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Bounts Psychodusche hatte Wunder bewirkt. Butler Henry las ihm förmlich jeden Wunsch von den Augen ab. Lizzy, die schwarze Köchin, versorgte ihn mit einem Frühstück, von dem ein Bürger Manhattans, der meist in Bars und Imbissstuben schnell mal was hinunterschlang, nicht einmal zu träumen wagte.
»Sie sind ein Goldschatz«, lobte Reiniger.
Die breithüftige Mammy strahlte, als habe ihr ein bislang nur aus der Ferne angebeteter Geliebter einen Heiratsantrag gemacht.
»Das müssen Pfannkuchen gewesen sein, wie sie bisher nur im Himmel gebacken wurden.«
»Es hat geschmeckt, Mister?«
»Geschmeckt?« Bount Reiniger schüttelte strafend das Haupt. »Das ist kein Ausdruck.«
Sich den vollen Bauch haltend, stand Bount Reiniger auf. Diese Kalorienbombe war nach dem Clinch mit Jeanny Denver genau richtig gewesen.
»Dann werde ich jetzt wohl an die Arbeit gehen«, meinte er. »Sie begleiten mich doch, Henry?«
»Meine sonstigen Obliegenheiten erlauben mir das, Sir. Ich bin Ihnen gern zu Diensten.«
Sie verließen die Küche.
Die Wirtschaftsräume befanden sich alle im Erdgeschoß. Gespeist wurde im zweiten, und hier befanden sich auch noch so schnuckelige Zimmer wie Empfangssalon, ein TV-Room, ein kleines Schwimmbad, Gästetoiletten und ein Kabuff nur zum Zeitunglesen.
Im dritten Geschoß schließlich waren in lebhafteren Jahren noch die Besucher untergebracht gewesen, hotelmäßig selbstverständlich, und im vierten dann die Privatsphäre derer von Denver.
Die Führung dauerte über eine halbe Stunde.
»Wo lebt eigentlich Missis Madrigan?«
»Miss Madrigan, Sir«, verbesserte Henry. »Wir haben ihr im Erdgeschoß eine kleine Suite gestaltet. Wegen ihres Gebrechens. Das ist Ihnen bekannt?«
»Sie ist gehbehindert und fährt im Rollstuhl. Ist sie auch eine nette Lady?«
Inzwischen glaubte Bount Reiniger, sich diesen vertraulichen Ton gestatten zu dürfen. Wieder lag er richtig damit.
Der Butler keckerte wie ein madagassischer Lemure und beugte sich zu Reinigers Ohr hinüber. Die flache Hand legte er wie einen Schalltrichter an.
»Sie ist ein klein bisschen verwirrt, Sir.«
Damit glaubte er wohl, bereits den Gipfel der Indiskretion erklommen zu haben. Nun streckte er sich wieder und stand steifer als je zuvor. Jeder Zinnsoldat hätte ihn beneiden müssen.
Doch Bount Reiniger interessierte das Thema.
»Ist Lady Philipa Madrigan verrückt, oder ist sie’s nicht? Wir sind doch unter uns«, fügte er hinzu. Und dem Butler schien es Spaß zu machen, einmal aus seiner Rolle schlüpfen zu dürfen. Die Steifheit verlor sich auf der Stelle wieder. Das Keckern setzte erneut ein. Es klang, als habe er Porridge im Mund und müsse gleichzeitig gegen einen Lachkrampf ankämpfen.
Blubb, blubb, blubb.
»Verrückt, Sir?«
Blubb, blubb, blubb.
Butler Henry haute Reiniger auf die Schulter.
»Crazy ist sie! Plemplem! Total durchgedreht!«
Und da merkte der arme Kerl wohl, dass er über das andressierte Verhalten hinausgeschossen war. Er wurde so blass, dass ein Leichentuch wie ein Union Jack gegen ihn aussah.
Und da war Bount es, der ihm freundschaftlich auf die Schulter tätschelte.
»Never mind, Henry. Macht nichts. Nehmen Sie’s bitte nicht so schwer! Sehen Sie, ich kann mich gut in Ihre Lage versetzen. Da wird Mister Jeremias Denver brutal ermordet. Sie bemühen sich um Würde, aber irgendwann muss der Mensch doch mal ausbrechen. Und heute haben Sie’s endlich einmal getan. Was ist schon dabei?«
Bount schaute aus dem vierten Stock in den Patio hinunter. Auf dem Terrakottapflaster waren noch die Kreidestriche zu sehen, mit denen die Leute von der Spurensicherung die Lage des Toten skizziert hatten.
Butler Henry und er standen auf einer Galerie, die den Innenhof quadratisch umgab.
Die Wohnräume begannen um die drei Meter zurückversetzt von einer hüfthohen Balustrade.
