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Die Frau lag auf einer Trage. Sie war groß und blond und zitterte so heftig, dass das Aluminiumgestell der Trage klappernd auf die Marmorfliesen schlug. Ich ging neben ihr in die Hocke und sah fragend den Arzt an, der ihr gerade eine Kanüle in die Armbeuge schob.

"Schock", sagte er leise. "Diabetischer Schock. Sie ist zuckerkrank." Ein Teppich kleiner Schweißperlen bedeckte das Gesicht der Frau. "Stress kann so was ganz schnell auslösen. Vor allem kurz vor dem Mittagessen." Der Arzt nahm eine Spritze entgegen, die einer der Sanitäter ihm anreichte. >Glucose< las ich auf der Ampulle in der Hand des Sanitäters. Der Arzt drückte die Flüssigkeit in die Vene und schloss dann eine Infusion an. "In fünf bis zehn Minuten können Sie mit ihr sprechen, schätze ich."

Es war der vierte Bankraub innerhalb von acht Wochen. Und alle trugen dieselbe Handschrift: Zwei maskierte Kerle stürmen eine kleine Bankfiliale in Chelsea oder Greenwich Village, einer hält Kunden und Belegschaft mit einer Maschinenpistole in Schach, der andere zertrümmert die Glasverkleidung vor dem Kassenschalter mit einem Vorschlaghammer und lässt sich weiße Leinensäcke mit Scheinen füllen.

Seit dem zweiten Überfall ermittelten Milo und ich in dem Fall. Oder genauer: Die >Bank Robbery Task Force< - eine Sondereinheit für Banküberfälle, die wir vom New York District Office gemeinsam mit der City Police unterhielten. Die Einheit hatte in den letzten Wochen eine Menge Ausfälle zu verkraften gehabt. Deswegen waren Milo und ich vorübergehend zu dieser Einheit abkommandiert worden.

Milo stand mit einigen Sanitätern, zwei Leuten der Gerichtsmedizin und George Sarotti hinter dem Schaltertresen im Geschäftsraum. Sarotti gehörte zur Sondereinheit. Er war mittelgroß, ständig unrasiert, und trug fast ausschließlich helle Anzüge, bordeauxrote Krawatten und Cowboystiefel.

Dem schwarzen Gewucher nach, das seinen Schädel bedeckte, stand er morgens fünf Minuten vor dem Spiegel, um sich die Haare so lange zu raufen, bis von einer Frisur nichts mehr übrig war. Der Siebendreißigjährige sah eher aus, wie der chronisch unausgeschlafene Manager eines Footballclubs als wie ein Cop. Aber er war ein Cop. Und was für einer.

Ich ging hinter den Tresen. Einer der Männer von der Gerichtsmedizin zog eben den Reißverschluss eines Leichensackes hoch. Betreten starrten wir auf den Plastiksack. Der Mann darin war höchstens fünfundzwanzig Jahre alt. Heute Morgen hatte er vielleicht noch mit seiner Freundin über Urlaubspläne gesprochen. Vor einer Stunde hatte er möglicherweise noch an seiner Karriere gebastelt. Und vor zwanzig Minuten hatte er als Einziger den Mut aufgebracht - oder den Leichtsinn besessen - den Alarmknopf zu drücken. Jetzt war er tot.

"Es ist das erste Mal, dass sie geschossen haben", sagte Milo, "müssen ziemlich nervös gewesen sein."

"Vielleicht auch nur kaltblütig bis in die Haarspitzen", George Sarotti steckte die Hände in die Hosentaschen. "Bei den anderen Überfällen hatten sie einfach keinen Grund zu schießen."

"Captain Sarotti muss es mal wieder besser wissen", knurrte Milo, "Klugscheißer." Sarotti grinste nur. Irgendwie gerieten die beiden sich ständig in die Wolle. Ich hatte noch nicht herausgefunden, wie ernst ich das nehmen musste.

Wir sprachen mit dem Filialleiter, einem kleinen glatzköpfigen Schreibtischmalocher. Er schien völlig erschlagen zu sein. Er war der Letzte, der mit dem jungen Mann gesprochen hatte, den unsere Kollegen jetzt in den Leichenwagen schoben.

Wir ließen ihm ein wenig Zeit, seinen Kummer auszusprechen. Er war fassungslos und konnte sich kaum beruhigen. "Wie viel Geld lag in der Kasse?", wollte Milo schließlich wissen.

"Etwa sechzigtausend Dollar", sagte der Mann kleinlaut. "Die ganzen Wochenendeinnahmen wurden uns heute Vormittag gebracht!" Er hob beide Arme, als wollte er sich entschuldigen. "Die Hotels und Restaurants, die bei uns Kunden sind - das >Chelsea Hotel< liegt praktisch um die Ecke, dann der Nachtclub und die große Pizzeria auf der anderen Seite der Avenue, und im Madison Square Garden gab's am Samstag einen Boxkampf."

Die Stimme des Mannes bekam eine weinerliche Nuance. "Der Veranstalter ist Kunde bei uns - er allein hat fast zwanzigtausend eingezahlt!"

"Ist das Geld registriert?", wollte George Sarotti wissen.

Der Filialleiter schüttelte traurig den Kopf. "Nur die zehntausend Dollar, die ich heute Morgen aus dem Tresor geholt habe. Die waren noch fein säuberlich gebündelt."

