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Als Bount aus seinem angejahrten 450 SEL stieg, neigte der Tag sich schon dem Abend zu.
Aus der Werkstatt im Erdgeschoss klangen Hammerschläge und das Zischen von Sprühdüsen. Es roch intensiv nach Nitro und Farbe.
Im ersten Stock brannte bereits Licht. Eine füllige Frau bewegte sich geschäftig vor dem Fenster hin und her. Ab und zu hob sie die Schürze vors Gesicht. Ihre Schultern zuckten.
Die Wohnung hatte einen separaten Eingang, Die Tür war unverschlossen. Eine steile, schmale Treppe führte hinauf. Es roch nach Knoblauch und Zwiebeln mit einer Prise Oregano.
Reiniger fiel ein, dass er seit dem Morgen nichts mehr gegessen hatte.
Die Stufen knarrten unter seinem Gewicht. Bount brauchte, nicht zu klingeln. Vor ihm stand der Schattenriss einer breiten Gestalt mit schütterem, aber immer noch dunklem Haar. Die Andeutung eines Schnauzbarts zerschnitt das runde Gesicht in zwei Hälften.
»Disturbol«, fragte Bount Reiniger. »Störe ich?«
Miguele Benedotti fiel auf Bounts schauderhaftes Italienisch natürlich nicht herein.
»Wer sind sie?«, meinte er unfreundlich in seinem nicht weniger schauderhaften Englisch. »Ein Bulle?«
»Wollen Sie mich nicht erst eintreten lassen?«
»Also doch von der Policia.«
Bount Reiniger berichtigte ihn nicht.
»Ich hab heute früh schon alles gesagt.«
Er wollte die Tür wieder schließen, doch da war Reiniger schon dicht neben ihm und schob ihn mit sanftes Gewalt in die Diele. Der Mann war viel zu verblüfft, um sich zu wehren.
Er grunzte nur. Und nun konnte Bount sein Gegenüber auch richtig sehen.
Er stand vor einem deutlich kleineren Burschen mittleren Alters, knapp über fünfzig vielleicht, der mit den Jahren etwas füllig geworden war, jedoch immer noch stämmig und kraftvoll wirkte.
Unverkennbar, dass Miguele Benedotti sein ganzes Leben hart gearbeitet hatte.
Unter dem karierten Flanellhemd schwollen noch die Muskeln. Seine Hände glichen Kohlenschaufeln. Die dunklen Augen lagen tief unter buschigen Brauen, die einen dicken Stirnwulst nach unten abschlossen.
Insgesamt machte der Sizilianer auf Bount nicht den schlechtesten Eindruck. Nur etwas verbindlicher hätte er schon dreinschauen können.
Doch Benedotti senior dachte gar nicht daran. Er ballte vielmehr die Schaufeln zu Schmiedehämmern.
Schnell zog Bount Reiniger eine Visitenkarte aus dem Jackett.
»Bount Reiniger«, stellte er sich vor. »Privatdetektiv. Ich komme im Auftrag einer jungen Lady, der Ihr Schicksal sehr nahegegangen ist. Sie war erst gestern bei Ihnen.«
Die buschigen Brauen ruckten so hoch, dass die Stirn zwischen ihnen und dem Haaransatz fast verschwand.
»Miss March?«
Reiniger brauchte nicht zu befürchten, erkannt zu werden. Erstens hatte June aus guten Gründen nicht erzählt, was sie beruflich trieb; sie wäre sonst kaum in die Kundenliste der Benedottis aufgenommen worden, und dann war der damalige Tippgeber der jetzige Tote gewesen.
»Ja. Miss March. Sie sorgt sich sehr und bedauert, nicht selbst vorbeisehen zu können, um Ihnen und Ihrer Frau zu kondolieren.«
Bount verbeugte sich höflich. »Hiermit tue ich das in ihrem Auftrag.«
Der Sizilianer staunte immer noch.
»Und dazu schickt sie einen Privatdetektiv? Aber folgen Sie mir doch erst mal ins Wohnzimmer.« Er schlurfte voraus. Seine Füße steckten in dicken, ebenfalls karierten, Filzpantoffeln.
Die altmodische, fünfflammige Deckenbeleuchtung aus den mittleren fünfziger Jahren ging an. Spitzendeckchen, so weit das Auge reichte. Sie lagen überall. Auf der abgedeckten Nähmaschine, auf der Kommode und über den Sessellehnen, sogar noch auf dem klobigen Schrank aus dunkel gebeizter Eiche. Der Raum strahlte wie sein Bewohner Gediegenheit aus.
