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Wir hatten uns in einer Wohnung in der Doyers Street einquartiert. Gegenüber der verkommenen Pension, in der George Sarotti seit gut einer Woche hauste.

>Wohnung< war natürlich Schönfärberei. Die Tapete hing stellenweise herunter, und vor allem in den Ecken der beiden winzigen Räume dehnten sich braune Flecken auf ihr aus. Der Teppich schien aus den vierziger Jahren zu stammen, und war von zahllosen Brandlöchern übersät. Der Mann, der hier wohnte - ein Kleindealer, den unsere Zentrale mit einer >confidential informant< Nummer führte - schien seine Zigaretten und Joints grundsätzlich auf dem Teppich auszutreten.

Statt einem Bett lag ein halbes Dutzend speckiger Matratzen in einer Ecke, und die Sessel waren mit alten Armydecken zugedeckt, damit man ihren zerfledderten Bezug nicht sah. Kurz: Ein ziemlich dreckiges Rattenloch.

Unser Informant hatte uns die Bude vorübergehend überlassen. Und wir hatten ihn vorübergehend auf eine Entziehungskur geschickt. Auf Staatskosten.

Natürlich standen jetzt ein paar Dinge in dem erbärmlichen Loch, die sonst nichts hier zu suchen hatten: Ein leistungsfähiger PC, ein Telefon, und eine hochsensibles Funkgerät mit dem wir ständig den Minisender im Gürtel unseres Undercoverman's anpeilen konnten. Und im Notfall konnte er auch Funkkontakt mit uns aufnehmen.

Im Augenblick saß er mit Milo und mir in unserem armseligen Beobachtungsposten und lieferte seinen täglichen Bericht ab. "Er heißt Pjotr Kajurin - Potty nennen die Leute ihn."

Sarotti holte nacheinander zwei Waffen aus den Taschen seiner abgewetzten Lederjacke. Ja - er trug seit einer Woche keine hellen Anzüge mehr. Nicht mal Krawatten. Unter der Lederjacke hatte er ein ehemals weißes T-Shirt an, und die Jeans schien er sich aus einem Second-Hand-Shop geholt zu haben. Nur seine roten Stiefel - auf die hatte er nicht verzichten können.

"Du siehst gar nicht schlecht aus so glatt rasiert", sagte ich.

"Und der Stachelkopf wird dir vermutlich die Frauenherzen dutzendweise sturmreif pieksen", Milo grinste schadenfroh. Tatsächlich sah Sarotti ziemlich verhunzt aus mit seiner neuen Frisur.

Er ging nicht auf Milos Stichelei ein, sondern legte die Waffen auf den Tisch. Ein alter Dienstwaffe-Smith-&-Wesson und eine .44er Magnum. "Die hatte er nicht mal nehmen wollen, als ich ihm erklärte, dass sie damit in Kenia auf Elefantenjagd gehen", grinste George. "Er wollte um's Verrecken den Arminius spezial."

"Mit deutschen Waffen haben die Russen so ihre Erfahrung", Milo nahm die beiden Faustfeuerwaffen mit einem Tuch auf und ließ sie in einen Plastikbeutel fallen. Der Russe hatte beide gründlich begrapscht. Und an der Fahrertür des Fords hatte unser Labor Fingerabdrücke sichergestellt, die nicht dem bestohlenen Besitzer gehörten. Ziemlich deutliche Fingerabdrücke.

"Er arbeitet in einer Pizzeria in der Lafayette Street. Nicht älter als zweiundzwanzig, der Bursche." George rückte seinen Sessel an den Tisch und zog den Becher zu sich hinüber, den ich ihm eben mit Kaffee gefüllt hatte.

"Ist seit anderthalb Jahren im Big Apple. Dafür spricht er ganz gut Englisch. Bisschen einsam, der Bursche. War nicht schwer, mit ihm Kontakt zu kriegen. Heute Abend gehen wir was trinken. In einer Bar in der Mulberry Street - >Nickie's< heißt die Kneipe."

