image
image
image

3

image

image

"Ich möchte Mr. Brookman persönlich sprechen", der Mann legte seine teure Ledermappe auf den Tisch des Kundenberaters und nahm unaufgefordert Platz.

"Haben Sie denn einen Termin, Mister ...?" Der knapp dreißigjährige Bankangestellte bemühte sich um einen verbindlichen Ton. Er hatte den Mann in dem dunkelblauen Anzug noch nie in der Transatlantik Bank gesehen. Sein kantiges Gesicht hatte etwas Raubvogelartiges, die angegrauten Haare waren mit Pomade nach hinten gekämmt. Altersmäßig siedelte er ihn irgendwo zwischen achtunddreißig und fünfundvierzig an.

Der Mann schob ihm seine Visitenkarte über den Tisch. "Mr. Peter Nocheese", las der Bankangestellte murmelnd. "Das Modehaus N&S in Brooklyn?"

"Richtig, junger Mann. Meines Wissens müsste Mr. Brookman heute im Hause sein", sagte Peter Nocheese gelangweilt. "Bitte melden Sie mich an." Er schlug die Beine übereinander und sah sich in der weiträumigen Schalterhalle um.

Die einzelnen Beratungsplätze waren durch schwere spanische Wände abgeteilt. Den wartenden Kunden standen Sitzecken mit Sesseln aus dunkelrotem Leder zur Verfügung. Sie waren durch riesige Yuccapalmen von den eigentlichen Geschäftsräumen und voneinander getrennt. Teilweise berührten die Pflanzen die Gewölbedecke.

An den holzgetäfelten Wänden hingen Ölgemälde italienischer Barockmaler, und ein dicker, anthrazitfarbener Teppichboden verschluckte die Schritte.

Man kam sich ein wenig vor wie in einer zweckentfremdeten Kirche. Nocheese grinste, als ihm dieser Gedanke durch den Kopf ging. "Gar nicht so verkehrt", dachte er, "schließlich dreht sich hier alles um die Vermehrung und Verehrung der wichtigsten Sache der Welt.

Statt einem Altar stand ein runder Kassenschalter in der Mitte der Halle. Hinter Panzerglasscheiben bediente ein halbes Dutzend Kassierer die Kundschaft. Beim Hereinkommen hatte Nocheese gesehen, dass mitten in dem pavillonartigen Aufbau eine Wendeltreppe nach unten führte. In den Tresorraum nahm er an.

Der Kundenberater ihm gegenüber telefonierte inzwischen mit seinem Chef, dem Direktor der New Yorker Filiale der Transatlantik Bank. "Ist in Ordnung, Mr. Brookman ... selbstverständlich, Mr. Brookman ... sofort, Mr. Brookman."

Nocheese musterte den devoten Mann am Telefon verächtlich. Der deutete sogar kleine Verbeugung an, während er mit seinem Chef sprach. "Wie unangenehm, unten zu stehen", dachte er. Niemals wollte er so etwas erleben. Er vertrat die erste Generation der Nocheeses, die ganz oben stand.

Aber er konnte sich gut an seine Kindheit erinnern. An die kleine Schneiderwerkstatt seines Großvaters. Mühsam hatte er sich seinen Betrieb nach der Einwanderung aus Sizilien aufgebaut, hatte sich vor Behörden und Kunden verbeugen müssen, um sich den Weg nach oben zu bahnen.

Franklin Nocheeses Vater dann, Anthony Nocheese, war aus anderem Holz gewesen. Er hatte sich vor niemandem verbeugt. Auch nicht vor dem Gesetz. Mit harter Hand hatte er sich sein Vermögen erarbeitet - und mit harten Mitteln. Freilich hatte er die Hälfte seiner Jugend dafür in Rikers Island verbracht.

"Darf ich Sie zu Mr. Brookman bringen?" Der junge Schnösel hatte aufgelegt und war noch höflicher als zuvor.

"Ich bitte darum", sagte Nocheese und folgte ihm. Sie verließen die Schalterhalle durch eine schwere Doppeltür mit handgeschnitztem Türblatt und gelangten in eine kleine Zimmerflucht, an deren Ende sich eine Tür öffnete.

Eine ältere Dame erschien im Türrahmen. "Mr. Nocheese?" Der Kundenberater nickte und verabschiedete sich übertrieben freundlich. Nocheese fand ihn widerwärtig. Die Frau, Brookmans Sekretärin, ging ihm voraus durch das Vorzimmer und öffnete den rechten Flügel einer ledergepolsterten Tür. "Mr. Brookman erwartet Sie."

"Sie sind also Mr. Nocheese", freundlich lächelnd kam Brookman hinter seinem schweren Jugendstilschreibtisch und streckte Nocheese die Hand entgegen. "Endlich lerne ich den Geschäftsführer des exzellenten Herrenausstatters persönlich kennen. Wenn ich gewusst hätte, dass Sie heute kommen, hätte ich einen Anzug angezogen, den ich bei Ihnen gekauft habe."

