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Frascatello, Sandro, weiß, etwa dreißig, dunkelblond, sportlich. Kein geregeltes Einkommen, jedoch immer flüssig. Er fuhr einen Mitsubishi Starion neuester Bauart. Farbe rot.
Der Mann, der am Abend das Haus York Street l34 betrat, war dezent gekleidet.
Ein Farbspray versetzte seinem braunen Haar eine paar graue Strähnen. Dann noch eine dunkle Sonnenbrille auf der Nase und eine kalte Pfeife im Mund.
Er gedachte nicht zu rauchen.
Er nahm das lange, schmale Lederköfferchen vom Rücksitz.
Dem Geigenkasten a la Chicago ähnelte es nicht, war jedoch ähnlichen Inhalts.
Die Portiersloge war noch besetzt. Ein kurzsichtiger alter Mann fixierte ihn, fragte nach seinem Namen.
»Den verrate ich Ihnen nicht, werter Herr«, meinte der gepflegte Gast in einem überaus gepflegten Englisch. Jedenfalls hatte seine Aussprache jenen Touch von Wall Street, der Kleinverdienern so viel Respekt einflößt.
»Unter diesen Umständen kann ich Sie nur verbinden«, bedauerte der Alte, der hier seine Pension aufbesserte. Vor ihm auf dem Tisch im Glaskasten lagen zwei Käsebrote und zwei tote Fliegen auf der Alufolie. Vielleicht waren die Stullen mit einem Limburger belegt.
»Tun Sie, was Sie nicht lassen können, aber beschreiben Sie mich bitte.«
Der nächtliche Besucher trug einen feinen Kamelhaarmantel und einen Kaschmirschal.
Der Binder war aus Chinaseide, ebenso das Oberhemd.
»Zelle eins, bitte, Sir.«
Der Mann durchquerte das Foyer gemessenen Schrittes. Als er die Kabine neben den Fahrstühlen erreichte, klingelte bereits der Apparat. Er hob ab.
»Mister Frascatello?«
»Und Sie?«
»Bitte tun Sie mir den Gefallen und befleißigen Sie sich eines Umgangstons, wie er unter Gentlemen üblich ist. Ich habe Ihnen etwas auszuhändigen. Persönlich, da das Gerät einer Einweisung bedarf, die telefonisch leider nicht möglich ist.«
»Ich lass keinen Unbekannten mehr zu mir rauf, zum Teufel.«
»Und ich bedauere Ihre krude Ausdrucksweise sehr, Mister Frascatello. Sollten wir uns wirklich so in Ihnen getäuscht haben? Das würde natürlich auch die Auflösung, unserer Geschäftsbeziehungen bedeuten. Sie sollten sich künftig sehr vor Unfällen hüten, Mister Frascatello. Einen schönen Abend noch.«
Der Fremde hängte kaltblütig auf, verließ die Kabine und legte die Strecke zur Portiersloge im selben Tempo wie auf dem Hinweg zurück.
Er war noch nicht ganz dort, als es im Glaskasten bimmelte.
Er ging vorbei, als habe er nichts gehört. Nicht einmal den alten Pförtner schaute er mehr an.
Er hatte den Eingang noch nicht erreicht, als der aufgeregt aus seinem Kabuff gestürmt kam.
Er schleppte eine Beinprothese hinter sich her und humpelte wie eine Spinne, der ein böses Kind die Hälfte der Gliedmaßen ausgerissen hatte.
»Sir! Sir! Bitte warten Sie!«
Der gelackte Gent drehte sich in Zeitlupe um.
»Was wollen Sie noch von mir, werter Herr?«
»Mister Frascatello empfängt jetzt doch.«
»Wie schön für ihn«, sagte der Mann mit Koffer laut genug, dass der sportliche Mitsubishi-Fahrer ihn gerade noch verstehen konnte, denn der Portier hatte den Hörer mit herausgezogen. »Leider empfinde ich – offen gestanden – nicht viel Sympathie für Wankelmut.«
Aus dem Hörer schien es zu schreien. Der Pförtner hielt ihn weiter weg vom Ohr.
Und dann: »Mister Frascatello würde auch herunterkommen, wenn Sie es wünschen.«
Der Mann mit den künstlich angegrauten Schläfen schaute betont umständlich auf seine Omega Granit mit Quarzwerk und Platinzeigern.
Schließlich seufzte er wie ein leidgeprüfter Priester, der auf diese Weise seine Gottergebenheit kund tun will.
