogen sie um die Ecke, hinter der ein Quergang des Decks 1 begann, von dessen rechter Wand die Schotte in die zu Gefängnissen umfunktionierten Räumen führten. Da standen sie nun, die beiden Wachtposten. Sie blickten natürlich sofort zu Seiichi, der als Erster vor sie hintrat und sich die Mütze ins Gesicht gezogen hatte, zu dem „ohnmächtigen“ Cancogni, der schlaff in den Fäusten der „Soldaten“ hing, und zu Spontini, dessen Gesicht hinter den großen Füßen von Cancogni versteckt war. Der Graf hatte die Beine des armen Cancogni so weit hochgezogen, dass er mit dem Kopf nach unten hing.

Als der eine Posten gerade eine Bemerkung über die komische Haltung des Gefangenen fallen lassen wollte, ließ Seiichi, der jetzt dicht genug an die Kontrahenten herangetreten war, den „Primo“ einfach los. Spontini reagierte und gab Cancognis Beine frei, dann sprang er über den fallenden Mann hinweg und stürzte sich mit dem Japaner zusammen auf die beiden aufschreienden Posten.

Cancogni rollte sich auf dem Boden ab, sprang auf.

Zu dritt entrangen sie den Chinesen die Maschinenpistolen und schlugen sie bewusstlos. Spontini wurden die Kung-Fu-Griffe, die sein Widersacher anwandte, fast zum Verhängnis - aber zum Glück war Cancogni zur Stelle, der sofort hart zupackte und die Partie für sie entschied.

„Los“, zischte Seiichi Tanaka seinen neu gewonnenen italienischen Freunden zu. „Wir sperren sie in die 'Zellen'. Selbstverständlich müssen wir auch sie fesseln und knebeln, und einen ihrer Kampfanzüge wirst du anziehen, amico Cancogni. Va bene?“

„Va bene“, gab Cancogni zurück.

Seiichi blickte auf das Leuchtzifferblatt seiner Armbanduhr. „Kurz nach sechs. Wir haben noch etwas Zeit, ehe Dsou zu dem Besuch, den er mir nach Ablauf von vierundzwanzig Stunden angekündigt hat, erscheint.“ Er öffnete ein Schott und zerrte den einen Chinesen in den Raum, in dem Spontini eingeschlossen gewesen war. Wieder schmerzte die Schulter ganz erheblich, aber Seiichi biss die Zähne zusammen. Er musste durchhalten.

Cancogni trat zu ihm herein. Spontini beschäftigte sich nebenan mit dem fachmännischen Verknoten der Stricke, die er dem zweiten Bewacher um die Handgelenke und Fußknöchel geschlungen hatte. Es waren die Stricke, mit denen zuvor Seiichi Tanaka gefesselt gewesen war.

„Wo befinden sich die Passagiere, wo die Mannschaft und die Offiziere?“, erkundigte sich Seiichi leise bei dem Ersten Offizier.

„Ich habe mitgekriegt, dass die Mannschaftsmitglieder und die unteren Offiziersgrade ins Odeon-Kino gesperrt worden sind. Die Passagiere sind im Liguria-Club - alle. Auch die Frauen, Kinder und alten Leute.“

Seiichi schob dem gefesselten Chinesen einen Knebel zwischen die Zähne. „Dsou weiß, dass seine Leute allmählich müde werden. Deshalb versucht er, seine Geiseln mit weniger Männern besser zu überwachen und vielleicht den einen oder anderen für ein paar Stunden schlafen zu lassen.“

„Ja.“

Seiichi wies auf den Kampfanzug, den er dem Chinesen abgenommen hatte. „Steig hinein, amico, wenn es dir auch sicherlich keinen großen Spaß bereitet, die verschwitzten, angeschmutzten Sachen anderer Leute zu tragen.“

„Du glaubst ja gar nicht, wie gern ich das in Kauf nehme“, erwiderte der Erste Offizier grimmig. „Übrigens, Dsou, sein Mädchen und dieser dicke Chinese, der Bai Hsi heißt, befinden sich auf der Brücke und halten Mariangela Marelli, Mancini, Bacci, Santonocito und den Zweiten in Schach.“

„Bleiben noch sechs Mann, die auf die Geiseln aufpassen. Hoffen wir, dass Dsou zwei von ihnen zum Schlafen geschickt hat.“

„Aber wohin?“

„Das kriegen wir auch noch raus, verlass dich drauf.“ Spontini blickte zu ihnen herein und sagte: „Was ist, machen wir weiter? Wen befreien wir zuerst?“

„Die Passagiere“, antwortete Seiichi. „Aber du bist ein bisschen zu optimistisch, mein Freund. Vergiss nicht, dass wir nach unseren ersten Erfolgen immer noch hundert Gefahren ausgesetzt sind - und der Möglichkeit, erbärmlich zu scheitern.“

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