"Okay", ich nickte zufrieden. "Vielmehr kann man nach einer Woche nicht erwarten. Halt die Ohren steif, George." Ich stand auf und nahm ein kleines Holzkästchen vom Funkgerät. "Hier sind die Wanzen. Die Abhörerlaubnis hat fast fünf Tage auf sich warten lassen."

Unser V-Mann, der den Hinweis auf den Russen gegeben hatte, war von der Bezirksstaatsanwaltschaft Manhattan dem zuständigen Richter als Zeuge präsentiert worden. Und unser Chef hatte eine eidesstattliche Erklärung abliefern müssen, dass der Russe uns mit hoher Wahrscheinlichkeit zu den Drahtziehern der Banküberfälle von Chelsea führen würde.

Das war etwas gewagt gewesen. Aber auf andere Weise rückten die Bürokraten in den Bezirksgerichten keine Abhörerlaubnis heraus.

"Die kleineren sind die Harmonikakäfer." >Harmonikakäfer< sind Hochleistungsmikros, die in Telefonen versteckt werden. Man aktiviert sie, indem man die betreffende Nummer anwählt und dabei einen bestimmten Ton auf einer Mundharmonika spielt. Dann deaktivieren diese Wanzen das Klingelzeichen und nehmen Gespräche in dem Raum auf, in dem das Telefon steht.

"Geh vorsichtig damit um, Kollege", grinste Milo, "du weißt, dass unsere Richter da keinen Spaß verstehen."

"Klar, G-Man", George versenkte das Kästchen mit den elektronischen Kostbarkeiten in seiner Lederjacke. "Wer ist heute hier?"

"Bis um sechs wir beide", sagte ich, dann lösen uns Jay und Leslie ab."

"Und wir gehen mit einer Lady essen, die du auch gut kennst", wieder grinste Milo schadenfroh.

George runzelte die Stirn. "Cynthia?" Milo nickte. "Na, dann viel Erfolg, Special-Agent Tucker." Wortlos verließ er die Wohnung. Durchs Fenster sahen wir ihn die Straße überqueren und in der Pell Street verschwinden.

"Er wird sich an dir rächen, Partner", sagte ich zu Milo. "Glaub mir - Burschen wie George sind immer für eine Überraschung gut."

"Der eitle Pfau ist vorläufig abgemeldet."

Ich hätte mit Milo noch in der Wohnung in Little Italy ein Wette abschließen sollen. Denn als wir gegen halb sieben >McSorleys Old Ale House< in der East Village betraten, saß Cynthia nicht allein an dem runden Tisch neben dem uralten gusseisernen Ofen - George Sarotti leistete ihr Gesellschaft. Beste Gesellschaft offensichtlich, denn die beiden lachten laut und Sarotti saß auffallend dicht neben ihr.

"Dieser Gigolo", knurrte Milo.

"Ich hab dich gewarnt", diesmal konnte ich eine gewisse Schadenfreude nicht unterdrücken.

"Hey, George - hast du nicht einen Job heute Abend?", begrüßte Milo den Kollegen unfreundlich.

"Doch", grinste er und fuhr sich über sein Stoppelhaar. "Aber erst um halb zehn. Er trug einen blütenweißen Seidenanzug.

Vor Cynthia Parker lag eine langstielige Rose. "Mr. Sarotti hat mich angerufen - Sie haben ihm gar nicht gesagt, wo wir uns treffen?" Fast vorwurfsvoll sah sie uns an.

"Er ist im Dienst und dürfte eigentlich gar nicht hier sein", brummte Milo. Wir setzten uns.

"Was Sie nicht sagen?" Cynthia strahlte den Captain an. Sie begriff, dass er nur ihretwegen gekommen war. Ich lehnte mich entspannt zurück. Der Abend versprach unterhaltsam zu werden.

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