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Die schweren Damastvorhänge waren zugezogen, Gianna und Mama Benedotti aus der guten Stube verbannt. Was Papa Miguele und Sohn Silvio zu besprechen hatten, vertrug keine Weiberohren.
Unverkennbar die konspirative Stimmung. Auf dem Tisch brannte trotz des späten Vormittags eine schwarze Wetterkerze. Vor einer halben Stunde erst hatten die Cops das Haus verlassen.
Ohne jedes Ergebnis waren sie wieder abgerückt.
Sowohl der Alte, als auch sein nunmehr einziger Sohn, hatten sich als Informationsquelle ebenso ergiebig wie die berühmten drei Affen erwiesen.
No – ihnen war dieser Mord ein Rätsel
No – sie hatten niemanden in Verdacht. Mercurio sei stets nichts anderes als ein braver Junge gewesen, der zu den schönsten Zukunftserwartungen Anlass gegeben habe.
Keine bekannten persönlichen Feinde. Nichts. Niente.
Dafür wussten die beiden Benedottis jetzt ein bisschen mehr, denn auch aus Fragen lassen sich Schlüsse ziehen.
»Getta Emme«, knurrte das Familienoberhaupt vor sich hin.
»G.M. Gino Monzarone ... Zu dumm, das sie uns die Lupara nicht gezeigt haben.«
»Ich kann’s nicht glauben, Papa«, meinte Silvio. »Welchen Grund sollte Gino gehabt haben?«
»Er ist aus Tenecoletta. Die finden immer einen Grund.«
»Quatsch, Papa. Gino ist in einer Mansarde an der Henderson Willow Street geboren.«
Ehe Silvio sich’s versah, hatte der Alte ihm schon eine gescheuert mit der schwieligen Hand. Silvios Wange brannte wie Feuer, teilweise auch aus Scham.
Er wagte nicht, die Hand gegen den Vater zu erheben. Von frühester Kindheit war ihm eingeimpft worden, dass man so etwas einfach nicht tat. Die Brüder hatten die Lektion schon mit der Muttermilch eingesogen. Sich dem alten Herrn zu widersetzen war undenkbar, amerikanische Einflüsse hin oder her. Silvio erinnerte sich noch gut an die harten frühen Jahre. Papa hatte es nie leicht gehabt und viel zu oft aufs Essen verzichtet, nur damit die Kinder einigermaßen satt wurden.
Er war damals klapperdürr gewesen, der Papa, hatte im Hafen von New York als Tagelöhner und Scheuermann geschuftet und jeden Cent eisern gespart, bis er schließlich die Autolackiererei aufmachen und vorher seinen Söhnen noch die entsprechende Berufsausbildung ermöglichen konnte.
Ja, sie mussten Papa dankbar sein – für immer.
Und eines Tages hatte selbst Miguele Benedotti bemerkt, dass auch dieses Geschäft keine goldenen Eier legte, der American Dream war ausgeträumt. Seither zog es ihn wieder zurück in die Heimat.
Er nahm dafür stillschweigend in Kauf, dass seine Söhne, sein ganzer ihm verbliebener Stolz, den schleppenden Geschäftsgang dann und wann mit krummen Touren aufmöbelten. Wenn er eines in New York gelernt hatte, dann dies: Hier betrog jeder jeden nach Kräften. Er selbst jedoch wollte mit diesen Sachen nie etwas zu tun haben.
Dafür kümmerte er sich eifrig um die offizielle und inoffizielle Bilanzierung, sowie um die Unantastbarkeit des gemeinsamen Sparstrumpfes.
»Gab’s in letzter Zeit Schwierigkeiten zwischen Mercurio und Gino?«, fragte er dumpf.
Silvio wagte nicht zu lügen, doch ebenso wagte er nicht, die volle Wahrheit zu sagen. Er suchte nach einem Ausweg.
»Wo gibt’s die nicht?«, versuchte er abzuwiegeln.
Doch Miguele Benedotti begnügte sich nicht mit dieser Antwort. Seine raue Stimme wurde schärfer.
»Schwierigkeiten welcher Art? Geschäftliche?«
Beinah war Silvio seinem Vater dankbar für die Eselsbrücke, die er ihm baute.
Er hätte niemals sagen können, dass Gino und Gianna ... Unwillkürlich schüttelte der junge Mann den Kopf.
Mercurio war dem Vater in letzter Zeit immer ähnlicher geworden. Auch bei ihm hatte Silvio allmählich dieses vermaledeite Fußstapfen-Syndrom bemerkt.
