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Dam-dadadam, Dam-dadadam, spielte die Orgel in der St. Anna Cathedral den Hochzeitsmarsch.

Mama Benedotti und Mama Monzarone heulten Rotz und Wasser um die Wette.

Mama Benedotti heulte noch ein wenig mehr, denn vor vier Tagen erst hatten sie Sohn Mercurio auf dem Friedhof nebenan geweihter Erde übergeben.

Die Signori Miguele und Carlo fungierten als Brautführer. Alles war ergreifend, und doch zogen die beiden Männer grimmige Mienen. Keiner konnte sich erinnern, dass je eine aus Sancara einen aus Tenecoletta geheiratet hätte, oder umgekehrt.

Nun, jetzt war das Unglück geschehen, und manchmal warf Miguele Benedotti Bount Reiniger Blicke zu, als wäre er es, der die Tochter entehrt hatte.

Braut und Bräutigam jedenfalls leuchteten vor Glück wie Halogenscheinwerfer, obwohl die Predigt des greisen Pfarrers eine Ewigkeit dauerte.

Gino hielt die Hand Giannas so innig umfasst wie den Zündschlüssel eines Lamborghini. Dann wurden die Ringe gewechselt.

Gäste waren in geringer Zahl zugegen. Die sizilianischen Nachbarn wollten die Ungeheuerlichkeit dieser Trauung nicht durch ihre Anwesenheit mildern.

Doch der Entschluss der beiden alten Herren stand mittlerweile ohnehin fest. Sie würden den Enkel noch abwarten, und dann nichts wie ab in die Heimat.

Silvio war alt und clever genug, die Lackiererei allein zu führen. Und Gino sollte, zusammen mit seiner jungen Frau, den Gemüseladen an der Henderson Willow Street übernehmen.

Nur um die Mitgift wurde noch gefeilscht, doch war beiden Oldtimern klar, dass sie deswegen nicht wieder eine Omerta anzetteln würden. So viel hatten sie in den letzten paar Tagen immerhin gelernt.

Bount stand in der letzten Reihe neben June, die Orgel stimmte Händels Largo an. Das wiederum klang sehr traurig, doch Mama Magdalena hatte darauf bestanden, dass auch Mercurio etwas von diesem Festtag haben sollte.

Schließlich war auch diese Feierlichkeit überstanden, das Brautpaar wandte sich um. Gravitätisch in den Angeln kreischend öffnete sich das Kirchenportal wie das Tor zum Himmel.

Und draußen wartete schon der Killer.

Bount Reiniger hatte das Dach des gegenüberliegenden Fabrikgebäudes unauffällig beobachtet und nichts entdecken können. Hoffentlich hatten die von Lieutenant Ron Myers besorgten Cops mehr Glück. In seinem Smoking konnte er ja schlecht im rostigen Gestänge herumklettern.

Die Brautführer traten zuerst ins Freie. Bount drückte sich an ihnen vorbei. Hoffentlich ging alles gut.

Der Lageplan, den er Sandro Frascatello in seiner Verkleidung als Abgesandter einer unbekannten Verbrecherclique zum Abschied in die Hand gedrückt hatte, sah vor, dass er als den günstigsten Punkt ein Gerüst wählte, von dem aus er den gesamten Kirchenvorplatz bestreichen konnte.

Selbst die Fluchtroute war schon eingezeichnet. Dort bezogen inzwischen Ron Myers’ Helfer Stellung.

Bount hatte den Lieutenant als einzigen der Cops eingeweiht. Sogar June war ahnungslos.

Nun kamen Bräutigam und Braut den Mittelgang entlang, hinter ihnen Silvio samt Freundin. Mama Benedotti und Mama Monzarone kämpften gegen die Schwierigkeit an, die Kirche ebenfalls nebeneinander zu verlassen. Sie fühlten sich bereits als Freundinnen, hatten sie doch ihre gemeinsame Vorliebe für Gehäkeltes und Nippes entdeckt und bereits Kochrezepte ausgetauscht.

Und nun fielen auch die Schüsse, doch leider kamen sie aus einer ganz anderen Richtung, nämlich aus der leeren Fensterhöhle einer zerbröselnden Wohnruine neben der Fabrik.

Gino Monzarone warf als erster die Arme hoch. Das Schreien besorgte seine frisch angetraute Gemahlin.