Wenn Jeremias Denver Selbstmord begehen hatte wollen, in seinem Alter, dann hätte er ein kleines Trampolin gebraucht, dort zu landen, wo er aufgeschlagen war.
Er musste von einem kräftigen Mann hinuntergeschleudert worden sein. Graham Denver war so ein starker Mann, doch Reiniger hatte ihn als Täter aussortiert. Und die übliche Einbrechertheorie kam auch nicht mehr in Frage nach dem Anschlag draußen beim Fort Tryon Park.
»Wie viele Eingänge gibt’s eigentlich zu diesem Haus, Henry?«
»Zwei.«
»Welchen benutzte Graham in jener Nacht?«
»Keinesfalls den Haupteingang, Sir. Den zu öffnen, steht allein mir zu.«
»Das Personal wohnt im Erdgeschoss?«
»Im Souterrain, Sir.«
»Sie würden mir einen großen Gefallen tun, wenn Sie dieses ,Sir‘ wegließen.«
»Sehr wohl, Mister Reiniger.«
»Und Miss Krugenheim? Diese Krankenschwester?«
»Krankenpflegerin«, verbesserte der Butler in seinem Hang zum Perfektionismus. »Nein, sie wohnt nicht bei uns. Sie hat ein Zimmer neben dem der alten Miss.«
»Könnten Sie mir mal das vom jungen Mister Denver zeigen?«
Der dienstbare Geist des Hauses zog einen Schlüsselbund aus der Tasche. Größer, schwerer und umfangreicher konnte der vom Londoner Tower auch nicht sein.
»Wenn Sie mir bitte folgen wollen, Sir?«
Bount gab es auf. Gegen eingefräste Gewohnheiten war selbst er machtlos.
Der Raum, den Denver jun. als ,Besenkammer‘ bezeichnet hatte, erwies sich als ein Luxusapartment, in dem nur die Küche fehlte. Bount Reiniger fiel lediglich der Mangel an jeder persönlichen Note auf, wenn er davon absah, dass Graham bevorzugtes Getränk offenbar Cognac war. Die Sammlung leerer Flacons wirkte beeindruckend.
Henry rümpfte wieder mal den Zinken.
»Ich werde mit den Leuten von unserer externen Reinigungsfirma ein ernsthaftes Wort wechseln müssen«, meinte er.
Bount interessierte das nicht. Es gab nichts zu sehen. Doch als er auch noch eine Flasche Sherry entdeckte, konnte er nicht widerstehen. Er packte sie am Hals.
»Sie auch ein Gläschen, Henry?«
Weil der Butler zögerte, wartete Bount Reiniger die Antwort nicht erst ab, sondern füllte generös zwei Whiskytumbler.
»Sie haben das falsche Glas, Sir«, mokierte sich der Gent von der Insel.
»Auf den Inhalt kommt es an, Henry, nur auf den Inhalt.«
Der Butler glaubte ihm wohl nicht, den Tumbler nahm er trotzdem. Erst nippte er, dann schüttete er den Stoff auf einen Zug in sich hinein. Ein bisschen hatte der american way of life eben doch abgefärbt.
»Wollen wir uns nicht setzen?«, schlug Reiniger vor. »Ich würde mich zu gern mit Ihnen über den Grad der Verrücktheit dieser Miss Madrigan unterhalten. Sie ist doch eine Schwester der Frau des Verstorbenen.«
»Brutal Ermordeten«, berichtigte Henry erneut. »Ja. Sie genießt hier ein Wohnrecht.«
Danach ließ er sich in einen von Bount zurechtgezogenen Sessel sinken, als nähme er auf einem Karton Eier Platz.
»Ich hätte das nicht sagen dürfen, Sir.«
»Die Wahrheit darf man immer sagen, Henry. Und ich muss nun mal alles wissen. Sie begehen keinen Vertrauensbruch, das verspreche ich Ihnen. Außerdem werde ich mich in ein paar Minuten ohnehin mit ihr unterhalten. Und glauben Sie mir, wenn die alte Lady einen Kuckuck im Oberstübchen hat, dann merke ich das bestimmt.«
Butler Henry griente. Der Sherry schien ihm gutgetan zu haben.
»Sie leidet unter einem religiösen Tick«, meinte er. Und hier verlor sich auch sein Grinsen wieder. »Reverend Caution muss ihr beinahe täglich die Beichte abnehmen.«
»Vielleicht leidet sie auch an unkeuschen Gedanken«, mutmaßte Reiniger.
Unten klingelte es. Henry fuhr hoch.
»Das wird er sein«, sagte er nach einem schnellen Blick auf die Uhr und verzog das Gesicht. »Ich muss öffnen.«
»Sehr begeistert sehen Sie nicht aus, Henry. Sie sind wohl kein Katholik?«