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„Was war das?“, sagte Bai Hsi. „Waren das nicht Schüsse? Es hat so merkwürdig gescheppert; ich glaube, das kam aus dem Innern des Schiffes.“
„Ich habe nichts gehört“, gab Liu kühl zurück. „Die Müdigkeit gaukelt dir Trugbilder vor, Bai Hsi. Du leidest an Sinnestäuschungen.“
Der Dicke blickte sie aus zusammengekniffenen Augen an. Er traute ihr nicht. Es war ihm egal, wie sehr sie ihn hasste. Er erhob sich und schritt zu dem Niedergang, der vom Brückenhaus ein Deck tiefer führte. Er hatte die Stufen des Niederganges fast erreicht, da schnellte Seiichi Tanakas Gestalt aus dem Dunkel des Treppenschachtes auf ihn zu.
Der beleibte Chinese prallte zurück.
„Alle zu Boden“, rief Tanaka auf Italienisch. „Werft euch hin, runter mit euch!“
Mancini ließ sich geistesgegenwärtig fallen und riss Mariangela Marelli mit, die erst in diesem Augenblick völlig entgeistert aus ihren Alpträumen aufschreckte. Sie stürzte von der Bank, und mit ihr und dem Kapitän warfen sich auch Bacci, Santonocito und der Zweite Offizier zu Boden.
Bai Hsi feuerte auf Seiichi Tanaka. Seiichi ließ sich fallen, schoss zurück. Bai Hsi brach zusammen. Liu wollte auf die Geiseln schießen, besonders auf die verhasste Italienerin, die sich hinter der Sitzbank in Sicherheit gebracht hatte, aber Seiichi rief ihr über den Leib des getroffenen Bai Hsi hinweg zu: „Nicht, Liu! Mach dich nicht unglücklich! Ihr seid alle erledigt, alle, hörst du?“
Sie drehte sich langsam zu ihm um. „Glaubst du, das weiß ich nicht? Ich habe den Riegel deiner Zellentür beiseite geschoben.“
„Das wird dir vielleicht zu mildernden Umständen vor Gericht verhelfen, trotz des Mordes, den du auf der Orchideeninsel begangen hast!“
„Nein.“ Sie lächelte freudlos. „Ich mache mir keine Illusionen mehr, weder darüber noch über irgendetwas anderes auf dieser verdammten Welt. Man hat mich nur ausgenutzt, gebraucht, verraten, getreten. Diese Welt ist nicht für mich, Seiichi Tanaka.“ Sie hob die Maschinenpistole, drückte sich die Mündung gegen den Körper und hatte den Abzug betätigt, ehe Seiichi eingreifen konnte.
Santonocito stürzte zu ihr, aber Tanaka wusste, dass jede Hilfe zu spät kam. Er richtete sich auf, nickte der entsetzt schluchzenden Mariangela Marelli zu und sagte: „Sie können jetzt zu dem Grafen Spontini gehen. Er wartet im Odeon-Kino auf Sie, wo er die befreiten Offiziere und Besatzungsmitglieder beschützt hat.“
Sie stand auf, noch etwas wankend, lief dann aber los.
Tanaka blickte zu dem Trawler hinüber, der an Backbord des Luxusliners lief.
Wie sollte er Philip Hou und die übrigen fünfzehn Politgangster außer Gefecht setzen? Sie schienen nichts von dem, was eben geschehen war, verfolgt zu haben, und sie konnten im Stampfen der Maschinen auch nicht die Schüsse gehört haben, die an Bord der „Ancona“ gefallen waren. Dazu liefen die beiden Schiffe zu weit voneinander entfernt, es lagen mindestens zwei Kabellängen zwischen ihnen.
Was immer Tanaka gegen die Kerle auf der „Lotung“ unternahm - er gefährdete die tausend Menschen an Bord des Kreuzfahrers. In dieser Beziehung waren ihm auch jetzt noch die Hände gebunden. Er konnte nur eines tun: Die weitere Entwicklung abwarten und auf einen günstigen Zufall hoffen.