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Dr. Jus Brumer brauchte dann zwar drei Stunden, auch belief sich der Blankoscheck für die Kaution - Bount hatte ihn vorsorglich mitgebracht - nur auf hunderttausend Dollar, doch das war schon happig genug. Und Captain Toby Rogers wusste noch gar nichts davon. Er war nach seiner unfreiwilligen Nachtschicht zu Bett gegangen. Es würde ein böses Erwachen für ihn werden, wenn er erfuhr, dass ausgerechnet sein Freund Bount Reiniger ihm den Haupttatverdächtigen aus dem Knast geholt hatte.

Bount nahm sich ganz fest vor, die nächsten Wochen nicht zufällig bei Toby im Büro aufzutauchen und ihn zu einer Akteneinsicht zu nötigen.

Graham Denver stieg zu ihm in den Wagen. Er wirkte übernächtigt und abgerissen. Im Normalzustand sah er vermutlich besser aus. Bisher hatte er noch kein Wort des Dankes verloren.

Das Mercedes Coupé rollte an. Reiniger reihte es in den Verkehr ein.

»Sie sind ziemlich stumm«, meinte er mit einem Seitenblick auf den Fahrgast.

Im Gegensatz zu seiner Schwester war Graham Denver blondgelockt, an der Brust ähnlich breit und trotzdem entschieden anders gebaut, maskulin athletisch nämlich.

Wenn labile Menschen sich überdies durch ein fliehendes Kinn auszeichnen, dann spottete das von Denver junior jeder einschlägigen Beschreibung Hohn. Denn das seine war durchaus männlich markant. Und wenn er zu viel soff, hatte zumindest seine Figur noch nicht darunter gelitten.

Männer wie ihn konnte man auf Tennisplätzen und den Sprungtürmen der öffentlichen Schwimmbäder begegnen.

»Ich habe meine Gründe«, meinte Denver düster und stierte durch die Windschutzscheibe. »Wo bringen Sie mich eigentlich hin?«

»Trautes Heim, Glück allein«, tönte Bount.

Der Blonde zuckte zusammen, schaute Reiniger erschrocken an.

»Himmel! Doch nicht in diese alte Burg an der Fifth Avenue!«

»Warum nicht?«

Da schwieg der Fahrgast wieder und verfiel in dumpfes Brüten zurück. Erst nach einer Weile bequemte er sich zu einer Antwort.

»Ich kann da nicht hin. Alle glauben sie, ich sei’s gewesen.«

»Waren Sie’s denn nicht?«

»Nein.«

»Sie stecken in Geldschwierigkeiten.«

»Was geht Sie das an?«

Bount Reiniger bog auf den Broadway ab.

»Einiges, würde ich meinen«, sagte er. »Ich will einem Kerl wie Ihnen nicht mit Fremdwörtern wie Ehre und so weiter daherkommen, aber etwas seltsam finde ich Ihr Verhalten schon. Ihnen ist doch bekannt, dass Ihre Schwester mich beauftragt hat, den wirklichen Mörder aufzustöbern.«

»Wir durften kurz miteinander telefonieren.«

»Wieso sind Sie dann nicht kooperativer?«

Graham Denver atmete tief durch. Sein Brustkorb dehnte sich, und Bount bemerkte, wie er dabei plötzlich schmerzhaft das Gesicht verzog.

Ob der gute Toby wirklich wusste, was da in seinen Verhörkellern so alles vor sich ging?

»Ich kann Ihnen nicht helfen«, behauptete Jeannys Bruder schließlich lahm.

»Beim Tütenblasen haben Sie gut abgeschnitten. Sie waren vergangene Nacht nicht betrunken.«

»Zum Teufel! Warum quält mich hier jeder mit Fragen, die ich schon x-mal beantwortet habe? Ich kam nach Hause, verhielt mich leise, um das Personal nicht zu wecken und wollte gerade in mein Zimmer, als ich den Schrei hörte.«

»Sie wohnen in derselben Etage wie Ihr Vater?«

Denver machte eine wegwerfende Geste.

»Wohnen nennen Sie das? Der alte Herr hat mir eine bessere Besenkammer zugewiesen.«

»Alle erzählen, wie schlecht Sie mit ihm standen.«

»Wir gingen uns aus dem Weg.«

»Trotzdem er wollte nicht, dass Sie in der Gosse enden.«

Der Blonde lächelte bitter. Die Bartstoppeln passten nicht zum zerrissenen Dinnerjackett.

»Dem alten Herrn ging’s einzig und allein um seine Ruhe. Ein Skandal in der Familie hätte die nachhaltig gestört«

»Er finanzierte Sie also auch, als Sie das eigene Vermögen so phänomenal verjubelt hatten?«

Zum erstem Mal schaute Denver Bount Reiniger richtig an. In seinem Blick schwamm Erstaunen.

»Hey, Mann! Das klingt ja ganz so, als seien Sie der Erste, der mir diese kleine Jugendsünde nicht verübelt.«

Bount hätte ihm jetzt sagen können, dass er ihn zum Kotzen fand. Doch ein bisschen Schauspielerei gehörte zu seinem Handwerk.

»Jeder hat seine Macken. Ich hab auch ein paar. Nur sind die meinen nicht so kostenintensiv.«

Jetzt grinste Denver.

»Es war eine feine Zeit« .