Trotzdem ließ Bount sich nicht täuschen. Miguele Benedotti konnte im Zorn ein durchaus ernst zu nehmender Gegner sein.
»Wollen Sie sich nicht setzen? Ein Glas Wein?«
Reiniger glaubte ein plötzliches Misstrauen aus seiner Stimme herauszuhören, doch ihm war kein besseres Entree eingefallen.
Jetzt sah er ein, dass es sich möglicherweise gelohnt hätte, länger darüber nachzudenken..
Der Sizilianer zog einen Stuhl zurecht, den Wein lehnte Reiniger dankend ab. Wer schon am Vormittag trinkt, sollte abends nicht auch noch saufen.
»Was veranlasst Miss March dazu, mir einen Detektiven ins Haus zu schicken?«
Der Alte hatte den schwachen Punkt an Bounts Story nach einigem Anlauf erkannt
»Sie müsste wissen, dass wir das nicht wünschen.«
Bount Reiniger lächelte gewinnend. »Es ist so«, erklärte er. »Wir kennen uns eher privat, wenn auch nicht näher. Und als sie mir von Ihrem Unglück erzählte, schaute ich eben mal unverbindlich vorbei.«
Bount verwandelte sein Lächeln in ein um Verständnis heischendes Grinsen.
»Meine Detektei existiert noch nicht lange, müssen Sie wissen. Da bin ich für jeden neuen Klienten dankbar.«
Schon wieder ein Fehler.
Benedotti senior sprang auf. Der muskelbepackte Arm wies unmissverständlich zur Tür.
»Raus!«, brüllte er.
Bount Reiniger reagierte wohl nicht rasch genug, denn auf einmal fühlte er sich am Kragen gepackt und hochgerissen. Die Rückennaht seines Fünfhundert-Dollar-Sakkos platzte auf wie ein alter Mehlsack. Und da wurde nun auch Reiniger unwirsch.
Wollte er so einem alten Knacker ’ne Freude machen, und jetzt das! Eigentlich handelte er ja mehr im Reflex. Er schätzte es eben nicht, wenn einer ihn so rau anfasste. Das Jackett konnte er zur Trophäensammlung der im Dienst ruinierten Anzüge werfen. Ein halber Riese im Eimer, nur weil sich so ein sizilianischer Raufbold nicht beherrschen konnte!
Bounts Ellbogen gerieten nach der Art von Pleuelstangen einer Hochleistungslok in Bewegung, was Miguele Benedottis Bauchfell nicht bekam. Es dröhnte wie eine Buschtrommel.
Der Griff um den Kragen lockerte sich. Reiniger wirbelte herum, wollte sein Werk zum Abschluss bringen. Ein kräftiger Nasenstüber sollte reichen.
Doch es zeigte sich, dass der Sizilianer seine Zeit als Dockarbeiter nicht nur mit dem Löschen von Frachtgut, sondern wohl auch mit einigen deftigen Keilereien verbracht hatte.
Er war behände wie ein Punching Ball zurückgesprungen.
Die Fäuste rückten in Angriffsstellung. Das kantige Kinn deckte er geschickt ab, der andere Hammer kreiste angriffslustig vor der behaarten Brust. Bestimmt hatte er sich in jüngeren Jahren auch in Boxschulen herumgetrieben.
»Va bene, Americano. Jetzt schlag ich dich zu Brei.«
»Danke, gleichfalls«, knurrte Bount, weil der Sizilianer auch sein Versprechen auf italienisch abgegeben und Bount Reiniger es nicht verstanden hatte.
Gleichzeitig schoss Reinigers Bein vor, denn er wollte gar nicht boxen. Er traf richtig.
Sein Gastgeber jaulte auf, die Fäuste sanken nach unten. Damit war die Deckung erfolgreich geknackt.
Bount rückte näher, auf Handkantenschlagweite ungefähr, und setzte die Rechte gegen den bulligen Hals.
Der Sizilianer taumelte zum Tisch. Im Hause Benedotti ging die zweite Vase des Tages zu Bruch.
Ein schriller Schrei.
Im offenen Türrahmen stand die Signora, füllte ihn aus bis zum letzten Winkel. Sie zur Seite zu schieben, war viel schwieriger als vor ein paar Minuten ihren Mann.
»Ich wollte keinen Wein trinken«, entschuldigte sich Bount Reiniger lahm. Dann war er in der Diele.
»Hasta la vista«, sagte er im Gehen.
Erst auf der Treppe fiel ihm auf, was er da eben gesagt hatte.
»Oje«, murmelte er stolz. »Spanisch kann ich also auch noch.«