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Am Mittwochvormittag wachte George Sarotti vom Geräusch einer laufenden Dusche auf. Er tastete mit der Hand nach dem zweiten Kopfkissen rechts von ihm. Es war noch warm.

Mit einem Satz sprang er aus dem Bett. Er spähte hinter den Duschvorhang: Sharons makelloser Körper bog und drehte sich unter dem Wasserstrahl. Sie hatte die Augen geschlossen. Ohne Vorwarnung stieg er in die Duschwanne. Ein spitzer Schrei entfuhr ihr, als er sie umarmte.

Sie schimpfte ein bisschen. Aber schon nach wenigen Augenblicken ging ihr Zetern in leises Seufzen über. Und dann hörte man eine Zeit lang nichts mehr. Nur das Wasser, das gegen den Plastikvorhang prasselte.

Später lagen sie im Bett und rauchten. "Du bist eine merkwürdige Frau, Sharon", George zog sie an sich. "Du bist klug und willensstark, und trotzdem schlägst du dich in diesem miesen Viertel als Nackttänzerin durch."

"Du weißt ja nicht, was ich sonst noch so alles treibe", schnurrte sie.

"Verrat es mir", er stützte seinen Kopf in seine Hand und sah sie an.

Sie schüttelte lächelnd den Kopf. "Jeder hat so sein Geheimnis, mein neugieriger, kleiner Adonis."

"Bitte."

"Ich habe gute Chancen bei einem Agenten unter Vertrag zu kommen, der mich bei renommierten Blättern unterbringen kann."

"Penthouse und Ähnliches?"

"Vielleicht", grinste sie.

"Du bist zu schade für so etwas, Sharon", sagte er ernst. "Warum machst du nicht etwas ganz Normales? Stewardess, Lehrerin oder Journalistin? Du bist doch kaum Mitte zwanzig und hast noch alle Chancen."

Sie lachte ihn aus. ">Etwas ganz Normales<! Wenn du wüsstest, wie mich das >ganz Normale< ankotzt!" Sie stand auf. "Mein Vater ist Regierungsbeamter in Las Vegas. Er hat mich auf die Universität geschickt, er hat mir den Weg geebnet für eine Laufbahn in der Stadtverwaltung. Er hat sein halbes Leben damit zugebracht, von einer Tochter zu träumen, die eine gesicherte, >ganz normale< Existenz hat, die ein >ganz normales< großes Auto fährt und irgendwann in einer >ganz normalen Vorortvilla< eingesperrt dahinvegetiert, umgeben von einer Schar >ganz normaler< Kinder, und auf Händen getragen von einem >ganz normalen< Vertreter dieser idiotischen amerikanischen Gattung, die ihr Leben hinter einem Schreibtisch verschläft und durch hundert Ärsche zu irgendeiner noch gesicherteren Position aufsteigt!"

Die Heftigkeit ihres Ausbruchs überraschte George. Es verschlug ihm die Sprache. Sie ging ins Bad und stieg noch einmal unter die Dusche. "Nein, danke, mein Süßer. Ich habe die Schnauze voll von all dem >ganz Normalen<. Es langweilt mich zu Tode."

Kurze Zeit später saß er nackt auf dem Bett, rauchte und sah zu, wie sie sich anzog. "Hey, Lady!", sagte er irgendwann. "Du ziehst dich an, als würdest du schon um die Mittagszeit zu einer Abendgala in die Upper East Side marschieren!"

Sie lächelte ihr rätselhaftes Sphinxlächeln und drückte ihm einen Kuss auf die Stirn. Er wollte aber eine konkretere Antwort. "Wo gehst du hin?"

"Wir können uns für ein paar Tage nicht sehen", sie begann Wäsche und Kleider in einem kleinen Koffer zu verstauen.

"Wohin, will ich wissen"" Er wurde laut.

"Ich bin beruflich unterwegs."

">Beruflich unterwegs< - he, Baby: Machst du 'ne Striptour an der Westküste, oder wie?!"

