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Drei Stunden später rammte die „Lotung“ fast das total verrottete Schiff der „vietnamesischen Flüchtlinge“, denn der Mann, der an Bord der „Lotung“ den Magnetic Anomaly Detector überwachen sollte, war vor den Apparaturen eingeschlafen. Hou hätte ihm am liebsten eine Kugel durch den Kopf gejagt.

In letzter Minute sichteten die Chinesen das fremde Schiff auf dem Radarbildschirm, und Hou konnte gerade noch eine Alarmmeldung zur „Ancona“ hinüberjagen, dann hatte er vollauf damit zu tun, durch geschicktes Manövrieren eine Kollision mit dem fremden Kutter zu verhindern.

Hous Männer richteten ihre Maschinenpistolen, Karabiner und Schnellfeuergewehre auf den Kutter, glaubten an einen heimtückischen Überfall durch die Amerikaner, die ihnen vielleicht doch gefolgt waren, aber dann vernahmen sie das Weinen der Kinder, das Jammern der Frauen, die offensichtlich auf dem Kutter fuhren.

Jemand schrie zu ihnen herüber: „Helft uns! Wir sind in Seenot! Wir sind vom Kurs abgekommen, haben keinen Treibstoff mehr!“

Er sprach gebrochenes Englisch.

„Wer seid ihr?“, fragte Hou ihn durch ein elektrisch betriebenes Megaphon.

„Wir kommen aus Südvietnam, sind vor den Kommunisten geflohen.“

Hou, der die vietnamesische Sprache grob beherrschte, fragte das Gleiche noch einmal auf vietnamesisch - und erhielt die gleiche Antwort. Er ließ Scheinwerfer des Trawlers auf den Kutter richten, der keine Kabellänge entfernt vor dem Bug der „Lotung“ dümpelte, und in dem gleißenden Licht waren die zerlumpten, heruntergekommenen Gestalten zu erkennen, die sich auf dem Oberdeck niedergelassen hatten.

Ihre Kostümierung war das Ergebnis der Arbeit eines hervorragenden Maskenbildners, der für Lien Lo Pou tätig war - ein wahrer Künstler auf seinem Gebiet.

Hou nahm Funkverbindung mit der „Ancona“ auf, sprach mit Dsou, der sofort am Gerät war. „Eine Falle“, stieß er erregt hervor. „Das kann nur eine verfluchte Falle sein.“

„Das glaube ich nicht“, kam Dsous Stimme leise und verzerrt. „Wir tun ein gutes Werk, wenn wir diese Flüchtlinge vor der 'roten Gefahr' an Bord nehmen. Sieh sie dir doch an, Philip, dieses Entsetzen, diese Panik in ihren Gesichtern, das kann nicht gespielt sein ...“

„Ich kann dich kaum verstehen!“

„Irgendetwas stimmt nicht mit der Frequenz“, gab Seiichi Tanaka vom Funkschapp des Luxusliners zurück.

„Egal - was soll ich tun?“

„Nimm die Leute auf. Viele sind es ja nicht, soweit ich von hier aus feststellen kann. Die 'Ancona' ist viel zu groß, sie würde für ein solches Manöver viel zu lange brauchen.“

„Ist das ein Befehl?“

„Ja“, gab Seiichi Tanaka zurück.

Erst, als der Trawler längsseits des Kutters gegangen war, erst, als die „Flüchtlinge“ aufenterten und plötzlich unter ihren zerfetzten Kleidungsstücken hochmoderne Maschinenpistolen und Handgranaten zum Vorschein brachten - erst da ging es Philip Hou auf, dass nicht mit der Frequenz im Funkverkehr zwischen der „Lotung“ und der „Ancona“ etwas nicht gestimmt hatte, sondern dass der Mann, mit dem er gesprochen hatte, nicht Dsou Taofen gewesen war.

Es gab nur einen kurzen Feuerwechsel, dann hatten Ben Derringer, Harald Fernau und Ed Travis an der Spitze des Trupps von Geheimdienstagenten die sechzehn Chinesen an Bord des Trawlers überwältigt und entwaffnet. Zwei Chinesen waren schwer verletzt, ein Mann von ONI hatte einen Streifschuss davongetragen. Das war alles. Was so dramatisch begonnen hatte, endete nun fast unerheblich, ohne großen Aufwand.

Charles Neuville und Wassili Bykow, die auf der Insel Huap’ing Hsü mit einem starken Einsatzkommando lauerten, sowie die Streitkräfte der US-Marine und der Marine von Taiwan brauchten nicht mehr einzugreifen. Man durfte allgemein aufatmen und daran denken, die „Cruise Missiles“ nach Kwajalein zurückzubringen.

Seiichi Tanaka sprach vom Funkschapp der „Ancona“ aus mit dem Commissioner, während Santonocito, der Bordarzt, erneut seine lädierte Schulter versorgte. Der Commissioner befand sich an Bord eines US-Marine-Kreuzers, keine fünfzig Meilen vom Schauplatz des Geschehens entfernt. „Hier ist alles in bester Ordnung, Chef“, sagte er. „Die Geiseln sind unversehrt.“

„Und du, Seiichi?“

„Ich auch, wie Sie hören“, erklärte der Japaner, während er ein verkniffenes Gesicht machte, weil Santonocito die Schulterwunde mit einem unerhört beißenden, aber sehr wirksamen Mittel neu desinfizierte.

„Gut“, erwiderte der Commissioner. „Wir dürfen diesen Fall als abgeschlossen betrachten. Ach, übrigens - von der Kwajalein Missile Range verlautet, dass sich ein Techniker-Team mit den 'Cruises' befassen wird. Die Irrläufer sind wohl doch technischen Mängeln zuzuschreiben, und man hofft, dass man, wenn man einen neuen Bordcomputer-Typ einbaut, künftige Fehlschüsse vermeiden kann.“

„Dazu würde ich aber auch dringend raten“, entgegnete Seiichi trocken. „Ich weiß nicht, ob ich bei einem neuen Einsatz wegen der vertrackten 'Cruise Missiles' nur mit einer kaputten Schulter davonkommen würde. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass ich diesmal unerhörtes Glück gehabt habe.“

ENDE

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