»Na gut. Sagen Sie dem Gentleman, dass ich eine Ausnahme mache. Welches Apartment?«
»Achthundertzwölf, Sir.«
Stolz wie ein Rudel Pfauen auf ’ner Parade ging der Fremde auf die Liftkabinen zu und surrte nach oben.
Frascatello erwartete ihn bereits im Flur. Topfpflanzen gaben der Etage das Flair eines von Gärtnerhand gepflegten Dschungels.
»Hallo! Mister! Hier bin ich.«
»Das lässt sich nicht leugnen. Bitte bestimmen Sie, wer zuerst eintritt.«
Frascatello druckste eine Weile herum.
»Gehen Sie bitte voraus«, sagte er dann, »Sie werden vermutlich wissen, warum.«
Der nächtliche Besucher nickte huldvoll und trug sein Köfferchen durch die Diele in den Wohnraum.
Die Spuren einer menschlichen Karambolage waren noch nicht restlos beseitigt. Grüne Spritzer an der Wand; feine Scherben auf dem Berberteppich. Zerbrochene Spiegel.
Selbst ein Laie hätte erkannt, dass sich hier ein paar Leute vor Kurzem heftig in den Haaren gelegen hatten.
»Bedauere«, meinte der Mann, »doch das ist nicht meine Abteilung. Falls Sie irgendwelche Unbequemlichkeiten gehabt haben sollten, wenden Sie sich bitte an die entsprechenden Gremien. Ich komme aus ganz anderen Gründen.«
»Entschuldigen Sie die Unordnung. Aber ich wusste nicht, dass ...«
»Die Mitarbeiter meines Stabes pflegen sich nicht anzumelden. Und es macht auch wenig Sinn, wegen meines Besuchs bei den Ihnen bekannten Adressen nachzufragen.«
Der hochgewachsene Fremde kicherte vornehm hinter vorgehaltener Hand.
»Wir sind das FBI unserer Gruppierung, wenn Sie so wollen.«
Er wurde sofort wieder ernst, als wäre das des Humors schon zu viel gewesen. Danach legte er den länglichen Koffer ab und ließ sich aus dem Mantel helfen. Die Sonnenbrille behielt er auf.
»Wir kennen Ihr Problem, Mister Frascatello. Und es tut uns aufrichtig leid, dass es sich offenbar nicht nach Ihren Vorstellungen lösen ließ. Mir persönlich gefiel die Idee, jene beiden Familien, die hier in Hoboken den Markt mit entlehnten und unkenntlich gemachten Fahrzeugen beherrschen, ausgezeichnet. Auch sagt mir, wieder rein persönlich, der Vertriebsweg der Benedottis und Monzarones sehr zu. Wie schade, dass sie sich als so sperrig erwiesen!«
Der Besucher setzte sich in den von Sandro Frascatello zurechtgerückten Sessel.
»Andererseits trauen wir Ihnen zu, dass Sie durchaus in der Lage wären, dieses System nicht nur zu übernehmen, sondern es sogar noch zu optimieren. Wir setzen da die allergrößten Hoffnungen in Sie.«
Der Autoknacker stand baff. Er wagte mit keinem Wort zu unterbrechen.
Der Mann klappte sein Köfferchen auf.
»Sehen Sie«, sagte er, »das ist ein Mannlicher Präzisionsgewehr mit einem perfekt justierten Zielfernrohr. Zerlegt sieht es, zugegeben, nicht sehr beeindruckend aus. Doch Sie werden Ihre helle Freude daran haben, wenn ich mit meiner kleine Demonstration fertig bin. Ich werde Sie jetzt im Zusammenbau und dem Gebrauch dieser herrlichen Waffe unterweisen. – Ich langweile Sie doch nicht, Mister Frascatello?«
»Nein! Natürlich nicht!«
»Nun. Dann fahren wir denn fort. Das Zielfernrohr ist eine Fünfzig mal Fünfzig Zeiss-Optik. Unbrauchbar bei Nacht und bei Dämmerung, doch unschlagbar bei Tageslicht.«
Der Besucher, ganz offenbar ein Abgesandter der Organisation, hielt die Röhre hoch, als sei sie ein unendlich wertvolles Kleinod.
Danach begann er die Waffe zusammenzusetzen, baute sie wieder auseinander und forderte Frascatello auf, es selbst zu versuchen.
Mit Akribie korrigierte er jeden falschen Handgriff.
Fast eine halbe Stunde verging darüber.