Die Freundin Silvios schloss sich Giannas Beispiel an, Silvio dem des Schwagers.

Eigentlich hätte Sandro Frascatello jetzt schon auf frischer Tat ertappt und in den Polizeigriff genommen sein müssen.

Wie hätte er auch ahnen sollen, dass die »Spezialpatronen« Hartgummi auf die halbwegs ungefährliche Reise schickten und die beiden Opfer kugelsichere Kevlaranzüge unter ihren dunklen Anzügen trugen.

Ron Myers tauchte drüben auf dem Fabrikdach auf und wirkte selbst noch auf diese Entfernung hilflos.

Er machte Zeichen wie ein Eulenmann vor dem zur Abfertigung rollenden Flugzeug.

Die Festgäste fegten durcheinander, denn recht ordentlich geknallt hatten auch die Gummigeschosse.

»Verflucht!«, knurrte Reiniger. »Da ist was schiefgelaufen.« Er hatte die Braut beiseite gedrückt und sich über Gino gebeugt »Die Show ist vorbei, Junge. Jetzt wird’s ernst. Ron hat nur drei Kollegen mitgebracht, und die sind zu weit weg.«

Der ehemalige Autodieb war plötzlich keine Leiche mehr und rappelte sich mühsam auf. Diese kugelsicheren Westen waren gar nicht so leicht.

Auch Silvio hatte wohl mitbekommen, dass da etwas nicht mehr ganz nach Plan lief, und kam hoch.

Er suchte Bounts Blick.

»Sie haben es nicht, dieses Schwein? Dann hab ich die letzten zwei Stunden in diesem verdammten Ding umsonst geschwitzt? Porca miseria! Das soll er mir büßen!«

Eine beispiellose Jagd begann.

Die Festgäste wie Hühner und Gänse auseinandertreibend, überquerten Bount, Bräutigam und Schwager den Kirchenvorplatz.

Bount Reiniger hatte die Mündungsblitze gesehen, im zweiten Fenster oben rechts.

Auf einmal bleib er wie angewurzelt stehen. Noch einmal schob sich der Lauf des Mannlicher Präzisionsgewehrs über das Sims.

Sandro Frascatello dachte gar nicht daran, blind die Flucht zu ergreifen.

Er hatte nachgeladen!

Bestimmt nicht mit Platzpatronen, sondern mit der echten Munition, die nur zum Üben bestimmt war.

Reiniger riss die 38er aus der Holster, warf sich flach auf den Boden.

»Nieder! Hinlegen! Sofort!«, brüllte er.

Heiß zirpte die erste Stahlhummel über seinen Rücken, schlug dann Funken aus dem Pflaster.

Doch dem zweiten Geschoss folgte ein Schrei, und diesmal gab’s vermutlich einen wirklichen Grund.

Wenn Frascatello gut war, brauchte er weniger als fünf Sekunden, um die Mannlicher nachzuladen. In dieser Zeit kamen sie höchstens zehn Schritte weit. Doch etwa dreißig waren es noch bis zum Abbruchhaus.

Bount kam sich vor wie im Krieg. Nur fehlten hier die Schützengräben.

Deshalb blieb Bount Reiniger, wo er war, nahm die 38er in beide Hände und zielte genau.

So gern er es vermieden hätte, auf einen Menschen anzulegen, doch hier musste es wohl sein.

Fehlte nur noch, dass Frascatello auf den Gedanken kam, die versammelte Festgemeinde als seine Geiseln zu betrachten und Forderungen zu stellen.

Entweder es gab Gedankenübertragung, oder nicht. Wenn nein, dann war der geschniegelte Italiener ebenfalls ein ausgefuchster Hund.

Sehen ließ er sich nicht mehr, aber .hören.

»Der da mit der Pistole! Er soll sie sofort wegwerfen! Ich schieße sonst die Braut über den Haufen!«, gellte es über den Platz.

Sandro Frascatello hatte die Stellung gewechselt. Bount fand kein Ziel.

»Mister Reiniger ...«

In Ginos Stimme zitterte die Angst.

»Schon gut«, knurrte Bount.

Es war gar nicht gut. Er warf die Waffe zur Seite. Sie schlitterte über das Pflaster. Wenigstens hatte der Italiener ihn nicht erkannt, doch darauf kam’s nun auch nicht an.

Immerhin musste er bemerkt haben, dass er mit seinen »Spezialpatronen« ganz fürchterlich geleimt worden war.