Wir notierten alles Wissenswerte und verhörten die Kunden und Angestellten noch an Ort und Stelle. Auch mit den beiden Cops, die das Tatfahrzeug verfolgt und gefunden hatten, sprachen wir.

Nach zwei Stunden wussten wir nur, was sowieso schon feststand: Wir hatten es exakt mit denselben Tätern zu tun, wie bei den anderen Banküberfällen. Diesmal würden wir unserer kargen Spurensammlung allerdings ein trauriges Beweismittel hinzufügen können: Einige Kugeln aus der Maschinenpistole der Täter.

Vor der Bankfiliale dann Presse und Fernsehen. Eine schwarzhaarige Frau Ende zwanzig streckte uns ein Mikrophon entgegen. Cynthia Parker - sie berichtete schon seit dem zweiten Überfall dieser Art über unsere Ermittlungen. In irgendeinem New Yorker Nachrichtensender. Wir schätzten ihre Arbeit alle drei. Vor allem wegen der aufregend kurzen und engen Kostüme, die sie trug.

"Was können Sie unseren Zuschauern über den brutalen Überfall sagen?" Sie richtete die Frage an Milo. Überhaupt wandte sie sich meistens an Milo. Eine Tatsache, die Sarotti mit einem gewissen Missmut zur Kenntnis nahm. Jedenfalls hatte ich den Eindruck.

Ich huschte an der Frau vorbei die Treppe hinunter. Fernsehauftritte lagen mir noch nie. Im Vorübergehen schnappte ich eine Nase voll Parfümduft auf. Tief sog ich die Luft ein. Wie immer roch Cynthia verlockend.

Auch Sarotti erwies sich mal wieder als medienscheu und verdrückte sich. Cynthias Kameramann hielt also auf Milo, und der tat seine Pflicht und erzählte das, was er erzählen konnte.

Nachdem der Kameramann sein Gerät in den Van des Fernsehsenders verfrachtet und Cynthia ihr Mikro abgeschaltet hatte, plauderte sie noch ein wenig mit meinen beiden Kollegen. "Wie wäre es, wenn wir an einem der nächsten Abende mal zusammen essen gehen", strahlte George die Lady an.

"Sehr gerne", strahlte sie zurück, "Sie werden doch sicher mitgehen, Milo, oder?"

Eine halbe Stunde später saßen wir in der Federal Plaza im Büro unseres Chefs. Ein massiger, großer Mann mit rotem Gesicht, Tränensäcken und Doppelkinn wartete schon in der Konferenzecke. Etwa fünfzig Jahre alt und in zerknittertem, dunkelgrünem Anzug. Äußerlich in jeder Hinsicht so ziemlich das Gegenteil von unserem Chef.

Er hieß Norman Ruther und war Inspektor der New York City Police. Als leitender Beamte der >Bank Robbery Task Force< war er für die Ermittlungen verantwortlich. Zusammen mit unserem Chef, versteht sich.

Wir lieferten unseren Bericht ab. "Auffällig scheinen mir vor allem drei Tatsachen", sagte Milo. "Erstens: Der kleine Gangster mit dem Vorschlaghammer spricht nie ein Wort, während der andere herumbrüllt wie ein ein wild gewordener Schwarzbär."

"Du meinst, er ist Ausländer?", unterbrach ich ihn.

Milo zuckte mit den Schultern. "Oder er hat einen Sprachfehler."

"Oder seine Stimme ist den Bankangestellten bekannt", meinte Sarotti.

"Schwer vorzustellen, dass die Mitarbeiter verschiedener Bankhäuser zufällig ein und denselben Mann kennen", überlegte Jonathan McKee laut.

"Wenn es ein hoher Beamter von der Finanzbehörde ist, warum nicht?" Milo grinste. "Aber Spaß beiseite - ich tippe auch mehr auf den Ausländer. Zweitens: Bei jedem Überfall ist überdurchschnittlich viel Geld in der Kasse. Dieses Mal vor allem durch die Boxveranstaltung im Madison Square Garden. Die Burschen müssen also über eine gute Informationsquelle verfügen. Wir sollten die Kunden noch einmal sorgfältig durchsehen, die an den entsprechenden Tagen ihr Geld zur Bank getragen haben. Und drittens - das Fluchtfahrzeug ist jedes Mal in Little Italy gestohlen worden."

"Und die Täter jedes Mal in der Gegend achtundzwanzigsten Straße, Sixth Avenue spurlos verschwunden", ergänzte Norman Ruther. Er rieb sich über seinen ansehnlichen Bauch. Ich hatte während der Wochen, die wir mit ihm zusammenarbeiteten, beobachtet, dass er das immer dann tat, wenn er angestrengt nachdachte.

"Irgendwelche Informationen von unseren V-Leuten?", fragte Jonathan McKee in die Runde.

"Die sind merkwürdig schweigsam in letzter Zeit", Milo rieb sich nachdenklich sein Kinn. "Einer allerdings gab einen Hinweis auf Little Italy. Dort sei vor einigen Wochen ein junger Russe aufgetaucht, der weiter nichts tut, als ab und zu mal einen Wagen zu stehlen. Mehr konnte mir unser Informant nicht sagen."

"Dann sollten wir uns zur Abwechslung mal wieder in Little Italy umschauen", schlug ich vor.

"Aber ohne Dienstmarke", brummte Ruther. "Wäre ein Job für dich, Georgie, was meinst du?"

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