Der Fremde lächelte.
»Ich muss sagen, Sie sind ein gelehriger Schüler. Sie werden einen vollen Erfolg mit diesem Präzisionsgerät verbuchen.«
»Sie haben mir noch gar nicht gesagt, was ich damit machen soll.«
Der Fremde schmunzelte.
»Sie haben Humor. Das freut mich. Mit einer Gabel isst man, nicht wahr? Und mit einem Gewehr putzt man sich die Zähne, ha, ha. Nein, meine Gruppe möchte das Monopol. Mercurio Benedotti, den Sie ja dankenswerterweise bereits eliminiert haben, verkaufte entschieden zu billig, wobei ich an seiner Modellpalette an sich nichts auszusetzen habe. Günstigen Einkauf im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Vielleicht sollten Sie sich diesen Slogan merken, Mister Frascatello.«
Danach wechselte dieser seltsame Unheilige scheinbar abrupt das Thema.
»In drei Tagen findet in der Santa Anna Cathedral eine Trauung statt. – Sie haben davon gehört?«
»Gino Monzarone und die Kleine vom alten Benedotti. Ich kann’s immer noch nicht glauben.«
»Ein Kind ist unterwegs, Mister Frascatello. Die Eltern wollen nicht, dass es unehelich geboren wird. Um von dem Makel befreit zu bleiben, ein sorgsam erzogenes, sizilianisches Mädchen habe schon vor der Ehe den Geschlechtsverkehr ausgeübt, einigte man sich auf das kleinere Übel und hielt die Trauerzeit nicht ein. Später kann das Kind dann immer noch als eine Frühgeburt dargestellt werden. – Also seien Sie verständnisvoll, Mister Frascatello, warten Sie das Ende der Zeremonie ab, damit das Kind einen ehrlichen Namen bekommt. Wir wollen unnötige Erschwernisse vermeiden. Doch wenn das Paar das Gotteshaus verlässt, werden, Sie schießen. Zweimal. Einmal auf den glücklichen Bräutigam und einmal auf dessen Schwager. Die günstigste Position für Ihren Anstand werde ich Ihnen am Schluss überreichen. Sie erhalten eine detaillierte Karte, um jedes Missverständnis auszuschließen.«
Das Mannlicher war wieder zerlegt. Der Instrukteur klappte den Deckel zu, ließ sich seinen Kamelhaarmantel reichen, und förderte eine Schachtel von der Größe einer Kaugummipackung zutage.
»Ihr Gewehr verschießt .22er Kaliber. Nichts Besonderes, werden Sie jetzt sagen. Doch das Geheimnis des Erfolgs liegt an der Munition. Hier haben Sie zwei Hochbrisanz-Patronen. Sie verlassen den Lauf mit einer Geschwindigkeit von sechstausendvierhundert Metern in der Sekunde und töten durch Schock.«
Er griff in die andere Tasche.
»Und das ist normale Munition, wie Sie sie in jedem Warenhaus kaufen können. Ich übergebe sie Ihnen für Übungszwecke, wenn Sie das für nötig halten sollten. Und noch einen guten Rat zum Schluss, junger Freund: Nehmen Sie trotz der Güte unseres Zielgeräts nicht die Köpfe ins Fadenkreuz. Das ist zu unsicher. Eine unvermutete heftige Bewegung, und schon ist Ihre Mission gescheitert. Halten Sie auf die Oberkörper. Sie sind größer. Und wie schon gesagt: Nicht das Kaliber tötet, sondern die Geschwindigkeit. Doch jetzt muss ich mich verabschieden, Mister Frascatello.«
»Was geschieht mit dem Gewehr, wenn der Auftrag erledigt ist?«
»Hab ich das nicht erwähnt? Es geht in Ihren Besitz über. Als Erinnerungsstück sozusagen. Als Symbol für den Start einer hoffentlich sehr erfolgreichen Karriere.«
»Ich danke Ihnen, Mister ...«
»Es reicht vollkommen, wenn Sie Sir sagen, Mister Frascatello. – Nun möchte ich Ihnen noch alles nur erdenklich Gute für Ihr künftiges Leben wünschen. Beherzigen Sie all meine Ratschläge, und sämtliche Tore in unserer kleinen, aber feinen, Organisation stehen Ihnen offen.«
»Und wenn ich versage?«
»Ich bitte Sie, Mister Frascatello! Wer sollte dann noch dieses wunderschöne Präzisionsgewehr bewundern ...«