Seine Laune verbesserte das nicht. Er zeigte sich jetzt ein Fenster weiter und zielte keineswegs auf die Braut, sondern auf Bount Reiniger.

»Teufel! Dich hab′ ich schön mal gesehen. Du bist ...«

June, dieses wundervolle Mädchen.

Sie hatte darauf bestanden, dass er zwei Automatics einsteckte. Auch wenn sie bisher sonst nichts wusste, so verließ sie sich doch auf das Gespür.

Ihr Chef arbeitete mit allen Tricks, das zumindest war ihr hinreichend bekannt. Sie hätte sich ihn als herkömmlichen Heiratsvermittler auch nicht vorstellen können.

Bounts sogenannte gute Taten wuchsen sich zu oft in knallharte Geschäfte aus. Er hatte nichts zu verschenken, und sie selbst bezog ein mittleres Managergehalt. Der gute Mann musste also ganz schön ran.

Wenn’s darauf ankam, zog Reiniger so schnell wie ein Westernheld. Während er zwei Drehungen über den Platz wirbelte, zog er die Ersatz-Automatic aus dem Hosenbund.

An die Harmonie von Kimme, Korn und Frascatello war unter diesen Umständen natürlich nicht zu denken. Bount schoss nach Gefühl.

Das Mannlicher-Gewehr kippte aus der Fensterhöhlung. Schon wieder ein Verlustposten mehr. Allein das Zielfernrohr hatte 448 Dollar und 50 Cent gekostet.

Frascatello griff zum Loch in der Schulter und hatte keine Lust mehr, weiterhin wüste Drohungen auszustoßen. Er zog sich lieber zurück.

Bount gebärdete sich wie eine Sprungfeder. Schon war er auf den Beinen und hetzte auf das Gebäude zu.

Mit ihm hatten auch Gino und Silvio wieder Blut geleckt. Sie ließen es sich nicht nehmen, ihm auf dem Fuß zu folgen.

Gemeinsam stürmten sie den alten Bunker. Über ihnen tappten schwere Schritte.

Sandro Frascatello war erheblich angekratzt, seine endgültige Überwältigung nur mehr eine Frage der Zeit.

Hinter ihnen lärmten die Hochzeitsgäste. Irgendeiner war geistesgegenwärtig genug, in die nächste Telefonzelle zu stürzen. Schon jetzt heulten die Sirenen eines Krankenwagens heran. Das Three Gardens Hospital war gerade einen Steinwurf entfernt.

Reiniger nahm vier Stufen auf einmal, als er die Treppe hinaufrannte. Er zerriss ein paar Spinnweben dabei. Das bedeutete, dass der schöne Sandro auf einem anderen Weg gekommen war. Er sah ihn gerade noch in den hinteren Teil der Ruine entwischen. Blutstropfen hätten ihm auch so den Weg gewiesen. Der Italiener »schweißte«, wie der Waidmann sagt.

Doch den »Fangschuss« verpasste Bount ihm nicht.

Den linken Arm an den Bauch gepresst, hangelte sich Frascatello eine Feuerleiter hinunter, Grauen verzerrte seine Züge.

»Überlassen Sie ihn mir!«, keuchte Silvio. »Er ist es. Er hat meinen Bruder umgebracht.«

»Bleib zurück, verdammt!«

Der junge Mann dachte nicht daran.

Bount musste ihm ein Bein stellen. Es ging nicht an, dass er Bount im letzten Augenblick die Tour vermasselte. Der Bräutigam verharrte perplex.

Reiniger turnte Frascatello nach. Die Rückgebäude waren bereits abgerissen.

Zwischen zwei Schutthaufen parkte der Mitsubishi Starion.

Der Italiener warf sich hinters Steuer. Der Motor kam mit sattem Brummen. Die Japaner hatten die Abarths frequenzgetreu kopiert.

Bount ging in die Knie und zielte auf die Reifen.

Schon der erste Schuss war ein Volltreffer.

Jetzt erst gab Sandro Frascatello auf. Aber nun endlich kam auch Ron Myers. Seine Sommersprossen leuchteten hektisch.

»Hast du ihn erwischt?«

»Blöde Frage«, sagte Bount. »Ich konnte ihn gar nicht verfehlen. Irgendwie war er schließlich auch zur Hochzeit eingeladen ...«

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