Er hatte begonnen, sich als Nachfolger Papas zu fühlen, ein Umstand, der bei aller eigenen Herumvögelei die strenge Aufsicht über die jüngere Schwester einschloss.
Doch das durfte er nicht sagen!
»Geschäftliche Schwierigkeiten?«, nahm Silvio den Faden deshalb dankbar auf. Noch dazu, weil es stimmte.
Gino, der Sohn eines Gemüsehändlers, wollte ehrlich werden und nicht mehr im selben Umfang liefern wie bisher. Doch das war natürlich nie und nimmer ein Grund gewesen, Mercurio deshalb gleich auf die klassische Art über den Haufen zu schießen.
»Si«, knurrte Papa Miguele grimmig. »Bestimmt hat dieser Tenecoletta-Bastard versucht, meinen Mercurio zu betrügen, und er kam ihm auf die Schliche.«
Jede Form der Liebe macht wohl blind.
»Das kann ich nicht bestätigen, Papa. Nur vertrugen sie sich in letzter Zeit nicht mehr so gut wie früher.«
Miguele Benedottis harte Faust krachte auf den Tisch. Die Blumenvase hüpfte zur Seite und zerklirrte auf dem Boden. Der Alte registrierte nichts. Seine von Entbehrungen gezeichneten Züge verfinsterten sich noch mehr.
»Das reicht den Monzarones schon als Grund. Brauchst sie nur mal schief anzusehen, schon fahren sie aus der Haut. Das kenne ich. Sein Alter, dieser Trottel Carlo, ist genauso. Kürzlich hat er unserer Mama halbverwelkten Salat und fleckige Bananen angedreht. Er weiß natürlich genau, dass sie nicht mehr so gut sieht wie früher.«
»Aber ihr wart doch mal befreundet!«
Miguele Benedotti winkte mit einer wegwerfenden Geste ab.
»Das war eine andere Zeit. Gleich nach unserer Überfahrt. Und ich bereue das heute noch. Wenn dieses verfluchte Geld nicht gewesen wäre ...«
Er beendete den Satz nicht.
Wahrscheinlich wäre ihm das auch sehr schwer gefallen, denn Vernunftgründe konnte er kaum anführen. Doch sein Zorn wuchs von Minute zu Minute.
Er redete sich zunehmend in Rage.
»Trotzdem hab ich ihm von Anfang an misstraut. Und Gino, diese Natter, ist Rinde vom selben Stamm. Ein Dieb! Wie konnte ich ’s nur dulden, dass sich die beiden befreundeten! – Naja«, fügte er bitter hinzu. »Jetzt bekamen wir ja die Quittung serviert.«
»Was willst du tun, Dad!«
»Nenn mich nicht Dad, verdammt! Die Carabinieri sagten, dass sie keine Fingerabdrücke an der Waffe gefunden hätten. Aber, wir beide wissen, wer’s war!«
»Gino? Das kann doch nicht dein Ernst sein!«
»Natürlich ist das mein Ernst. Oder wüsstest du sonst jemanden, zu dem Mercurio mitten in der Nacht in den Hackensack-Sumpf gefahren wäre, um ihn dort zu treffen, eh? Wo er doch obendrein noch einen Termin mit dieser bella bionda aus Manhattan hatte, die ihm immer so schöne blaue Augen machte, groß wie von einer Kuh?«
Miguele Benedotti erwartete weder Antwort noch Einwand. Er griff in die Hosentasche. Mit dem Streichholzheftchen kam die abgearbeitete, wettergegerbte Pranke wieder.
Wortlos zupfte er zwei Hölzchen heraus, biss einem den braunen Kopf ab und ließ dann beide mit den glatten Enden zwischen den Fingern herausstehen.
»Zieh!«, befahl er. »Du oder ich. Wir erledigen das auf unsere Weise. Und ’ne Lupara haben wir auch ...«
Silvio Benedotti erschrak bis ins Mark.
»Du willst doch nicht ...?«
Der Alte sah aus, als wäre ihm ein Felsblock vom Herzen gefallen, obwohl sein Mund immer noch verkniffen wirkte.
Er nickte. »Wir erledigen das auf die Art der Väter. Zieh endlich. Oder willst du mir sagen, ich hätte einen Feigling großgezogen?«
Silvio gehorchte.
Dann hielt er schließlich das kürzere Streichholz zwischen den vibrierenden Fingern. Es fühlte sich an, als sei es aus weißglühendem Stahl.