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Ich hatte noch nicht einmal meine Jacke über die Stuhllehne gehängt, als der Anruf kam. Unser Chef nahm selbst ab und hörte schweigend zu. Wie meistens versuchten Milo und ich an seinem Gesicht abzulesen, wie schlecht die Nachrichten waren, die er gerade hörte.
Als er aufgelegt hatte, sah er uns erst einmal nachdenklich an. "Gentlemen, fahren Sie bitte mal schnell 'rüber in die Dover Street. Ruther hat gerade angerufen. Seine Leute vom fünften Revier haben einen schweren Bankraub in der Transatlantik Bank gemeldet."
Milo und ich machten uns sofort auf den Weg. Die Bank lag direkt an der Auffahrt zur Brooklyn Bridge. Streifenwagen und eine Ambulanz standen vor dem Eingang.
Der Schalterraum war merkwürdig ruhig. Viele Kunden standen an dem runden, pavillonartigen Kassenschalter in der Mitte der hochgewölbten Halle oder saßen an den zahlreichen Beratertischen, die mit spanischen Wänden aus dunklem Holz voneinander abgeteilt waren. Nichts sah nach einem Überfall aus. Allerdings fiel mir auf, dass viele der Angestellten nervös um sich blickten und misstrauisch unsere Schritte verfolgten.
"Komisch", sagte Milo, "überfallene Banken machen sonst einen anderen Eindruck."
"Vielleicht sind wir in der falschen Bank", das meinte ich nicht ganz ernst, und wie zur Bestätigung, dass wir an der richtigen Adresse waren, öffnete sich eine schwere Flügeltür an der Stirnseite der Schalterhalle, und Norman Ruther erschien im Türrahmen. Er winkte uns zu sich.
"Der Tresorraum ist vollkommen leer geräumt", knurrte er. Wir folgten ihm an vielen offenen Bürotüren vorbei. An einer blieb ich stehen, weil ich zwei Sanitäter und einen Arzt darin entdeckte. Sie knieten neben einer Trage und beschäftigten sich mit einem Mann, der dem noblen Büro nach der Filialdirektor sein konnte.
"Ronald Brookman", raunte Ruther mir zu. "Er leitet diese Filiale. Kreislaufzusammenbruch. Die Kassierer haben ihn eine halbe Stunde nach Schalteröffnung völlig aufgelöst in die Tresorräume geholt. Vor den leeren Geldschränken ist er umgekippt."
Der Arzt schloss eine Infusion an. Danach stand er auf und kam zu uns. "Völlig fertig der Mann. Sein Kreislauf ist unten. Wir werden ihn hinüber ins Beekman Downtown Hospital bringen. Im Augenblick ist er nicht vernehmungsfähig. Versuchen Sie's am späten Nachmittag mal."
Ruther führte uns in das Untergeschoss, wo die Tresorräume lagen. Dort konnten wir die Bescherung mit eigenen Augen sehen. Auch nicht eine Banknote hatten die Räuber übrig gelassen.
"Erinnert Sie irgendetwas an unsere Überfälle in Chelsea?", wollte Ruther wissen. Wir schüttelten betreten die Köpfe. "Keine Kratzspuren an den Türen, die Tresore vollkommen unbeschädigt." Er schnaubte wütend.
"Aufgeschlossen, Alarmanlage lahmgelegt, Zahlen eingetippt, eingepackt und weg." Der Inspektor steckte wütend die Hände in die Hosentaschen. Sein Jackett öffnete sich und gab den Blick auf seinen eindrucksvollen Bauch frei. Er machte ein Gesicht, als man ihn persönlich beklaut.
"Also ist klar, wo wir zu suchen haben", sagte Milo, "bei den engsten Mitarbeitern. Wer sollte sonst den Safe-Code knacken?"
"Klar müssen wir da suchen!", schnaubte Ruther. "Steht ja in allen Lehrbüchern. Aber wir werden nichts finden." Fragend sahen wir ihn an.
"Es sind außer dem Chef nur zwei Leute, die den Zutritt in das Allerheiligste ermöglichen können. Ich hab sie beobachtet, als wir sie mit der Sauerei konfrontierten. Die sind fast aus den Latschen gekippt vor Schreck." Er zog eine Hand aus der Tasche und deutete zur Decke. "Und der arme Hund da oben? Jede Wette, dass der in seinem ganzen Leben noch nicht im Parkverbot stand."
"Trotzdem müssen wir die Leute ausleuchten. Wenn sie selbst es nicht waren, dann eben jemand aus ihrem sozialen Umfeld."
"Klar, Jesse", Ruther schlug einen versöhnlichen Ton an. "Seh' ich doch genauso. Bin nur nicht besonders optimistisch. Also - machen Sie sich mal an die Arbeit." Er ließ uns stehen und stapfte schwerfällig die Treppe ins Erdgeschoss hinauf.
"Mach dich an die Arbeit, Partner", grinste Milo. "Wenn du weißt, wo wir anfangen sollen, sag mir Bescheid."
"Bei den beiden leitenden Angestellten, die über die Zahlenkombination Bescheid wissen, wo sonst." Ich wandte mich von dem traurigen Anblick der leeren Safes ab und ging zur Treppe. "Und sobald dieser Brookman wieder vernehmungsfähig ist, müssen wir uns mit ihm beschäftigen."