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Der schlanke, mittelgroße Chinese ließ seinen Blick über die Menschenmenge wandern, die sie im Liguria-Club auf dem Lido-Deck des Luxusschiffes zusammengepfercht hatten. Die meisten der Männer, Frauen und Kinder waren inzwischen auf Stühlen und Sesseln, zwischen den Tischreihen oder auf dem Podium eingeschlummert. Der Schlaf hatte sie regelrecht übermannt. Nur vierzig, fünfzig waren noch wach und blickten aus rot geränderten, von den Entbehrungen und Ängsten der letzten Stunden gezeichneten Augen stumpfsinnig vor sich hin.

Der schlanke Chinese sagte zu seinem Partner, der links von ihm mit weit von sich gestreckten Beinen auf einem Stuhl saß: „Du kannst sie eine Minute lang auch allein bewachen. Ich gehe jetzt und wecke Dscheng. Seine Zeit ist um, er soll mich ablösen.“

„Soll ich Dsou Bescheid sagen?“

„Nein, das brauchst du nicht.“

„Bist du ganz sicher?“

„Hundertprozentig“, erwiderte der Schlanke ziemlich vergrätzt. „Er hat uns doch entsprechende Order gegeben.“

„Na, meinetwegen, dann schieb schon ab“, sagte der andere. „In zwei Stunden bin ich dann endlich mit dem Ausruhen an der Reihe.“ Er gähnte, machte sich nicht die Mühe, die Hand vor den Mund zu halten.

Der Schlanke verließ den Liguria-Club und ging zum Nachtklub hinüber, einem sehr viel kleineren Lokal auf dem gleichen Deck, in dem gewöhnlich zu später Stunde die gewagteren Aufführungen an Bord der „Ancona“ stattfanden. Jetzt lief dort überhaupt nichts mehr, und auf den breiten, dick gepolsterten Lederdiwanen hatten es sich die beiden Chinesen gemütlich gemacht, die von Dsou Taofen die erste „Ruhe Schicht“ verordnet bekommen hatten.

Der Schlanke bemerkte zu spät die Gestalten, die sich hinter Sesseln und Couches erhoben und ihre Maschinenpistolen auf ihn richteten. Sie waren wie die „Soldaten“ des Prisenkommandos gekleidet, nur schienen ihnen die Kampfanzüge nicht recht zu passen, und ihre Gesichter entsprachen nicht denen der regulären Armee Dsou Taofens ...

Viel zu spät sah der Schlanke auch, dass Dscheng und der andere Schläfer bereits zu stramm verschnürten Paketen verarbeitet worden waren und - mit Knebeln in den Mündern - zwischen Tischen und Diwanen auf dem Boden lagen, unfähig, auch nur die Hände zu bewegen.

„Die Waffe weg“, sagte Seiichi Tanaka nicht sonderlich laut. „Wir würden nicht zögern, dich über den Haufen zu schießen. Und das würde höchstens dein Kamerad im Liguria-Club hören, sonst niemand.“ Die Schreie, die die Wächter der „Gefängniszellen“ unten im Deck 1 vor ihrer Überrumpelung ausgestoßen hatten, hatte auch niemand vernommen. Seiichi bluffte nicht, er wusste, was er sagte.

Der schlanke Chinese blickte von Seiichi Tanaka zu den anderen beiden Männern, die ihn bedrohten. Er erkannte in ihnen den Grafen Spontini wieder, der sich mit Bai Hsi herumgeschlagen hatte - und den Ersten Offizier Cancogni.

Ein zorniger, zu allem fähiger Stoßtrupp. Der Chinese ließ die Mp auf den Teppichboden des Nachtklubs fallen. Er hob die Hände und unternahm nichts, als Seiichi Tanaka zu ihm trat und ihn zu fesseln begann.

Wenig später erhob sich der zweite Bewacher der Passagiere von seiner Sitzgelegenheit im Liguria-Club. Ärgerlich schritt er zur Tür. Er drehte sich um und legte die letzten Yards rückwärts zurück, um ja nicht die wachenden Passagiere aus den Augen zu lassen. Verdammt, wo blieb denn nur Dscheng! Er wollte einen Blick aus den Gang hinaus werfen, wenigstens das. Er nahm sich vor, Dscheng kräftig den Marsch zu blasen, wenn er erschien.

Er öffnete die Tür zum Gang - und dann packten auch schon die Hände zu, die ihn hinauszerrten und ihm seine Waffe entrissen - die ihn ins Land der Träume schickten, als er Widerstand leistete.

„Verschnüren wir auch ihn“, raunte Seiichi, als der Mann bewusstlos vor ihren Füßen lag. „Cancogni, bleibst du hier? Du musst von jetzt an auf die Passagiere aufpassen und jeden Chinesen, der sich hier Zutritt verschaffen will, ausschalten. Du musst außerdem den verstörten, schockierten Leuten dort drinnen so sanft wie möglich beibringen, dass das Blättchen sich wendet.“

„Ihr könnt euch auf mich verlassen“, entgegnete der „Primo“ ernst.

Seiichi und der Graf Spontini kletterten kurz darauf ein Deck tiefer und lauerten dem Chinesen auf, der nicht sehr viel später das Odeon-Kino verließ, um den Nachtklub des Lido-Decks aufzusuchen und auf seine fällig gewordene Ablösung zu dringen.

Auch ihn überwältigten sie. Und auch seinen Kameraden, der müde und gereizt die unteren Offiziersgrade und die Mannschaftsmitglieder in dem Lichtspieltheater bewachte, konnten sie ins Freie locken und niederringen.

Jetzt hatten nur noch Dsou Taofen, Liu Pefu und Bai Hsi das Schiff von der Brücke aus in ihrer Gewalt.

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