Brookman lachte, als hätte er etwas besonders Witziges gesagt. Nocheese war verblüfft über die Offenheit, mit der Brookman ihn begrüßte. Ein gutmütiger Mann, so schien es - aber Nocheese kannte gutmütig wirkende Männer, die Kehlen durchschnitten und Löcher in Schädel schossen, wenn es sich nicht vermeiden ließ. Deswegen hielt er sich mit einem endgültigen Urteil noch zurück.

"Nehmen Sie Platz, Mr. Nocheese. Was kann ich für Sie tun?"

Mit einem Blick taxierte Nocheese die schwammige Gestalt Brookmans. Er war weder klein noch groß, weder dick noch dünn, hatte aber etwas Weiches, Rundes an Körper und Gesicht.

Vermutlich lag das daran, dass der Bankdirektor seit dreißig Jahren vor allem hinter seinem Schreibtisch lebte. Dass Brookman ein Workaholic war, hatte Nocheese mehr als einmal gehört. Von irgendwelchen Geschäftspartnern, auf irgendwelchen Gesellschaften der Brooklyner Geldadels oder der Upper East Side.

"Ich möchte mit Ihnen ins Geschäft kommen, Mr. Brookman."

"Oh - das klingt zunächst einmal nicht schlecht", lächelte Brookman. "Trinken Sie etwas?" Nocheese nahm ein Glas Soda. "Was für eine Art von Geschäft?"

"Nichts Besonderes. Ich möchte einige meiner Geschäfte in Zukunft über Ihr Haus abwickeln, und ich möchte einen Teil meines Vermögens bei Ihnen anlegen. Einen nicht unbeträchtlichen Teil."

Brookman lehnte sich in seinen ledernen Drehsessel zurück und bot Nocheese eine Zigarre an. Der lehnte ab, und Brookman zündete sich allein eine an. "Das ist gar kein Problem, Mr. Nocheese. Das ist sogar sehr erfreulich für mich. Aber gestatten Sie mir die indiskrete Frage - sind Sie mit Ihrer Bank nicht mehr zufrieden?"

"Nun, es ist so", Nocheese faltete die Hände und legte sie auf den Schreibtisch seines Gegenübers. "Ich arbeite bisher mit der Bank of New York und der Brooklyn Exchange Bank zusammen. Und beide Institute haben sehr viel Geld in den Tigerländern investiert, wie Sie vielleicht wissen. Und sehr viel Geld dort verloren. Die Anlagezinsen sind drastisch gesunken in den letzten Wochen."

"Verstehe", Brookman paffte an seiner Zigarre, und Nocheese hatte das Gefühl, dass der Mann sich geschmeichelt fühlte. Langsam gewann er ein Bild von seinem Opfer. "Dann sollten wir uns verabreden, um die Einzelheiten durchzusprechen, Mr. Nocheese."

"Zu diesem Zweck würde ich sie gern zum Essen einladen", Nocheese lächelte charmant. Das war der entscheidende Augenblick seines Besuches. Er bemerkte, wie ein Anflug von Verwirrung über das Gesicht seines Gegenübers huschte: Die Lippen öffneten sich leicht, und die Brauen zuckten in der Mitte kaum merklich nach unten.

In dieser Phase des Gesprächs ließ Nocheese seine Augen keinen Moment vom Gesicht des Anderen. "Ich dachte an das >Le Régence<", sagte er, als hätte Brookman schon zugestimmt. "Oder mögen Sie es lieber amerikanisch? Dann würde ich >The Four Seasons< empfehlen."

Brookman zögerte einen Moment. "Wissen Sie, Mr. Nocheese", er lächelte verlegen. "Eigentlich gehe ich sehr selten aus, ich habe einen exzellenten chinesischen Koch angestellt und ..."

"Ich weiß - Sie haben den Ruf, eher zurückgezogen zu leben, mein Bester - und doppelt so viel zu arbeiten, wie der amerikanische Durchschnitt. Und doppelt so gut." Nocheese ließ das Kompliment einen Moment wirken. Dem Gesicht seines Gegenübers sah er an, dass er sich gebauchpinselt fühlte.

Sofort setzte Nocheese nach. "Aber wissen Sie - in meiner alten Heimat wurden wichtige Geschäfte immer bei einem guten Essen und einem edlen Wein abgeschlossen. Das habe ich von meinem Großvater und meinem Vater gelernt. Bitte tun Sie mir den Gefallen!"

Zehn Minuten später verließ Nocheese das Gebäude der Transatlantik Bank, das in der Dover Street direkt an der Brooklyn Bridge lag. Er war zufrieden. Sehr zufrieden - am Donnerstag nächster Woche würden er und der Bankdirektor in >Le Régence< in der Upper East Side miteinander speisen. Und noch ein dritter Gast, von dem Brookman nichts ahnte.

Der erste Schritt eines langen Weges war getan. Eines Weges, der - wenn alles nach Nocheeses Vorstellungen lief - direkt in Brookmans Tresorraum führen sollte.

image

image

image