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Er saß auf dem Bett und guckte uns traurig an. Links neben ihm ein Aktenkoffer voller Geldscheine. Recht eine tote Frau. Wortlos streckte er uns beide Arme entgegen. Milo legte ihm die Handschellen an.
Stockend und in Stichworten berichtete er, was geschehen war. Eine deprimierende Story. Der Name Nocheese fiel. Noch von dem Telefon auf dem Nachttisch neben der Frauenleiche aus rief ich die Zentrale an.
Wir warteten auf einen Streifenwagen und übergaben Brookman den Cops. Sie brachten ihn in die Federal Plaza. Milo und ich machten uns auf den Weg nach Brooklyn. Zum Modehaus Nocheese & Sons.
Unterwegs rief uns Jay aus der Zentrale an. "Wir haben zehn Wagen zu Nocheeses Laden geschickt."
"Und Vanessa?"
"Immer noch nicht aufgetaucht."
Ich überlegte. Womöglich waren Vanessa und Nocheese durch den Überfall auf Halifax aufgescheucht worden. "Was hältst du davon, die Flughäfen und Ausfallstraßen zu überwachen?", fragte ich Jay.
"Gute Idee, ich werd's dem Chef vorschlagen."
Vor dem Kaufhaus stand eine ganze Armada von Streifenwagen. Die Straße war weiträumig abgesperrt worden. Niemand wurde in den Sperrbezirk gelassen, und jeder, der ihn verließ, musste sich ausweisen. Meistens Kunden, die aus dem Modehaus kamen.
Wir durchkämmten das vierstöckige Gebäude vom Keller bis unter das Dach. Keine Spur von Nocheese.
Am frühen Nachmittag schlug die Polizeieinheit, die den La Guardia Airport überwachte, Alarm. Sie hatten Nocheese gestellt. Er verschanzte sich in einem Pan-Am-Büro und hatte das Personal als Geiseln genommen. Ein zweiter Mann war bei ihm. Die Beschreibung passte auf Vanessa. Wir rasten mit Sirene und Rotlicht nach Queens.
Auf der Zufahrtsstraße für die Shuttle-Busse fuhren wir bis vor das hufeisenförmige Hauptgebäude. Vor dem Haupteingang drängelten sich Kamerateams und Presse. Hinter einer der Glastüren erwartete uns Norman Ruther. Er machte ein grimmiges Gesicht.
"Diese Scheißkerle haben einen Nervenkrieg mit uns angefangen." Er schaukelte vor uns her in die Flughalle. "Aber sie werden ihn verlieren, das schwöre ich bei allem was mir heilig ist."
Soweit ich den Inspektor kannte, gab es nicht viele Dinge, die ihm heilig waren. Aber jeder der ihn ansah und ihm zuhörte, begriff, dass er zu allem entschlossen war. Und er leitete den Einsatz. Die Flughalle war evakuiert worden. Die zwei Dutzend Männer und Frauen, die wir sahen, waren Angehörige unseres District Office' und der Bank Robbery Task Force.
Links und rechts des Pan-Am-Büros, hinter Tresen, Sitzbänken und Rolltreppengeländern, knieten oder standen Männer in kugelsicheren Westen: Scharfschützen. Knapp zwanzig Schritte vor dem Büro ein Mann mit einem Megaphon - einer unserer Psychologen.
Ruther reichte mir ein Fernglas. Nocheese und Vanessa - seine Identität war inzwischen geklärt - hatten die Pan-Am-Angestellten gezwungen, sich innen hinter der Glasfront des Büros aufzustellen. Als lebende Deckung. Ich zählte drei Frauen und einen Mann. Dahinter konnte ich einen Mann in hellem Anzug erkennen. Wahrscheinlich Nocheese. Vanessa sah ich nicht.
Ich reichte Milo das Glas. "Was fordern sie?"
"Ein vollgetanktes Mittelstreckenflugzeug und freien Abzug", knurrte Ruther.
Die Verhandlungen zogen sich stundenlang hin. Nocheese und Vanessa bestanden auf ihren Forderungen. Am späten Nachmittag, gegen fünf, stellten sie ein Ultimatum. Wenn bis sechs Uhr die Maschine nicht abflugbereit auf der Startbahn stand, wollten sie alle halbe Stunde eine Geisel erschießen.
Wir hatten nur eine Chance, die Sache ohne Verluste von Menschenleben zu beenden: In der Maschine.
Zwei unserer Spezialisten setzten sich in das Cockpit des Zwölfsitzers. Milo und ich zogen kugelsichere Westen an, rüsteten uns mit Walkie-Talkies aus und legten uns in den Gepäckraum. Mit einem kleinen Monitor, auf dem wir das Flugfeld zwischen der Maschine und dem Hauptgebäude überblicken konnten. Unsere Techniker hatten zwei leistungsfähige Minikameras installiert. Eine im Cockpit, die das Flugfeld aufnahm, und eine im hinteren Teil des Passagierraums.
Wie zu erwarten, umgaben sich Nocheese und Vanessa mit den fünf Geiseln, als sie das Pan-Am-Büro verließen. Auf dem Monitor sahen wir sie umringt von ihren Gefangenen das Hauptgebäude verlassen. Langsam näherten sie sich der Maschine. Sie brauchten fast sieben Minuten, bis sie vor dem Einstieg standen.
Wir schalteten auf die zweite Kamera um. Vanessa ging voraus. Mit seiner Dienstwaffe im Anschlag sprang er in den engen Passierraum, rannte nach allen Seiten sichernd zum Cockpit, um die zwölf Sitzplätze und die Piloten zu kontrollieren, und warf einen flüchtigen Blick in den Gepäckraum. Er sah uns nicht.
Nacheinander stiegen Nocheese und die Geiseln ein. Das Flugzeug rollte an. Das war der Augenblick zuzuschlagen. Über unsere Walkie-Talkies hörten wir die Stimme des Copiloten. "Fertigmachen zum Start." Das vereinbarte Stichwort. Wir setzten unsere Schutzbrillen auf.
Gespannt blickten wir auf den Monitor. Vanessa stand vor dem offenen Cockpit. Nocheese hatte im Heck hinter den Geiseln Platz genommen. Etwas rollte zwischen Nocheeses Beinen hindurch aus dem Cockpit. Er beugte sich nach vorne und starrte die Blendgranate an.
Dann zuckte ein greller Blitz durch die Kabine. Wir stürzten aus dem Gepäckraum. Milo warf sich auf Nocheese, ich rammte den hilflosen Vanessa mit der Schulter und entwaffnete ihn mit einem gezielten Schlag auf das Handgelenk. Er taumelte nach hinten weg ins Cockpit hinein und prallte auf die Armaturen. Die Piloten fesselten ihn mit Handschellen.
Nach fünf Sekunden war alles vorbei. Ich beruhigte die schreienden Geisel. Die Maschine drehte bei und rollte zurück zum Hauptgebäude.