»Sie haben sich Ihren Leichtsinn in der Tat etwas kosten lassen«, warf Reiniger leichthin ein. »Zum Schluss sogar eine Mordanklage. Ihnen ist doch klar, dass die noch lange nicht vom Tisch ist.«

Das Grinsen gefror ihm auf den Lippen, doch der harte Zug in seinen Mundwinkeln verlor sich schon an der nächsten Kreuzung wieder.

Bount hatte die Abzweigung Zur 5th. Avenue erreicht. Er bog ein, doch Denver schien das gar nicht zu bemerken. Nach wie vor wirkte er geistesabwesend. Fast so, als interessiere ihn die Mordanklage erst in zweiter Linie.

Bount Reiniger blieb hartnäckig.

»Gearbeitet haben Sie mit Sicherheit noch keine Sekunde in Ihrem Leben. Werden Sie jetzt von Ihrer Schwester ausgehalten?«

»Von Jeanny?« Sein Lachen war womöglich noch galliger als vorher.

»Sie sind ein Scherzbold, Mister Reiniger. Von meinem Schwesterherz hab ich nie auch nur einen lausigen Cent bekommen. Sie sitzt auf ihrem Mammon wie die Glucke auf den Küken.«

Bount verbarg seine Überraschung nicht.

»Und wie erklären Sie sich dann, dass sie die Kaution spendierte?«

»Vorstreckte«, verbesserte Graham Denver. »Sie bekommt das Geld ja wieder zurück, wenn ich zur Verhandlung erscheine. Doch um Ihre Frage zu beantworten: Ich nehme an, sie tat das aus denselben Gründen, aus denen mir Dad ab und zu ein paar Scheine zusteckte. Sie will keinen Skandal.«

»Den haben wir doch schon.«

Der Blonde überlegte ein paar Sekunden.

»Sie befürchtet vermutlich einen noch größeren, wenn ich richtig auspacke. So mit allen Schikanen, wissen Sie?« Dann wieder dieses verhärmte Grinsen. »Sie will als die liebe Schwester dastehen, damit ich den Mund über gewisse Dinge halte, die wirklich Sache sind.«

»Und was ist Sache?«

»Sie sind zum Schweigen verpflichtet?«

»Nur soweit ich damit kein Offizialdelikt decke.«

»Hm. Von Mord und Totschlag aufwärts, meinen Sie.«

Er schüttelte den Kopf. »Das ist es nicht. In Ihrem Polizeijargon würden Sie unser früheres Verhältnis wahrscheinlich als ein inzestuöses bezeichnen. Brüderlein und Schwesterlein treiben es miteinander. Das ist zwar lange her, aber ich denke, dass auch das ein bisschen verbindet. Mit anderen Worten, wir kennen uns in und auswendig. Und wenn sie sagt, ich habe meinen Vater nicht ermordet, dann stimmt das. Auf ihre Art mag sie mich immer noch, wie ich sie übrigens auch. Sie hat die Hoffnung noch nicht aufgegeben, dass auch aus mir mal ein tüchtiger Mensch wird, ein Geschäftsmann. Sie würde mir unter Umständen sogar einen Kredit gewähren, doch leider weiß sie ganz genau, dass ich mit der Penunze nur bis ins nächste Spielkasino käme. Hab ich Ihre Fragen erschöpfend beantwortet, Boss?«

Bount kaute noch am Gehörten. Doch so verrückt sich Graham Denvers Argumentation auch anhörte, sie klang inzwischen durchaus plausibel in seinen Ohren.

Die Schnauze des SEL bohrte sich der Ecke 5th. Avenue / 68th. East entgegen.

Jeremias Denvers bescheidenes Stadtpalais hatte einen unverbauten Blick auf den Central Park. Allein das Grundstück war unter Brüdern schon seine acht Millionen Dollar wert.

»Fahren Sie weiter!«, drängte der Blonde.

»Ich bin eigentlich kein Taxi, und auch mit mir kommen Sie über Manhattan nicht hinaus. Ihr Bild hängt mittlerweile in jedem Revier und in jeder Mautkabine. Anders hätte selbst Brumer Sie nicht aus der Zelle geholt. Sie wissen doch hoffentlich, dass schon allein der Gedanke an Flucht zwecklos ist.«

»Leider«, brummte Graham Denver. »Andererseits bin ich vollkommen blank. Können Sie mir nicht ein paar Hunderter vorschießen, Reiniger?«

Bount fixierte seinen seltsamen Fahrgast. Jetzt hielt er ihn ebenfalls für keinen Mörder mehr.

»Ich setze sie Ihrer Schwester auf die Spesenrechnung.«

»Sie sind ein wahrhaft guter Mensch, Mister Reiniger.«

Bruderherzchen Graham Denver sagte das offenbar bar jeder Ironie.

Bount Reiniger setzte den Blonden schließlich vor einer kleinen Pension drüben an der Second Ave ab. Weil der East River besonders im Sommer bestialisch stank, waren die Zimmerpreise rigoros gepurzelt. Und kein Einwand kam von Denver.

Auf Bount wirkte er irgendwie fatalistisch. Fast wie einer, der gerade dabei ist, mit dem Leben abzuschließen. Doch nun konzentrierte er sich voll auf sein Büro und June.

Die March war schließlich eine Frau. Und Frauen wollten dann und wann gehätschelt werden.

Jeanny Denvers Strapse hätte er darüber fast vergessen, aber eben nur fast.

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