Langsam drehte sie sich zu ihm um. Ihre Unterlippe schob sich ganz leicht nach vorne, zwischen ihren Brauen erschien eine steile Falte. "Ist das jetzt ein Verhör?"

Für einen Moment verschlug es George den Atem. Dann überspielte er die Schrecksekunde mit Gebrüll. "Seit einer Woche lässt du dich Tag für Tag von mir vögeln, erzählst mir, wie verrückt du nach mir bist - und ich darf nicht mal fragen, wo du hinfährst?!"

Er sprang auf, fuchtelte wütend mit beiden Armen in der Luft herum und pflanzte sich vor ihr auf. "Ich habe ein verdammtes Recht zu erfahren, wohin du gehst!"

Ein roter Schimmer flutete über ihr ebenmäßiges Gesicht. An ihrer Schläfe schwoll eine Ader an. Ihre grünen Augen wurden zu Schlitzen. "Die Zeiten, in denen irgendjemand ein Recht auf mich hatte, sind vorbei", sie sprach leise. Ihre Stimme klang plötzlich rau und klirrte vor Kälte. "Endgültig vorbei ..." Ihr Blick bohrte sich in seinen. So standen sie sich gegenüber, sekundenlang.

George merkte, dass er mit dieser Tour bei einer Frau wie Sharon nicht landen konnte. Er trat einen Schritt zurück und hob beschwichtigend beide Hände. "Okay, okay. Ist okay Baby ..."

Sie wandte sich ab und ging ins Bad. Die Tür ließ sie offen.

"Der Gedanke, dich ein paar Tage lang nicht zu sehen, hat mich einfach auf die Palme gebracht ..." George hörte den Reißverschluss ihres Rockes surren. Offenbar ließ sie sich gerade auf der WC-Schüssel nieder.

Leise schlich der Undercover-Agent zu dem Stuhl neben dem Bett, auf dem seine Kleider lagen. Und redete dabei unablässig weiter. "Es tut mir leid, ehrlich ...", er tastete nach einer Wanze in seiner Lederjacke und ging damit zurück zu ihrem Koffer. Er stand noch unverschlossen auf dem Tisch. Er hörte ihren Wasserstrahl in das Becken rauschen. "Es hat mich einfach ein bisschen heftiger erwischt als vorgesehen ..."

Mit dem Fingernagel bohrte er ein kleines Loch in den Stoff, der den Kofferdeckel von innen auskleidetet.

"Das ist auch okay, Will", Sharon stand von der Kloschüssel auf und spülte. "Nur musst du wissen - sobald ich den Eindruck habe ...". Während sie sich die Strumpfhose hochzog und den engen Rock herunterstreifte, fiel ihr Blick auf den Spiegel über dem Waschbecken. "... sobald ich den Eindruck habe, dass du einen Anspruch auf mich erhebst, kannst du gehen ..." Gebannt starrte sie in den Spiegel. Sie sah den nackten George an ihrem Koffer stehen und etwas in das Deckelfutter hineinstecken. Etwas sehr Kleines.

"... hast du das verstanden, Will?" Langsam zog sie den Reißverschluss ihres Rocks hoch.

"Einverstanden, Baby." Als sie aus dem Bad kam, saß er grinsend auf dem Bett und zündete sich wieder eine Zigarette an. "Wann erreich ich dich wieder?"

"Versuch's am Wochenende noch einmal", sie packte ihre Sachen zusammen und ließ sich von ihrem Lover auf die Straße begleiten. Das Taxi wartete schon.

George machte sich auf den Weg in die Doyers Street. Unterwegs frühstückte er in einem Imbiss. Er überschlug sein Tagesprogramm: Nach dem Frühstück der obligatorische Rapport bei Jesse und Milo, dann der Wagendiebstahl und am Abend Potty im >Nickie's<.

Er war bestens gelaunt. Kein Anzeichen sprach dafür, dass er soeben einen Fehler gemacht. Einen kleinen Fehler von außen betrachtet. Für George Sarotti der größte Fehler seines Lebens. Aber davon wusste er noch nichts.

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